Musik_Minus - Halldór Laxness

Gestatten: Kokain

Feurig-Heißes aus dem Land des Eises und der Finsternis: Fünf wahnwitzige Isländer mit der Lizenz zum Lärmschlagen zelebrieren einen ihrer Dichter. Irgendwie halt.    23.07.2004

Take your soul and run, die wilden Isländer sind los! Sagt man denn da gleich was Falsches? Wie das denn gehen soll, so richtig wild und roh sein auf einer Insel, die in der mitteleuropäischen Rezeption ohnehin wie ein einziges merkwürdig-putziges Klischee aus Mythen, Märchen und Merkwürdigkeiten daherkommt? Und deren einziges musikalisches Aushängeschild (bis zum Durchbruch der wirklich hinreißenden Sigur Ros) eine gar seltsame Schauderelfe darstellte?

Doch halten wir uns nicht länger mit Unerfreulichem auf und kommen auf den Punkt bzw. unter den Gefrierpunkt. Denn dort ist (har, har, Wortwitz) Minus angesiedelt, ein Quintett aus Reykjavík, dem bereits ein mehr als fragwürdiger Ruf vorauseilt. Von wüsten Drogen- und Alkoholeskapaden ist da die Rede, von hemmungslosen Exzessen, von gleich mehreren Raufhändeln an einem Abend. Kurzum von Roggnroll-Lifestyle oder genau jenen Motiven, wegen denen Damon Albarn ganz sicher nicht seine Bar im hippen Reykjavík eröffnet hat.

Wenn man Minus hört, ob auf ihrem komplett verhaltensgestörten Vorgängeralbum "Jesus Christ Bobby" (2001) oder eben auf diesem, ihrem neuen, erstmals via Majorlabel veröffentlichten "Halldór Laxness" (benannt nach dem isländischen Literaturnobelpreisträger), braucht es nicht lange, um zu verstehen: Wer solche Musik macht, der kann auch im echten Leben nicht ganz rund laufen. Der oft zitierte Stehsatz vom Genie im Wahnsinn, hier greift er wie selten zuvor. "Halldór Laxness" ist das Album, um das heuer niemand, der sich im Jahr auch nur mehr als drei Gitarrenplatten kauft, herumkommen wird.

Vor allem aber ist es laut, schnell und explosiv wie schon lange keines mehr. Energetisch ist nicht die richtige Beschreibung, aber es gibt halt keine passendere. Unbändigbar brettert sich die Band um Frontweirdo Krummi durch eine Ansammlung von Hochenergie-Hymnen, die nicht bloß Punk, Metal, Schweine- und Noise-Rock oder Hardcore sein wollen, sondern irgendwie alles gleichzeitig. Extrem groovende Riffs, vertrackte Rhythmuswechsel, ohrenbetäubender Krach und zwischen Aggression und Melodie changierende Vocals - das ist das Holz, aus dem die zwölf Tracks geschnitzt sind. Pracht und Chaos. Schmerz und Schönklang. Spannung und Katharsis. Refused sind nicht der richtige Bezugspunkt, aber es gibt halt keinen passenderen.

Einzelne Songs hervorzuheben fällt schwer, dafür gibt es ganz einfach zu viele außergewöhnliche: den filigranen Nackenbrecher "Flophouse Nightmares" etwa, "The Long Face", das sich innerhalb kurzer Zeit von einem flockigen Popsong in einen fiesen Noise-Brocken verwandelt, das lässig hingerotzte "Angel in Disguise" oder die tiefschürfende Semiballade "Insomniac". Aus Frustration, Innovationswillen und einem gehörigen Maß an Verschrobenheit ist hier ein wirklich außergewöhnliches Album entstanden, das noch dazu und im besten Fall das Image der Musiknation Island wieder etwas geraderücken könnte. Wie und unter welchen Umständen das alles entstanden ist, das möchte man dann eher auch nicht so genau wissen. Track 8 heißt übrigens "My Name Is Cocaine". Wenn das kein Hinweis ist ...

 

Christoph Prenner

Minus - Halldór Laxness

ØØØØ 1/2


Epic/Sony (Island 2004)

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