Print_Jonathan Safran Foer - Hier bin ich

Szenen einer Ehe

Jonathan Safran Foer hat mit seinem nunmehr dritten, vor kurzem auf deutsch erschienenen Werk "Hier bin ich" einen zähen, knapp 700 Seiten langen Scheidungsroman geschrieben. Jörn Birkholz versucht sich in der Eheberatung.    10.07.2017

Die Eheleute Julia und Jacob Bloch haben sich auseinandergelebt und wollen sich trennen. "Sie nahmen das Wort Scheidung nicht in den Mund. Er wollte nicht, daß sich das Wort materialisierte." Doch wie gelingt dies, ohne sich selbst und die Kinder (Benjy, Max und Sam) darunter leiden zu lassen? Zudem soll Sam - der älteste der drei Söhne - bald seine Mannwerdung, seine Bar Mizwa feiern und ist davon alles andere als angetan. "Ich wollte definitiv keine Bar Mizwa, nicht die Spur, nicht ein klitzekleines bißchen (...) Wenn ich bedenke, daß ich nullkommanull Interesse an der Tora habe, wäre es wohl besser gewesen, ihnen [den Eltern] einen Jungen zu geben, der sich für jüdischen Scheiß ernsthaft interessiert, vorausgesetzt, es gibt ein solches Kind, mir aber einen der banalen Abschnitte, in denen es um Regeln für menstruierende Leprakranke geht."

Sam verbringt seine Zeit lieber in virtuellen Welten ("Other Life"). "Hier konnte er weniger anständig und nicht ganz so feige sein." Außerdem wird er mit einer Liste rassistischer Schimpfwörter konfrontiert, die man ihm unterschiebt und die ihm eine Schulsperre einbringt, obwohl er vehement bestreitet, der Verfasser zu sein. "Du willst, daß ich mich für Worte entschuldige, die ich nicht geschrieben habe, damit ich eine Bar Mizwa feiere, die nur du willst."

 

Jacob hadert mit sich selbst, mit seiner Ehe, mit seiner Familie und seinem Job - er ist Fernsehautor, ernsthafte schriftstellerische Ambitionen hat er schon vor langer Zeit aufgegeben - und auch mit seiner "Rolle" als Jude. Seine Lebenssituation faßt er wie folgt zusammen: "Ich habe reichlich Probleme. Meine Kinder starren den ganzen Tag auf Bildschirme. Mein Hund ist inkontinent. Ich habe eine unersättliche Gier auf Pornos, kann aber nicht unbedingt mit einer Erektion rechnen, wenn ich eine analoge Möse vor der Nase habe. Ich werde kahl. (...) Julia behauptet, ich würde an nichts glauben. Vielleicht hat sie recht."

Zu allem Überfluß hat sich die jüdische Verwandtschaft angekündigt, die zu diesem Anlaß extra aus Israel anreist. Wie auf Bestellung stirbt pünktlich zur Ankunft der Verwandten Jacobs Großvater Isaac - und das, kurz bevor er in ein jüdisches Seniorenheim abgeschoben werden sollte. Nach eigenem Bekunden hatte er sich nur noch am Leben erhalten, um die Bar Mizwa seines Enkels mitzuerleben.

 

Im Klappentext heißt es: »Hier bin ich« erzählt von vier turbulenten Wochen im Leben einer Familie in tiefer Krise.

"Krise" ja, "turbulent" kann man da schon weniger behaupten. Sieht man einmal von der leicht skurrilen Anekdote ab, daß Jacob auf der Flughafentoilette zufällig neben Steven Spielberg uriniert und feststellt, daß dieser nicht beschnitten ist. "Er war es. Eindeutig. Jacob stand mit entblößtem Penis neben Steven Spielberg, dessen Penis ebenfalls entblößt war. Bemerkenswert war nicht die Größe - Spielbergs Penis war nicht länger, kürzer, breiter oder schmaler als der Penis anderer dickbäuchiger jüdischer Großväter. Bemerkenswert war, was nicht fehlte: die Vorhaut."

Überhaupt kommt in Foers Roman leider wenig Dynamik auf. Der Plot plätschert vor sich hin; da hilft es auch nicht, daß kurz nach der Ankunft der Verwandten in Washington in Israel auch noch ein heftiges Erdbeben stattgefunden hat, was die gerade Angekommenen daran hindert, zu ihren Familien zurückzukehren, da die komplette Infrastruktur zusammengebrochen ist. Das Ereignis macht auch den letzten Willen des soeben verstorbenen Großvaters zunichte, in seine Heimat überführt und dort beerdigt zu werden. Aber auch hier bringt man wenig Empathie für die Figuren auf, sie packen einen nicht wirklich, sondern erscheinen schablonenhaft, hölzern und auch irgendwie austauschbar.

Ein nicht zu unterschlagender Schwachpunkt des Romans ist die häufig gestelzt wirkende, abgeklärte Sprache, die besonders bei den Kindern auffällt. Schließlich haben wir es in "Hier bin ich" nicht mit einer Schar von Hochbegabten zu tun, wie beispielsweise den Sprößlingen der Familie Glass bei J. D. Salinger, die davon abgesehen auch deutlich älter waren. Daher scheint es ein wenig überambitioniert, einem Zehnjährigen (Max) und einem Sechs- oder Siebenjährigen (Benjy) folgende Worte in den Mund zu legen:

 

Max: "Warum schickst du ihn (Sam) nicht gleich nach Uganda und läßt sein Skrotum unter Strom setzen?"  (...) "Das ist das Epitom des Lebens." (...)

"Nein", sagte Benjy und wandte sich an Jacob. "Warum ist Fallen nicht das Epitom des Lebens?"

"Ich fürchte, ich verstehe deine Frage nicht."

(...)

Max: "Ich organisiere gerade Arbeits-Valenzen, die ich für eine Resonanz-Promotion benötige. Dann kann ich mir durch Tausch etwas psychische Auspolsterung besorgen ..."

(...)

Benjy: "Und worauf sollen wir unser Leben ausrichten? Gibt es Fossilien von Fossilien, wenn die Welt lange genug existiert?"

"Oh, Benjy. Gute Frage. Wir reden morgen darüber."

"Ja, ich brauche meinen Schlaf."

 

Ab der Mitte nimmt "Hier bin ich" dann ein wenig Fahrt auf, und man bleibt dran. Aber leider kann der Text diesen Schwung nicht halten, der Roman trottet nach einer Weile wieder vor sich hin. Er bleibt im gleichen Fahrwasser und nimmt einen trotz der nach dem Erdbeben entstandenen katastrophalen Verhältnisse und der Thematisierung der politischen Konflikte im Nahen Osten nicht richtig mit. "Hier bin ich" ist eine Lektüre, die man sich getrost sparen kann. Sehen Sie sich stattdessen lieber Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe an", da haben Sie mehr davon.

Jörn Birkholz

Jonathan Safran Foer - Hier bin ich

ØØ

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Kiepenheuer & Witsch (D 2016)

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