Kino_Kino-News KW 52/2004

Geburtshilfe

Wo sind sie hin, die großen Weihnachts-Blockbuster? Im Jahr 1 nach "Herr der Ringe" herrscht gähnende Leere. Dafür gibt es ein stilistisches Meisterwerk mit Nicole Kidman zu bewundern.    24.12.2004

 

Christoph Prenner

Alexander


USA/GB/D/NL 2004

170 Min.

Regie: Oliver Stone

Darsteller: Colin Farrell, Angelina Jolie, Val Kilmer u. a.

 

Um es gleich vorwegzunehmen: "Alexander" ist der wohl merkwürdigste Blockbuster-Streifen, den Sie dieses Jahr zu Gesicht bekommen werden. Denn Oliver Stones Verfilmung der Geschichte des bisexuellen makedonischen Welteneroberers versucht Kunstfilmanspruch mit Massen-Appeal zu vereinen und fällt damit spektakulär - und mit allem was an Pomp und großen Gesten dazugehört - aufs Maul.

Ein Historienschinken mit psychologischem Tiefgang, ungefähr so etwas dürfte sich Stone wohl vorgestellt haben. Und sich deshalb auf einen sehr unglücklichen Parforceritt durch monumentale Schlachtengemälde, seriös (sprich langweilig) gemeinten Geschichtsunterricht und angewandte Sexualpsychologie begeben. Herausgekommen ist dabei ein überambitioniertes Flickwerk, mit manchen tatsächlich bemerkenswerten Szenen und Bildern (Kameramann Rodrigo Prieto sei Dank), sowie einigen der campy-esten Auftritte seit langem (Farrell als weinerlicher Blondel, Jolie als Mutter Gnadenlos und Jared Leto als Kajal-Zombie).

Kurzum: genau der "Alexander", den man sich eigentlich vom schmierigen Spektakelkaiser Baz Luhrmann erwartet hätte. Wie schlimm erst dessen Version (angekündigt für 2006) werden wird, will man sich lieber gar nicht vorstellen ...

 

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In 80 Tagen um die Welt

(Around the World in 80 Days)


USA 2004

120 Min.

Regie: Frank Coraci

Darsteller: Jackie Chan, Steve Coogan, Jim Broadbent u. a.

 

Nicht minder an den US-Kinokassen gefloppt - wenn auch wesentlich billiger produziert als "Alexander" - ist diese unnötige Wiederverfilmung von Jules Vernes Weltumrundungsfabel. Hat man einmal überwunden, daß von der Vorlage nur noch Rudimente aufrechterhalten wurden, um daraus eine so familienfreundlich wie möglich dargebrachte Hetzjagd mit Coogan (remember "Coffee & Cigarettes"?) und Chan zu machen, muß man sich ernsthaft fragen warum Filmverleihe gerade zur tendenziell besucherstarken Weihnachtszeit ihre ausrangiertesten Pferde ins Rennen schicken. We'll never know...

 

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Birth


USA 2004

100 Min.

Regie: Jonathan Glazer

Darsteller: Nicole Kidman, Cameron Bright, Lauren Bacall u. a.

 

Eine junge Witwe (Nicole Kidman) steht kurz vor der Heirat ihres Verlobten, als ihr ein zehnjähriger Junge (Cameron Bright) begegnet, der behauptet die Reinkarnation ihres verstorbenen Mannes zu sein.

Daß der Brite Jonathan Glazer ein großer Stilist ist, konnte man schon anhand seiner absolut fabelhaften Gangster-Farce "Sexy Beast" erkennen. Mit "Birth" schlägt er nun eine gänzlich andere Richtung ein und geht dabei auch gleich einen Schritt weiter: aufbauend auf den hypnotischen Bilderwelten seines Kameramanns Harris Savides entwirft Glazer ein so verstörendes wie faszinierendes Paralleluniversum aus knallharter Realität und mysteriöser Fantasy, das sich mit herkömmlichen Maßstäben der Kategorisierung kaum noch fassen läßt. "Birth" ist Kunst-Kino, wie es sein sollte, unnahbar und schwerelos und dabei auch gleich über die Lächerlichkeit einer plausiblen Story souverän hinwegtäuschend.

Schlauer ist man nach den 100 kaum Handlung bietenden Minuten Filmlaufzeit zwar nicht, wohl aber bereichert um einige der bleibendsten Kinoeindrücke dieses Jahres. Die man nicht zuletzt auch einer zum Niederknien guten Nicole Kidman verdanken muß, die für diese extraordinäre Leistung mehr als nur eine Nominierung bei der nächsten Oscar-Verleihung verdient hätte.

 

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Agata und der Sturm

(Agata e la tempesta)


Italien 2003

125 Min.

Regie: Silvio Soldini

Darsteller: Licia Maglietta, Emilio Solfrizzi, Giuseppe Battiston u. a.

 

Laues Lüftchen: Vierzigjährige Buchhändlerin beginnt Verhältnis mit wesentlich jüngerem Gigolo. Doch auch im Leben ihres Bruder tut sich was: der sieht sich nämlich eines Tages mit einem Unbekannten konfrontiert, der behauptet, sein unehelicher Bruder zu sein.

Familiengeschichte aus Italien, leider alles andere als stürmisch.

 

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Schau mich an!

(Comme une image)


Frankreich/Italien 2004

110 Min.

Regie: Agnes Jaoui

Darsteller: Marilou Berry, Agnes Jaoui, Jean-Pierre Bacri u. a.

 

Gleich noch eine Familiengeschichte, dieses Mal aus Frankreich: Lolita ist eine junge Frau aus Paris, die mit sich und der Welt hadert, weil sie nicht annähernd so schlank und begehrenswert aussieht wie die Models in den Magazinen. Dabei wäre sie gerne schön - zumindest in den Augen ihres Vaters. Diesjähriger Viennale-Startfilm, ganz passabel.

 

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