Musik_Einstürzende Neubauten - Perpetuum Mobile

Abbruchmenschen voll Frühlingsgier

Einen langen Weg sind sie gegangen, die wüstesten Erbauer des Maschinenrocks und Dekonstruktionspops. Aber auch alte, müde Knochen können einem noch Herzen zuschupfen.    16.03.2004

Sie etablierten Gitarrenkrachwälle zu den stampfenden Rhythmen von zersägten Wellblechhütten, Percussion-Stakkati aus Stahlrohr und Flex. Dazu kam der manisch kaputte Deklamationsgesang Blixa Bargelds, psychopathologisch über den Punk hinausgeschritten und dabei an Aggression noch zugelegt. Keine Schönheit ohne Gefahr - und das 15, 20 Jahre, bevor kommerzialisierte Abziehpüppchen wie die Nine Inch Nails oder Rammstein ihren Stil in die Breitwand traten; Ewigkeiten, bevor Mia und alle Konsorten in Sachen Elektroklatsche jener Energie, jenen Ideen nachgierten, die das Berliner Quintett locker aus dem ungewaschenen Hemdsärmel schüttelte: Hedonismus, Geilheit und Leere im Mülleimer Welt. Du bist Scheiße, nichts als ein Virus, also mach was draus. Und wenn es nur heißt, zurückzubeißen.

Der kometenhafte Aufstieg zur Kult-Band der Achtziger hinterließ durchwegs irreparabel zerfetzte Bühnen, die Heiligsprechung an allen Kulturfronten und massig Kids in Schwarz, die Heinrich-Heine-Gedichte schreiend Schrottplätze verunsicherten. Mit den Neunzigern freilich wurde alles langsamer, bewegte man sich bauchwärts in die Clubs und Theater, setzte man zunehmend auf die kleinen Laute. Entsprechend grummelt der Vulkan namens Einstürzende Neubauten auf "Perpetuum Mobile", dem zwölften Album, nur ganz leise in seinen Magmaschlunden. Doch grummeln tut er, genußvoll verbittert, sexy überheblich, hypnotisch bedrohlich. Als Erbschaft der von Bargeld frisch verlassenen Parallelband Nick Cave and the Bad Seeds kommt das alles klassischer daher als die üblichen Song-Sermone, die sich und uns nichts schenken. Da packt König Feurio vielleicht nicht alle Tanzgäule auf den Armageddonfloor. Doch knurrige Lebensgier und Daseinsverwirrung kennen kaum hübschere Gewänder. Und dann können einem die vielpublizierten Sperenzchen wie interaktiv öffentliche Studioaufnahmen herzhaft scheißegal sein.

Glanzzeilen wie "Ich treibe Inzucht mit den Sternen. Life is different on other Planets" oder das von vorn bis hinten lebensnah aus Schlund wie After gerissene "Selbstportrait mit Kater" sprechen zwischen etlichen halbgaren Füllern nach wie vor dem Geniekult nach der selbstverliebten Zunge. Für die gilt es zu kämpfen, zu vögeln und Kunststudenten zu verdreschen. Forever collapsing, bei meiner Ehr´!

Paul Poet

PFLICHTTERMIN! EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN live


Wann: Mi, 17. 3. 2004, 20 Uhr

Wo: WUK, Währingerstraße 59, 1090 Wien

 

presented by SKUG Magazine

SKUG-DJ-Line: "Club Le Suck" featuring Paul Poet and Heinrich Deisl

Links:

Einstürzende Neubauten - Perpetuum Mobile

ØØØØ


Mute/Virgin/EMI (D 2004)

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Kommentare_

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