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Black Sunday

Als aufrechter Gottesmann trotzt Brendan Gleeson der Schlechtigkeit seiner Kirchengemeinde. Mit dem Genrehybrid "Am Sonntag bist du tot" ("Calvary") gelingt ein Drahtseilakt zwischen Satire und Tragödie. Es ist John Michael McDonaghs dritte Arbeit - und sein bislang stärkster Film.    18.03.2015

Priester James Lavelle (Brendan Gleeson), die oberste religiöse Instanz einer irischen Küstengemeinde, kann so schnell nichts erschüttern. Als ihm im Beichtstuhl ein vor Jahren erlittener Mißbrauch durch einen anderen Geistlichen gestanden wird, schenkt Vater James dem Opfer seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es ist ehrliche Anteilnahme, da Lavelle seinen Dienst vor dem und für den Herrn mit aufrichtiger Hingabe versieht. Das weiß auch der Beichtende, der auf späte Vergeltung aus ist. Weil sein Peiniger bereits verstorben ist, will sich das Mißbrauchsopfer an einem unbescholtenen Glaubensbruder quasi stellvertretend rächen. Und so ist es nach den Worten des Gepeinigten niemand geringerer als James Lavelle, der am folgenden Sonntag für den Vergewaltiger büßen und den Tod finden soll. Dem braven Kirchenmann, der die Identität des Mannes zu kennen glaubt, bleiben nur wenige Tage, um sich mit seinem drohenden Schicksal auseinanderzusetzen und eine Wahl zu treffen: entweder sich selbst zu retten oder den ihm auferlegten tödlichen Kreuzweg zu beschreiten.

 

 

Regisseur John Michael McDonagh plaziert seinen guten Hirten in einer Enklave der Bösartigkeit. In diesem von der Niedertracht seiner Einwohner infizierten Mikrokosmos gibt er den ethischen Fels in der Brandung. Die Inszenierung einer derartigen Kollision moralischer Antipoden birgt Gefahrenpotential in Form unfreiwillig komischer Querschläger, vor allem, weil Lavelles schwarze Schäfchen kein Klischee der charakterlichen Verkommenheit auslassen: Ehebrecherin Veronica (Orla O´Rourke) toleriert die Gewalttätigkeiten ihres "Freundes" Simon (Isaach de Bankolé); Inspektor Stanton (Gary Lydon) vergnügt sich schamlos mit einem exaltierten Lustknaben; und der schüchterne und vermutlich einmal zu oft abgewiesene Milo (Killian Scott) hält es für eine glänzende Idee, seine aufgestauten Wutgefühle an der Schußwaffe abzubauen. Es sind zynische Ärzte, egozentrische Millionäre und grimmige Schankwirte, die den Weg des tugendhaften Seelenhirten kreuzen. Und doch versteht James Lavelle die Sprache von Opfern und Sündern gleichermaßen. Der Witwer trägt ja auch selbst das Narbengewebe des Verlusts mit sich und ist als trockener Alkoholiker und Vater der selbstmordgefährdeten Fiona (Kelly Reilly) mit den Lastern und Untiefen der Welt vertraut.

Brendan Gleesons Pater James sieht sich vor die Mammutaufgabe gestellt, für die Sünden der Welt - repräsentiert durch die gebündelte Verderbtheit seiner Gemeinde - zur Rechenschaft gezogen zu werden. Gleeson (den McDonagh bereits in dem vergleichsweise leichtgewichtigen "The Guard" führte), bewältigt die wahrhaftige, unerschütterliche Hirtenfigur ohne Pathos. Die bislang vor allem mit hochkarätigen Nebenrollen gespickte Filmographie des Iren ("Braveheart", "Der General", "28 Days Later", "Brügge sehen... und sterben?") wird dessen Hauptrolle in "Calvary" künftig als Markstein aufweisen.

Mit "Am Sonntag bist du tot" wagt sich Autor und Regisseur McDonagh auf ein regelrechtes Minenfeld. Irischen schwarzen Humor mit zentralen moralischen - und nicht zuletzt fundamental religiösen - Sinnfragen zu verweben, ohne dabei den Halt zu verlieren und in konfuse Geschmacklosigkeit abzudriften, ist ein gewagtes Unterfangen und trägt gewiß Züge eines cineastischen Himmelfahrtskommandos. Daß McDonagh den heiklen Spagat nicht nur unfallfrei bewältigt, sondern ein mutiges und darüber hinaus tatsächlich in sich geschlossenes Werk abliefert, verdient mehr als nur Respekt.

 

Dietmar Wohlfart

Am Sonntag bist du tot

ØØØØ

(Calvary)

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Ascot Elite Home Entertainment (Irland/GB 2014)

97 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Trailer, "Glaubensfrage", Trailershow

Regie: John Michael McDonagh

Darsteller: Brendan Gleeson, Chris O´Dowd, Kelly Reilly u. a.

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