Musik_Rock Action Vol. 2

Yin und Yang

Kneipp-Kur now: Wer sich nach dem bedächtigen Zartpop von Maritime an die Lärmtherapie mit den Noise-Göttern Helmet und ihren verzogenen Söhnen McLusky wagt, traut sich was.    13.07.2004

 

Christoph Prenner

Maritime - Glass Floor

ØØØ 1/2


Grand Hotel Van Cleef/Wohnzimmer/BMG (USA 2004)

 

Als man The-Promise-Ring-Frontman Davey von Bohlen Anfang dieses Jahrtausends einen faustgroßen Tumor aus dem Kopf entfernen mußte, schien es so gut wie geschehen um eine der einflußreichsten Post-Hardcore-Bands der Neunziger. Denkste - vielmehr wurde ein stilistischer U-Turn in Richtung erhabenen Shoegazer-Emopop-Schönklangs hingelegt, dessen Resultat "Wood/Water" es zwar zum Liebling vieler Kritiker (inklusive des Schreibers dieser Zeilen) brachte, die Anhängerschaft aber so nachhaltig verstörte, daß eine Band-Auflösung die einzig logische Konsequenz war.

2004 ist von Bohlen mit seiner neuen Band Maritime zurück und führt das "Wood/Water"-Vermächtnis traumtänzerisch fort. Das Ergebnis, "Glass Floor" (hierzulande wie schon Death Cab For Cutie auf dem betont geschmackssicheren Hamburger Label Grand Hotel Van Cleef erschienen), ist ein sich in der Seligkeit wärmender Sommermelodien sonnender (Power-)Pop-Reigen, der bei aller Schönheit und Dahinschmelzgabe doch an der einen oder anderen Stelle ein klein wenig mehr Biß gut vertragen hätte. Für den lauschigen Picknick-Ausflug mit dem Herzensmenschen allerdings kommt diese grundgute Musik immer wie gerufen.

 

Links:

Helmet - Unsung: The Best of Helmet (1991-1997)

ØØØØ 1/2


Interscope/Universal (USA 2004)

 

Mitte September soll es denn soweit sein: Page Hamilton wird nach siebenjähriger Kreativpause ein brandneues Helmet-Album veröffentlichen, (Arbeits-) Titel: "Size Matters". Und er wird dies ohne seine langjährigen Wegbegleiter Henry Bogdan (Baß) und John Stanier (Drums; inzwischen u. a. bei Tomahawk) tun. Wenn das nur gut geht ...

Denn: "Unsung", diese klugerweise von Universal aufgelegte Werkschau, macht erneut und für alle, die´s noch nicht wußten, sehr deutlich, was für eine stilbildende und prägende Band Helmet in den Neunzigern tatsächlich waren. Geradewegs hinein in das Erbe der Achtziger, der furchterweckendsten Dekade, die der Rock und der Roll und sein Lifestyle je durchzustehen hatten (meterhohe Fönfrisuren! minutenlange Gitarrenwixereien! Eunuchengeseier!) platzte der promovierte Jazzgitarrist Hamilton, Spätachtziger-Hardcore im Hinterkopf, mit seiner eigenen brachialen und (Helmet-Spezialwort!) knochentrockenen Konzeption harter Gitarrenmusik, die ganze Generationen von Nachwuchs-Bands nachhaltig prägte. Die 21 auf "Unsung" versammelten Stücke geben in chronologischer Anordnung einen sehr exquisiten Überblick über die Helmetsche Entwicklung, vom spartanischen Hardcore-Gerumse der Frühphase ("Strap It On") über die Noiserock-Meilensteine von "Meantime" und "Betty" bis hin zum beinahe versöhnlichen Spätwerk "Aftertaste". Ob und wie daran angeschlossen werden kann, wird man in zwei Monaten wissen.

 

Links:

McLusky - The Difference Between Me and You Is That I´m Not On Fire

ØØØØ


Too Pure/Beggars/edel (GB 2004)

 

Nich allzu weit aus dem Fensterl lehnen muß man sich, um etwa auch im Waliser Dreierpack von McLusky potente Helmet-Wiedergänger auszumachen. Aber was für welche! Noch um ein Alzerl überdrehter, disharmonischer und vor allem lauter als auf ihrem Meilenstein "McLusky Do Dallas" schmiert einem "The Difference Between Me and You Is That I´m Not On Fire" (produziert vom unvermeidlichen Steve Albini) die konzentrierte Wucht kanalisierten Krachs um und in die Ohren. Gitarre, Baß, Schlagzeug. Mehr ist hier nicht. Und trotzdem sind dauernd Alarm und permanente Tobsucht angesagt. Stop-and-go-Dynamik, verspulter Noisecore und verdichtete Harmonien, dazu fesche Songtitel wie "Your Children Are Waiting For You to Die" oder "Falco vs. The Young Canoeist": Diese Band ist brandgefährlich und sich dessen zum Glück auch bewußt.

 

PS: Der Titel ist natürlich blanke Koketterie. Wer sonst, wenn nicht Andy Falkous und Co., soll denn "on fire" sein?

 

PPS: Wer McLusky einmal live gesehen hat, der weiß, 1. was ein gehöriger Tinnitus (gell, Hr. Knezevic) und 2. ein mehr als verstörtes Publikum ist (gesehen am Donauinselfest 2002).

 

Links:

Kommentare_

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