Akzente_Flaming Lips Live

Lippenbekenntnisse

Christoph Prenner besuchte den Wien-Gig der Flaming Lips am 1. März im Flex - und meint, daß Fasching ab jetzt immer so sein soll.    10.03.2003

Faschingssamstag und die Flaming Lips in der Stadt. Treffender hätte man das gar nicht koordinieren können, eilt den Lips doch nicht zu Unrecht ein legendärer Ruf voraus - nämlich der, eine der unkonventionellsten Studio- und vor allem wahnwitzigsten und unterhaltsamsten Live-Bands dieses Planeten zu sein: psychedelisch versetztes Spinnertum, doppelbödiger Nonstop-Nonsens und Art-Anspruch, versteckt hinter infantiler Arglosigkeit.

Anders als gewöhnlich darf man sich dann auch ihr Live-Set-up vorstellen. Schon als die Herrschaften, abgesehen vom verschmitzt-charmanten Frontmann und Geschichtenerzähler Wayne Coyne sowie Götterschlagwerker Drozd, in Riesentierkostümen (Pink Elephant, Zebra) zu Orffs "Carmina Burana" einmarschieren, um Riesenluftballons und Konfettiduschen unters Konzertvolk zu schleudern, weiß man sich versichert: Die spinnen, und das ist verdammt nochmal gut so!

Mit einer Mischung aus Klassikern der 20jährigen Band-Geschichte (u. a. "She Don´t Use Jelly", "Race For the Prize", "Waitin´ For A Superman") und dem für den Großteil ihres Programms verantwortlichen Harmoniefeuerwerk ihres 2002er-Albums "Yoshimi Battles The Pink Robots" versetzen sie während ihres eineinhalbstündigen Gigs selbst den hartherzigsten Allerweltszyniker in ihre kleine, feine, knallbunte Traumwelt.

Am ehesten kann man diese virtuose Synthese aus Musik, Bild und Spektakel tatsächlich, wie die Band selbst meint, als riesige Kindergeburtstagsfeier sehen. Als eine äußerst ungewöhnliche allerdings: So bringt Coyne etwa einem anwesenden Geburtstagskind ein Ständchen, während er sich Kunstblut über die Stirn und aufs Hemd laufen läßt. Und überhaupt wird einem an diesem Abend irgendwie wieder schmerzhaft klar, daß Spaß und Leid wohl allzu durchlässige Paralleluniversen sind. Wenn sich etwa zum zuckerglasierten Pop von "Do You Realize" auf der Leinwand hinter der Band Kurzfilmsequenzen von Atompilzen, Aerobic-Gehampel und Augenoperationen abwechseln, dann ist das vieles, nur sicher keine leichte Kost - oder Entertainment um seiner selbst willen. Und wer weiß, vielleicht waren da auch Rasierklingen im Geburtstagskuchen, oder es ist gar nicht Mickey Mouse, sondern Dario Argento, der da durch Disneyland läuft? Oder war´s bloße Täuschung?

Egal. Denn ob kodiert oder nicht, die Lips erschaffen so oder so etwas, das im heutigen Showbiz nur noch sehr selten vorzufinden ist: pure Magie. Zaubern dir ein Lächeln ins Gesicht und Freude ins Herz und bedienen sich doch niemals der Mittel des Kitsches. So müssen die Beach Boys lost in space klingen oder Radiohead im Rausch der Frühlingsgefühle. Oder auch nicht. Nennt mich verblendet oder sonst was, aber genau an diesem Abend sind sie es und niemand sonst: die beste Band der Welt. Happiness makes you cry, ab und zu.

Christoph Prenner

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