Stories_Wirtshaussterben in Österreich

Sperrstund´ is. Für immer.

Sehr lange Zeit bestand in vielen Dörfern eine Dreifaltigkeit aus Volksschule, Greißler und Wirtshaus. Als erstes verschwanden meistens die kleinen Schulen aus den Ortschaften, später die Greißler, dann die Wirten. Josef Planer, Sproß einer Wirtsfamilie in einem kleinen Dorf im südlichen Weinviertel, erinnert sich an Kegelbahn, Extrazimmer, Besucherschwund - und eine Vergangenheit, die ihn nie ganz losgelassen hat.    20.06.2016

1895 bis 1989 bestand das "Gasthaus Planer" mit Gastgarten und Kegelbahn im rund 270 Einwohner zählenden Dorf Oberhautzental. "Weil ein Gasthaus alleine in dieser Region nicht funktioniert hätte", betrieb Familie Planer im Ort auch eine Fleischerei mit angeschlossenem Geschäft, einen Fleischgroßhandel, eine Landwirtschaft und einen Viehhandel. Wir trafen Josef Planer, Enkel der letzten Wirtin, in dem heute als Wohnhaus dienenden ehemaligen Gasthaus seiner Vorfahren zum Interview.

Aus seinen einleitenden Erzählungen ist ersichtlich, daß das Wirtshaus einst einer der wichtigsten Plätze im Ort gewesen sein muß: Von 1945 bis 1955 befand sich eine Dienststelle der Roten Armee im Haus. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfügte das Gasthaus bis in die 1970er über den einzigen Telefonanschluß im Ort. Hier erfolgte die Kommunikation in das und aus dem Dorf. Über das Gasthaus lief auch die Verständigung mit Arzt und Tierarzt: Beide fuhren mit dem Auto bestimmte Runden durch die Umgebung. Benötigte jemand im Dorf einen Arzt, meldete man das im Wirtshaus. Die Wirtsleute hängten dann Signalfahnen - eine für den Arzt, eine für den Veterinär - aus. Hing eine der beiden Fahnen, kam der Angesprochene ins Gasthaus und wurde ins entsprechende Haus bzw. auf den entsprechenden Hof geschickt. Gasthaus und Fleischereibetrieb bildeten auch Lehrlinge aus.

 

 

Herr Planer, wer hat denn das Gasthaus gegründet?

Mein Urgroßvater Leopold Schrott, 1895. Der ist - soviel ich weiß - aus der Gegend von Tulln hierhergekommen und hat das Haus, in dem wir uns jetzt befinden, erworben. Er war Fleischermeister, Gastwirt und Landwirt. Die Landwirtschaft und die Fleischerei waren anfangs die stärkeren Standbeine des Familienbetriebs, das Gasthaus wurde erst im Laufe der Jahre Schritt für Schritt vergrößert.

Mein Großvater hat die Fleischerei sehr stark forciert, die bis Anfang der 1960er sehr gut lief, Mitte des Jahrzehnts allerdings wegen Geschäftsrückgang aufgrund zunehmend besserer Mobilität der Dorfbewohner und dem Aufkommen der ersten Supermärkte geschlossen wurde. 

Mein Vater hat ungefähr 1965 angefangen, den Betrieb zu übernehmen. Er hat den Schwerpunkt ausschließlich auf die Landwirtschaft gelegt. Zum Glück war meine Großmutter so rüstig und hat das Gasthaus weiter betrieben. Am Sonntag hat die ganze Familie mitgeholfen. Das hat bis zum Schluß so funktioniert. Wir führten das Gasthaus aus Rücksicht auf die Großmutter und als Serviceleistung für die Dorfgemeinschaft. Manchmal war das schon auch eine Qual, wenn die Herrschaften bis um Mitternacht und darüber hinaus partout nicht gehen wollten und man als junger Dienstnehmer in Wien um fünf Uhr am Schlachthof sein mußte. Ich bin nämlich ebenfalls in den Vieh- und Fleischhandel eingestiegen und habe in Wien eine Firma geführt.

 

Welche Einrichtungen hat denn das Gasthaus gehabt?

Die Küche, wie sie heute noch zu 80 Prozent in der modernen Küche erhalten ist. Ein Gastzimmer mit Schank mit Platz für 35 bis 40 Personen. Ein sogenanntes erstes Extrazimmer für circa 30 Personen. Ein zweites Extrazimmer für rund 40 Personen, das vorwiegend für Begräbnisfeierlichkeiten vorgesehen war. Und dann hat es noch einen Saal gegeben. Insgesamt hatten wir Platz für 140 bis 150 sitzende Personen im Haus. Im Garten gab es eine Kegelbahn und weitere Sitzgelegenheiten, sodaß wir locker 500 Menschen Platz bieten konnten.

 

Wer kam denn ins Wirtshaus?

Das Wirtshaus war eine Männerdomäne. Sonntags nach der Messe sind die Männer ins Wirtshaus gegangen und die Frauen heim zum Kochen. Die Männer haben geschnapst und ein bißchen was getrunken, manchmal länger, manchmal weniger lang. Das hat sich mit der Zeit alles aufgehört. Die Sonntagsmessen wurden und werden auch immer weniger besucht.

Im ersten Extrazimmer wurde jeden Sonntag der Sparverein abgehalten. Die Raiffeisenbank Stockerau kam ab Kriegsende bis ungefähr 1975 jeden Sonntag, und man konnte hier seine Bankgeschäfte erledigen, Geld abheben und einzahlen. Später hat sich die Raiffeisenbank einen Raum im Gasthaus gemietet und dort - glaub´ ich - zweimal pro Woche Banktage abgehalten. Frauen sah man auch bei den Banktagen keine.

Es kamen auch die Blasmusik, die im Wirtshaussaal geprobt hat, und die Jägerschaft. Selten, aber doch kamen auch Busse mit Menschen, die die Wallfahrtskirche besichtigten. Laufkundschaft gab es ebenfalls: Bauarbeiter und Straßenarbeiter, Gendarmeriepatrouillen oder Vertreter wie zum Beispiel Futtermittelvertreter.

 

Was waren denn Höhepunkte für das Wirtshaus, wann kamen viele Menschen?

Höhepunkt im dörflichen Leben und somit für das Wirtshaus war das rege Wallfahrtsleben in Oberhautzental rund um den 15. August zu Mariä Himmelfahrt. Das war eine ganz große Geschichte! Die Wallfahrer kamen aus den umliegenden Orten Obermallebarn, Zissersdorf, Oberolberndorf, Sierndorf, Unterhautzental, Parschenbrunn, Seitzersdorf-Wolfpassing und Hausleiten. Früher zu Fuß, später dann mehr mit dem Auto. Meist predigte ein höherer kirchlicher Würdenträger, das zog zusätzlich Menschen an. Aus Erzählungen meiner Großmutter weiß ich, daß an so einem Kirtag 1000 Paar Würstel verkauft wurden - und das neben dem Angebot an Schweinsbraten, Gulasch und gekochtem Rindfleisch. Das war bis in die 1980er hinein der wichtigste Tag für unseren Betrieb. Wir haben uns gesagt, wenn wir den Kirtag halten können und da zwischen 400 bis 500 Gäste kommen, dann deckt der zu dieser Zeit erwirtschaftete Ertrag die Spesen des ganzen restlichen Jahres - und man kann weitermachen, ohne allerdings davon zu leben. Die Landwirtschaft, die wir auch betrieben haben, war zum Lebensunterhalt absolut notwendig! Viel Kundschaft bescherten uns auch der Leichenschmaus nach Begräbnissen oder diverse Silvesterfeiern. Hochzeiten hatten wir weniger.

 

Wurde im Gasthaus mehr gegessen oder mehr getrunken?

Schwer zu sagen. Unser Gulasch hatte einen guten Ruf und hat auch Leute aus Stockerau angezogen. Alte Einkaufslisten belegen, daß offensichtlich ordentlich gegessen wurde!

 

Zur Fortsetzung ...

Martin Zellhofer

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EVOLVER-Autor Martin Zellhofer durchforstete das Weinviertel auf der Suche nach verschwundenen und verschwindenden Bahnhöfen, Kinos, Milchhäusern, Geschäften usw. Im Buch "Verschwundenes Weinviertel" (Edition Winkler-Hermaden) halten mehr als 120 Bilder und etliche Zeitzeugen-Interviews die Veränderungen der vergangenen ca. 50 Jahre auf dem Land und in den Städten des Weinviertels fest. Josef Planer ist einer der für das Buch interviewten Zeitzeugen.

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Kommentare_

Freydenstein - 26.07.2017 : 14.09
... und mit dem irrwitzigen "Nichtraucherschutz" werden die letzten noch überlebenden Wirtshäuser gekillt. Stattdessen dürfen wir uns dann über kinder- und hundefreundliche Cafè-Lounges freuen, in denen man dank des Gebrülls und Gekläffs sein eigenes Wort nimmer versteht.

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