Akzente_"Balkan Fever"-Musikfestival

The South is gonna rise again!

Die Zukunft ist Crossbreeding, also Querpuderei - gesellschaftlich, körperlich und kulturell. Das größte Balkan-Musikfestival macht´s auch ohne EU-Verordnung schmackhaft.    10.05.2004

Mit dem 1. rotweißroten Mai dieses Jahres folgte den Jahren des mißtrauischen Beäugens, des unterschwelligen Anstänkerns und der feuchtfröhlich nach ostblockenden Staatsgeldern greifenden Unternehmenstaktik plötzlich die staatliche Verordnung zur Nachbarschaftsliebe. Emir Kusturica hatte ja bereits als einer der wichtigsten und begabtesten Vertreter Eurowoods eine Dekade lang Balkanseligkeit samt Kitsch und Fusel beim verbiesterten zentraleuropäischen Weißmenschen etabliert: Da reagiert zwar auch der Stereotypenwahn, da wälzt sich der Bürotrottel in Samstagabendekstase, wenn er auch einmal wie der b´soffene Yugo den Frauen ohne PC-Watsche auf den Arsch klatschen darf. Shake the Slivo! Tanz den Gastarbeiter!

Doch irgendwo kreuzt das Klischee die Wirklichkeit und offenbart sich dahinter eine Kultur. Das passiert nicht durch billig nachgegrillte Cevapcicis in maroden Wiener Beisln, die sich plötzlich blauweiß gesternt schürzen. Das passiert nicht durch öffentlich-rechtlichen Ethno-Koller voll pittoresker Volkstracht. Das geht ganz anders: Das einmonatige Musik-Festival "Balkan Fever" brüstet sich berechtigt als "größtes Mitteleuropas" und ist nicht nur vom Programmausmaß, sondern auch von der komplett ungekünstelten Ausrichtung und Qualität bislang einmalig gelungener Kraftakt wie Gegengift zu den grassierenden Strategien der Volksumarmung.

Da wird nicht eine Zusammenführung probiert, sondern Wien als zwischenkulturelle Mittlerstelle zum Balkan erklärt wie entdeckt, das südländlich hingebungsvoll jaulende, herzhaft Leidende in verstockten Powidltypen geoutet. Der Roma im Simmeringer Haklerbazi. Der serbokroatisch verwienerte Bastard im Fünfhausener Postboten. Melange ist überall. Und auf Rassenlehren wird geschissen. Kultur ist dabei nichts anderes als eine Wahrnehmungsabsteckung, die einen mit kreativen Stolz über die Herkünfte erfüllen darf, aber keine Grenzen und Skrupel kennt.

Und eben weil es keine Regeln gibt, ist das Festival seit dem Startschuß am 16. April auch mit jedem der fast täglichen Konzerte brechend voll und bestens gelaunt besucht. Das von World-Music-Spezi Richard Schuberth ("Concerto", "Jazzzeit") und Tunnel-Geschäftsführer Amin Chlache grandios zusammen gestellte Setup vereint alle kunterbunt überkreuzten Quergewächse, die die Musik Rumäniens, Ex-Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens etc. so zu bieten hat. Das tendiert durch die Jazznähe der Kuratoren zwar ein wenig zur Dominanz sauber spielender Salonlöwen, doch gerade live verlieren die oft alle manierierten Genierer, und das Bierkrügerl steht schnell einmal am Kopf, wenn die Hände woanders hin tanzen. Essentielle Resttermine: Das große Balkan-Fest im WUK am 13. 5., weniger wegen der modischen Fusion-Melange der pannonischen Besh O Drom samt nachfolgenden DJ-Vielerleis als für das zu erwartende Menschenaufkommen. Und wochenends darauf im Tunnel die süffigen Auszuckgaranten vom bulgarischen Zig Zag Trio und dem mazedonischen Kocani Orkestar.

Gut fürs Herzerl, bei meiner Ehr...

Paul Poet

1st International Balkan Festival Vienna 2004

ØØØØØ


16. 4. bis 16. 5. 2004 an verschiedenen Wiener Spielorten

 

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