Print_Orson Scott Card - Enders Schatten
Gebt den Kindern das Kommando!
Zwischen rauhem Straßenalltag und staatlicher Indoktrination soll eine Handvoll Halbwüchsiger die Welt vor sich selbst und bösen Außerirdischen retten. Klingt spannend - und ist es auch.
15.02.2005
Der kleine Bean ist ein Kind der Straßen Rotterdams. Während die Welt vor einem erneuten Angriff der Fornics, einer außerirdischen Spezies, zittert, kämpft er ums nackte Überleben. Denn der Alltag ist gefährlich und der Vierjährige selbst für sein Alter erstaunlich klein. Lediglich sein überragender Intellekt schützt den Underdog vor dem Hungertod und der Gefahr, von anderen Kindern wegen ein paar Nahrungskrümeln erschlagen zu werden. Dank eines eiskalten, wenn auch ausgeklügelten Plans wird er schließlich in eine der zahlreichen Kinderbanden aufgenommen und beginnt sein Netz zu spinnen ...
Bereits nach kurzer Zeit spricht man von einer Form der Zivilisierung in Rotterdam: Die bisher von der Öffentlichkeit verachteten Kids prügeln sich nicht mehr gegenseitig, stattdessen werden ehemals halbwüchsige Schläger nach außen hin zu Vaterfiguren und sorgen dafür, daß die Kleineren in den Suppenküchen auch wirklich etwas zu essen bekommen.
Dort wird man auch auf Beans überragenden Intellekt aufmerksam und schon bald findet sich das kleine Genie auf der sogenannten Kampfschule der IF wieder. Gemeinsam mit anderen Wunderkindern soll er im taktischen Kampf gegen die Fornics unterwiesen werden, denn die Zeit für den Planeten Erde läuft ab und diese Kinder sind die letzte Hoffnung der Menschheit.
Doch während der militärische Nachwuchs von den Lehrern gedrillt wird, entdeckt der Bursche auch auf dem Stützpunkt die ihm noch von der Straße bekannten Machtspielchen innerhalb der Kindsoldaten und des Systems. Anhand zahlreicher als Freizeitaktivitäten getarnter Vorrichtungen erstellen die Obrigkeiten psychologische Profile der Kinder und formen die Zöglinge nach ihrem Willen. Obwohl es dem ehrgeizigen Bean vorerst gelingt, den Apparat mit seinen eigenen Mitteln zu kontern, steht er doch die gesamte Ausbildungsdauer im Schatten von Ender Wiggins, einem anderen Wunderkind, auf das alle Blicke gerichtet sind. Ob der kleine Bean es schaffen wird, von seinen Kameraden akzeptiert zu werden, dem System ein Schnippchen zu schlagen, mit Wiggins mithalten zu können und - was noch viel wichtiger ist - im Kampf gegen die Fornics zu bestehen, lesen Sie am besten selbst. Denn bis zum Schluß hat der Autor noch in jeder Hinsicht einige Überraschungen parat.

Orson Scott Cards im Original 1999 erschienene Erzählung fungiert als unabhängiger Parallelroman zum 1985 entstandenen "Ender's Game" (dt. Titel: "Das große Spiel"), der die Geschichte aus der Sicht von Ender Wiggins erzählt. Sowohl zur Ender-Wiggins-, als auch zur Bean-Reihe (a.k.a. Schatten-Reihe) existieren mittlerweile einige Fortsetzungen.
Am ehesten ließe sich der Roman wohl als Mischung aus Goldings "Herr der Fliegen" und Robert A. Heinleins "Starship Troopers" bezeichnen. Vom Krieg selbst handelt dabei nur ein Bruchteil des Werkes, Cards Augenmerk liegt vielmehr auf dem Heranwachsen des jungen Bean innerhalb der verschiedenen Gruppen, der sozialen Interaktion der Kinder und ihrer Manipulation von oben.
Dabei läßt der Autor jedoch nie die Handlung schleifen, sondern verwebt gekonnt philosophische Ansätze mit spannender Aktion, in der sich wiederum gelungene Charaktere wiederfinden. Glasklare Pflichtlektüre!
Blick in die Zukunft
"Enders Schatten" ist jedoch nicht nur ein hervorragendes Stück SF, sondern auch der zweite Band, der innerhalb der von Herausgeber Frank Festa und SF-Autor Michael Nagula (für Perry-Rhodan-Leser garantiert kein Unbekannter) gegründeten Reihe Festa SF veröffentlicht wurde. Nach Dan Simmons Kurzgeschichtenband "Welten und Zeit genug" (lesen Sie dazu den EVOLVER-Review) liegt damit der erste Roman vor. Eine wahre Wohltat für Freunde anspruchsvoller Science Fiction, beschränken sich doch die sonstigen Veröffentlichungen auf dem deutschsprachigen Markt inzwischen weitgehend auf diverse Space Operas oder Franchise-Romane. Den letzten Lichtblick bescherte uns Ende der Neunziger der Argument Verlag mit seiner Social-Fantasies-Reihe, seither war es hierzulande erschreckend still geworden.
Mit der Festa-SF-Reihe darf man wieder Hoffnung schöpfen und sich schon jetzt auf ein paar interessante Veröffentlichungen freuen. Neben Robert J. Sawyers "Die Neanderthal-Parallaxe", John Barnes "Der Himmel, so weit und schwarz" und Nany Kress' "Sternspringer" stehen auch die weiteren Bände der Schatten-Reihe Cards auf dem Programm. Erscheinen werden die Titel zunächst zweimonatlich, im Laufe des Jahres will man auf monatliche Veröffentlichungsweise umsteigen. Wir sind als Liebhaber hochwertiger SF ebenso gespannt wie Sie und werden über kommende Neuerscheinungen natürlich im EVOLVER berichten.
Jürgen Fichtinger
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