Print_Kingdom of Gonzo - Interviews mit Hunter S. Thompson

"I piss down the throats of these Nazis"

... schrieb "der Duke" 2003 über die Bush-Regierung - und solche Sätze waren typisch für ihn. Was bei diversen Interviews mit dem Mann herauskam, der den Gonzo-Journalismus erfunden hat, ist in einem soeben auf Deutsch erschienenen Buch nachzulesen.    10.10.2011

Als John F. Kennedys Limousine am 22. November 1963 auf die Elm Street einbog, dauerte es nur noch ein paar Augenblicke, bis zwei Kugeln den Hals und den Kopf des Präsidenten trafen; abgefeuert von Lee Harvey Oswald - oder, wie andere sagen, von der Mafia und dem FBI.

Weit entfernt vom Tatort saß ein damals 26jähriger Jungautor, der bis dahin ein paar Artikel für Sportblätter verfaßt hatte, und schrieb angesichts der Fernsehbilder aus Dallas: "Es gibt im Umkreis von 500 Meilen kein menschliches Wesen, mit dem ich über die Angst und die Abscheu, die ich heute habe, reden kann. Heute ist auf jeden Fall das Ende einer Ära. Schluß mit fair play. Von jetzt an ist es dreckiges Billard und Judo mit Anfassen".

 

Es ist der Moment, an dem Hunter S. Thompson das erste Mal die Wörter "Fear" und "Loathing" gebraucht, und es ist der Startschuß in ein Leben, das so engagiert wie bizarr, so nebulös wie romantisch geführt wurde. Von da an bearbeitete Thompson die großen Themen der amerikanischen Kultur. Er stürzte sich in die Wahlkämpfe wie in den Sport, kandidierte als Sheriff, nahm jede Menge Drogen, experimentierte, schrieb Klassiker der Moderne, fuhr mit Vollgas die Highways rauf und runter und sezierte den amerikanischen Traum.

"Ich bin ein Adrenalin-Junkie", erklärte er, und der Hormonschub konnte von überall herrühren; von der Explosion eines Autos ebenso wie vom Watergate-Skandal um Richard Nixon, von einer guten Partie Basketball, bei der er gegen seine Freunde horrende Summen gewann oder verlor, bis hin zu einem Run mit den Hells Angels, die ganze Landstriche in Angst und Schrecken versetzten. Für Thompson alles ein und dasselbe: "Klar, wir reden hier nicht über Genie, wir reden hier über Verrückte - aber das ist im wesentlichen dasselbe".

 

"Kingdom of Gonzo" ist die verbale und transkribierte Quintessenz des Schaffens dieses Südstaaten-Gentleman, die oral history zu Klassikern wie "Hell’s Angels" und "Fear and Loathing in Las Vegas". Über vier Jahrzehnte ziehen sich die Gespräche, und nicht selten trieb er seine Interviewer dabei fast zum Wahnsinn.

Innerhalb von drei Antworten konnte er seine Gier nach Drogen auf die Begriffe "Freiheit" und "Gerechtigkeit" hin projizieren, um von dort aus auf die Verlogenheit amerikanischer Politik oder den Anarchismus der Angels zu verweisen. Kein Wunder, daß die Tonbandgeräte zumeist erst spät in der Nacht ausgeschaltet wurden, und die Journalisten - überfahren von dem ganzen Irrwitz - nur noch erratische Fragmente bei ihren Redaktionen einreichen konnten.

Aber wenn die Gespräche eines beweisen, dann das: Hinter dem grimmigen Humor verbarg sich nicht bloß ein durchgedrehter Freak, sondern ebenso ein hoffnungsloser Romantiker; jemand, der das Leben und die Gesellschaft ernst nahm, so ernst, daß er sich in seinen besten Momenten darüber schieflachen konnte.

In wütenden, aberwitzigen Wortkaskaden erläutert er den Tod des American Dream, gibt über die Technik des Gonzo-Journalismus Auskunft und wirft im Höchsttempo einen whiskeygetränkten Blick über die politische Lage der 60er, 70er, 80er und 90er - bis hin zum 11. September 2001, den die Regierung zum Anlaß nahm, um Amerika in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verwandeln.

 

Hunter S. Thompson wollte sich sein Naturrecht auf Spaß und Action nie verbieten lassen, und er rebellierte gegen alles, was sich ihm dabei in den Weg stellte. Wenn es hier eine Botschaft für die Nachfolgegeneration gibt, dann hat sie vielleicht P. J. O’Rourke, einer seiner Gesprächspartner, am besten beschrieben:

"Lies Sartre und du wirst feststellen: Das Leben ist absurd, die Welt ergibt keinen Sinn, und die gesamte Schöpfung ist irrsinnig. Lies Hunter S. Thompson, und du wirst feststellen: Das Leben ist absurd, die Welt ergibt keinen Sinn, und die gesamte Schöpfung ist irrsinnig - cool".

Michael Wildberg

Kingdom of Gonzo

ØØØØØ

Interviews mit Hunter S. Thompson

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Bittermann (D 2011)

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