Kino_Right Now, Wrong Then

Die Macht der Worte

Kleine Dinge können eine große Wirkung haben. Das veranschaulicht auch Regisseur Hong Sang-soo in seinem jüngsten Film. Der beginnt nach der Hälfte seiner Laufzeit einfach nochmal von vorne - mit einigen Abweichungen, die der Geschichte eine neue Wendung geben. Das Ergebnis daraus: ein vergnüglicher Doppel-Film über den Moment des Augenblicks.    12.12.2016

Jeder kennt das: Hätte man in diesem einen Moment lieber dies statt das gesagt oder einfach ganz anders reagiert, hätte das Leben (vielleicht) einen anderen Lauf nehmen können. Oder womöglich doch denselben, wie deterministisch man das Leben eben sehen will. Eine ähnliche Erfahrung macht auch die Titelfigur in "Right Now, Wrong Then".

Der beginnt eigentlich als "Right Then, Wrong Now", wenn die Zuschauer den ersten von zwei Teilen sehen, die letztlich im Grunde ein und derselbe sind: zwei Seiten einer Medaille, die sich nur in Nuancen unterscheiden, jedoch teils gewichtige Änderungen für den Verlauf der Geschichte und die Entwicklung ihrer Figuren mit sich bringen.

 

Der Regisseur Ham Chun-su (Jung Jae-young) wird auf ein Filmfestival eingeladen, das eines seiner Werke zeigt und im Anschluß ein Q&A mit ihm abhalten will. Ein terminlicher Fauxpas sorgt dafür, daß Chun-su einen Tag zu früh eintrifft und die Zeit in einer lokalen Segenshalle totschlägt. Dort trifft er auf die junge Malerin Yoon Hee-jung (Kim Min-hee), die er im Anschluß auf einen Kaffee einlädt.

"Nur eine Tasse Kaffee", lockt Chun-su, dem sein Renommee als Regisseur zugute kommt. Hee-jung willigt zwar ein, wirkt jedoch durchaus etwas zurückhaltend. Nach dem Kaffee bzw. Tee zeigt sie auf Chun-sus Wunsch hin dem Regisseur ihre Bilder, ehe ein alkoholgeschwängerter Ausflug in eine Sushi-Bar die beiden zu einem finalen Abstecher zu Hee-jungs Bekannten auf eine private Feier führt.

Mit Chun-sus Abschied aus dem kleinen Städtchen nach der Fragerunde auf dem Filmfestival beginnt "Right Now, Wrong Then" dann erneut. Wieder besucht Chun-su die Segenshalle, trifft dort auf Hee-jung und lädt sie in ein Café ein. Hier jedoch beginnt Hong Sang-soo sein Spiel mit den narrativen Nuancen, wenn die späteren Gespräche zwischen den beiden Protagonisten andere Wege nehmen.

 

Beide Figuren sind sich dabei nicht unähnlich; sowohl Chun-su als auch Hee-jung sind künstlerisch aktiv und eher einsame Außenseiter. Er ist ein Frauenheld und von dem Ex-Model angetan, dieses wiederum vorsichtig und augenscheinlich in derlei Hinsicht gebrandmarkt. Ihre Malerei ist für Hee-jung eine Art Rettungsanker, der sie am Leben hält, scheint es.

Jeden Tag male sie ein bißchen, quasi als Routine, erklärt sie Chun-su. Ansonsten breche alles zusammen. Zugleich sind ihre Bilder für sie ein visuelles Tagebuch, eine Rekapitulation dessen, wie sich sich an jenem Tag gefühlt hat. Und im Grunde ist es bei Chun-su mit seinen Filmen nicht anders. "Beim Anschauen Ihrer Filme habe ich erkannt, daß nicht alles im Leben schlecht ist", gesteht ihm eingangs eine seiner ehemaligen Set-Assistentinnen (Ko Ah-sung).

In seinem Feedback zu Hee-jungs Bildern wie auch in Bezug auf ihre anderen Gesprächsthemen gibt sich Chun-Su im zweiten Geschichtsverlauf wiederum ehrlicher. Und hat damit letztlich mehr Erfolg. "Sie denken nicht, bevor Sie den Mund aufmachen", wirft eine der Figuren ihm zwar vor, doch entwickelt sich dies für Chun-su positiver als seine kalkulierte Herangehensweise aus der ersten Hälfte.

 

Sprache spielt eine große Rolle in "Right Now, Wrong Then" - wie sie zum Einsatz kommt und wann. Chun-su hat diesbezüglich eine eigene Meinung. "Die Macht der Worte? Zum Teufel damit!" echauffiert er sich in der ersten Q&A-Runde. Dabei zeigt Hongs Doppel-Geschichte sehr wohl, welche Bedeutung Worte in welchen Momenten erlangen können. 

Auch Chun-su realisiert: "Worte kommen einem immer in die Quere." Per se kann selbst ein richtiges Wort im falschen Moment zum Hindernis werden, wie auch die umgestellten Titel für die Segmente (Right Then, Wrong Now/Right Now, Wrong Then) implizieren. "Vor einem Augenblick war noch alles perfekt", beschreibt Chun-su treffend eine solche atmosphärische Veränderung.

 Es ist fast ironisch, daß sich trotz der ehrlicheren Wortwahl am Ausgang der Geschichte nicht allzu viel ändert. Schon Dostojewski sagte: "Worte sind noch keine Taten." Nur in den Figuren fand eine Änderung statt. Und selbst wenn Chun-su also in der zweiten Geschichte durch sein Verhalten den Ausgang des Geschehens nicht zwingend verändert hat, so hat er seinen Charakter verändert und den von Hee-jung. Auch das kann befriedigend sein.

 

 

Florian Lieb

Right Now, Wrong Then

ØØØ

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Südkorea 2015

121 Min.

 

Regie: Hong Sang-soo

Darsteller: Jung Jae-young, Kim Min-hee, Ko Ah-sung u. a.

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