Musik_Kashmir - Zitilites

Die flüchtigen Lichter der Großstadt

Melancholische Nordlichter und ihre Definition von Wachstumspotential: Vier Dänen besorgen uns den feinsinnigsten Grower dieses Herbstes.    17.10.2003

Es passiert immer wieder, seltener zwar, aber dennoch: Obwohl zwecks vorselektiven Durchhörens noch ein ganzer Stapel frischer Silberscheiben in geduldiger Erwartung auf dem Schreibtisch vor einem ausharren würde, greift der geneigte Rezensent doch wieder und wieder auf die eine andere zurück, an der er sich doch schon lange sattgehört haben müßte in den letzten Wochen, es aber nicht hat, weil sie immer wieder neue, wunderbare Akzente und Einsichten hervorzubringen vermag, immer noch weiter und weiter wächst, ins Unermeßliche gar, und zum wertvollen Begleiter durch die kälter und kürzer werdenden Tage wird. Interpols "Turn On the Bright Lights" war vor ziemlich genau einem Jahr so ein Fall, und "Zitilites", das vierte Album des dänischen Quartetts Kashmir, ist es nicht weniger: der klassische Fall eines Growers.

Die Thematiken, der sich beide Bands bedienen, ähneln sich sehr, gerade weil sie universal und universal verständlich sind: Einsamkeit, Zweisamkeit, der/die einzelne, die Stadt, in der er/sie lebt, und ihre Lichter, die nie ausgehen und die Nacht immerfort zum Tag machen müssen. Da macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob die nun in NYC oder eben Kopenhagen glühen: Wie die Vorzeige-Dandies von Interpol vermögen auch Kashmir eine Atmosphäre zu evozieren, die sanft und bedrohlich zugleich schimmert, und damit jeden Ort in eine mythische, schwer greifbare Stimmung zu versetzen.

Die bewußt spartanisch und reduziert gehaltene Instrumentierung trägt in Kombination mit der zartbitteren Stimme Kasper Eistrups minimalistische, schwebende Kompositionen wie "Melopomene" oder das mit leuchtendem Piano verzierte "In the Sand" durch ein latentes Wechselspiel aus Düsternis und Euphorie, bescheidenen Gesten und brennenden Herzen. Sowieso große kleine Pretiosen mit gottlob gering ausgeprägtem Hang zum Dramatischen, wohin man hört: der bittere Beziehungsabgesang "The Aftermath", das sich beinahe in Doves-Höhen hineindrehende "Ramparts" oder das grimmige Politikstück "The New Gold" ("You can relax cause we´re safe behind, behind the Bush") - sie alle sind beeindruckende Zeugen einer gefährlich in sich ruhenden Zwischenwelt. Der Rest ist Gelassenheit der Melancholie und erhabenes, großes Songwriting-Verständnis. Der Plattenstapel wird wohl noch weiter wachsen müssen in der nächsten Zeit.

Christoph Prenner

Kashmir - Zitilites

ØØØØ 1/2


Columbia/Sony (Dänemark 2003)

 

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