Print_Jana Scheerer - Mein Vater, sein Schwein und ich

Amüsante Schweinerei

Glück muß man haben. Oder Schwein mit dem Verleger - so wie diese deutsche Autorin mit ihrem wunderbaren Debüt.    24.03.2005

Es gibt inzwischen wenige Verleger, die ständig etwas Neues wagen. Obwohl natürlich genau das das Handwerk des Verlegens ist: Der Mut zum stetigen Risiko, verbunden mit verlegerischem Gespür. Beides vereint sich in der Person von Klaus Schöffling. Kein Wunder also, daß der Verlag Schöffling & Co in jedem Programm eine Entdeckung für uns parat hält. Bisher schenkte er uns wunderbare Autor(inn)en wie Burkhard Spinnen und Juli Zeh - und nun zieht er, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, eine weitere Debütantin aus dem Hut: Jana Scheerer.

"Mein Vater, sein Schwein und ich" heißt ihr erstes Buch, das genau so lustig ist, wie der Titel klingt. Und weil Klaus Schöffling weiß, daß wir keine Erzählungen mögen, hat er die 17 Erzählungen Jana Scheerers kurzer Hand "Roman" genannt. Was schon in Ordnung geht, weil es nur eine Etikette ist und sich die chronologischen Geschichten im Buch wunderbar hintereinander weg lesen lassen, in einer Nacht sind wir durch damit. Die Lieblingsgeschichten, die beispielweise von der innerdeutschen Grenzüberschreitung der Familie zu DDR-Zeiten oder die Zuteilung eines Renters in die Verwandtschaft handeln, können wir dann jederzeit nochmals neu lesen. Jana Scheerers Geschichten, hintereinander weg erzählt aus der Sicht des Kindes bis hin zur jungen Frauen, halten das mühelos aus.

Sie leben von ihrer Skurilität und Originalität - welcher Vater bleibt schon eine Woche verschwunden, ohne seine Familie zu benachrichtigen und kann das dann, bei seiner Rückkehr auch noch schlüssig begründen; und wem gelingt es schon einen knallharten Anlage-Berater mit durchaus menschlichen Mitteln auszuhungern - aber auch von ihrer sprachlichen Klarheit und dem erzählerischen Witz.

Mehr als ein sanftes, humorvolles Debüt ist Jana Scheerer da gelungen, geht es doch immer um das Tägliche im Alltäglichen, also wie wir mit uns, unseren Menschen, unserem Leben zurecht kommen. Mit ein bißchen "Schwein", einer guten Portion Humor und offenen Augen könnten wir uns ganz gut durchschlagen, bei Licht betrachtet. Also ist es wohl gar nicht so schlecht bestellt um die Menschheit. Und Jana Scheerer, gerade mal 27 Jahre alt, wird uns hoffentlich möglichst bald wissen lassen, in ihrem nächsten Buch, wie es denn so weiter geht, mit den Schweinen, Reste-Essern, Professoren, Rentnern, Personalchefs, Ersatz-Freunden, den Müttern, Vätern und anderen Menschen. Bald, bitte!

Stefan Becht

Jana Scheerer - Mein Vater, sein Schwein und ich

ØØØØ


Schöffling & Co (D 2004)

 

Photo © Renate von Mangold

 

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