Jeffrey Eugenides - Die Selbstmord-Schwestern
(The Virgin Suicides)
Rowohlt Verlag (München 2005)
Photo: © by Karen Yamauchi
Wer die Story der suizidalen Geschwister in einer deprimierten Kleinstadt nur aus dem Cineasten-Kino kennt, wird von der überragenden Qualität dieses Romans überrascht sein. 16.05.2006
Jeffrey Eugenides, am 8. März 1960 in Detroit, Michigan geboren, veröffentlichte sein Erstlingswerk bereits im Jahr 1983. Sofia Coppola verfilmte die "Virgin Suicides" dann 1999 mit James Woods, Kathleen Turner, Kirsten Dunst und Danny DeVito. 2003 erhielt Eugenides den Pulitzer-Preis für den Roman "Middlesex", der Kritiker und Leser gleichermaßen begeisterte - Grund genug also, die "Selbstmord-Schwestern" 2005 als Taschenbuch wieder herauszubringen.
Zentrales Thema ist auch in diesem Roman die bis zum Äußersten ausgeleuchtete Entscheidungsfreiheit des Individuums. Während der Hermaphrodit Cal Stephanides sich in "Middlesex" letztendlich für ein Leben als Mann entscheidet, wählen die Schwestern in einer mit beinahe apokalyptisch anmutenden Versatzstücken garnierten Szenerie die - juristisch korrekt formuliert - freiwillige Selbsttötung.
Eugenides erzählt seine Geschichte aus der Perspektive der ehemaligen Schulfreunde der Mädchen. Er läßt sie, die mittlerweile mehr oder minder abgeklärte Erwachsene geworden sind, die
tragischen Ereignisse mit der Verstörtheit pubertierender Jugendlicher schildern. Das ist keine Aufarbeitung, sondern vielmehr eine traurige Reminiszenz an die verlorene Unschuld einer ganzen Generation.
Sie sind Zeugen, wie Cecilia, die jüngste der Schwestern, in einem verschlissenen Hochzeitskleid aus dem Fenster springt und vom Gartenzaun gepfählt wird. Verschämt wird dieser Selbstmord als Unglücksfall interpretiert; tatsächlich aber legt er sich wie ein düsterer Schatten auf die verbleibenden Schwestern Mary, Bonnie, Lux und Therese.
Da sowohl ihre Manien als auch ihre Depressionen weit außerhalb des Normalniveaus ihrer kleinbürgerlich-konservativen Umgebung liegen, reagiert diese mit ratloser Betroffenheit. Eugenides konterkariert genau diese Umgebung mit Hinweisen auf das wahre Grauen, das sich hinter den schmucken Fassaden verbirgt - wie die Mafia-Familie in der Nachbarschaft oder den Totengräberstreik, der dazu führt, daß die Lisbons mit Cecilias Leiche eine wahre Odyssee hinter sich bringen müssen, um sie begraben zu können.
Ihre Eltern, beide mit dem eigenen, unendlich schleichenden Selbstmord mehr als ausgelastet, setzen als therapeutische Maßnahme auf eine umfassende Reizabschirmung. Doch diese antimanische Prophylaxe erweist sich als tödliche Falle.
Um die Dynamik des seelischen Verfalls der Mädchen zu dokumentieren, verwendet Eugenides bukolisches Beiwerk: Das Haus der Familie verkommt und verdreckt zusehends, der Garten vertrocknet zu einem unansehnlichen Flecken Land, und zu allem Übel überzieht eine Insektenplage wie ein böses Omen die Vorstadt.
Einen schaurigen Höhepunkt stellt der letzte gemeinsame Kampf der Schwestern dar; da geht es schon nicht mehr um ihr eigenes, sondern um das Leben der Ulme in ihrem Garten, die gefällt werden soll.
Bevor der letzte Vorhang fällt, breitet Jeffrey Eugenides vor seinen Lesern eine mittelalterlich anmutende Moritat aus. Die Schwestern haben sich erfolgreich umgebracht, die Vorstadt wird Opfer einer industrialisierten Moderne, die sie nicht mehr versteht, und die Schulfreunde erkennen sich als weinerliche Verlierer, die immer noch ergebnislos rätseln, wer schuld daran ist, daß die einzige nennenswerte Sensation ihres bisherigen Lebens der Freitod von fünf jungen Mädchen ist.
Daß dem Schriftsteller dabei das Kunststück gelingt, den Leser nicht selbst zum sensationsgeilen Voyeur, sondern zum mittrauernden Beobachter zu machen, verweist so deutlich auf Eugenides´ literarische Qualitäten, daß man sich den Film sparen und lieber gleich dieses großartige Buch lesen sollte.
Jeffrey Eugenides - Die Selbstmord-Schwestern
(The Virgin Suicides)
Rowohlt Verlag (München 2005)
Photo: © by Karen Yamauchi
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