Print_Aldo Chimenti - Death in June

Homoerotische Nazi-Ästhetik

Kaum eine Band hat wohl in den letzten Jahrzehnten für so viel Verwirrung gesorgt wie jene Wegbereiter des Neofolk. Nach einigem Warten liegt nun - halbwegs pünktlich zum dreißigjährigen Jubiläum der Gründung - die deutsche Übersetzung ihrer Monumentalbiographie vor.    15.04.2012

"Death in June" ist ein zwischen Misanthropie, Runenmagie und Europäismus angesiedeltes Gesamtkunstwerk des homosexuellen Grenzgängers Douglas Pearce. Da sich dieser im Laufe seines Projekts auch immer stärker in einem Geflecht zweideutiger Aneignungen nationalsozialistischer Ästhetik verfing, wurde die Band sehr schnell zu einer willkommenen Projektionsfläche für Links, Rechts und Jenseits.

Dem Gegenkultur-Theoretiker Alexander Nym sei gedankt. Erstens dafür, daß dieses Buch in dieser Form - nämlich in ordentlicher, kommentierter Übersetzung und bei einem seriösen Verlag - überhaupt erscheinen konnte. Zweitens für ein Meisterstück von einem Vorwort, das auf vier Seiten punktgenau die Stärken und Schwächen Chimentis aufzeigt und nebenbei mindestens genausoviel über Death In June auszusagen vermag wie das gesamte Buch auf deren vierhunderteinundvierzig.

 

Ganz im Gegensatz zum auf den Punkt kommenden Nym ist Aldo Chimenti nämlich ein Fabulierer. Ein glühender Adorant, der in die Welt seiner vergötterten Band einführt, sich mit Herzblut von der Seele schreibt, was diese in all den Jahren der Bewunderung an Gedankengebäuden in ihm hat entstehen lassen.

Er streift mit traumwandlerischer Sicherheit durch all die sekundären Referenzen, die sich im Laufe der Zeit rund um die Band entsponnen haben. Hat von Yukio Mishima bis Jean Genet wohl alles und mehr gelesen und auswendiggelernt, was auch der Meister gelesen und internalisiert hat, ist jedem seiner Schritte gefolgt. Ist loyaler Weggefährte; was natürlich gut paßt, denn das Ringen um beziehungsweise die Frage nach einer adäquaten Loyalität ist ja eines der Schlüsselthemen des Projekts Death In June.

 

 "Verborgen unter Runen" ist demnach keine objektivierte Bandgeschichte, sondern eine Lobeshymne hoch zehntausend. Ist parteiischer Teil dieses obskuren Paralleluniversums, das von seinem Schöpfer mit Fixsternen versehen wurde, die je nach Betrachtungsweise politische oder privatime Namen tragen. Wie welcher Stern unter welcher Bedeutung zu welchem Sternbild verknüpft wird, läßt Douglas Pearce dem Betrachter offen.

"Any misinterpretation, or interpretation, of the work of Death In June is valid because it all contributes towards the lifeforce of Death In June”, hat er an anderer Stelle einst gesagt, und dieser Satz wird wohl nie seine Gültigkeit verlieren.

So konstruiert Chimenti eine wunderbar wundersame Anhäufung gültiger Fehlinterpretationen, in die er - und erst das macht das Buch lesenswert - eine Unzahl von interessanten Fakten einbaut, die man aber per selektiven Lesemodus anzusteuern lernen muß.

Soll heißen: Die ermüdenden Hitzköpfigkeiten und Zuschreibungsorgien überfliegen und erst wieder in die Tiefe gehen, wo erzählt und nicht phantasiert wird. Neben den interpretatorischen Ausschweifungen macht auch der Stil das Lesen immer wieder zu einer Tour de Force. Sprachlich und chronologisch redundant, altertümlich hochtrabend, extrem fremdwortaffin - was anfangs noch originell und lehrreich wirkt, wird schon bald zu einer sinnlos belehrenden Selbstverliebtheit.

 

Immerhin, das eine oder andere neue wohlklingende Fremdwort wird wohl jeder in seinem Wortschatz willkommen heißen dürfen. Jene Passagen, in denen Alben Song für Song durchdekliniert und die Lyrics ausschweifend seziert werden, kann man beim ersten Lesen getrost überfliegen. Allein schon deshalb, um sich die ewigen Wortwiederholungen in der Musikbeschreibung und die ungerechtfertigten Überhöhungen zu ersparen. Was nicht heißt, daß nicht auch in diesen Abschnitten interessanten Fakten zu finden wären, doch wird man wohl lieber später zurückkehren oder sich beim gelegentlichen Anhören der betreffenden Scheiben Chimentis Elaborate selektiv zu Gemüte führen.

Und so gelangt man zu den guten Seiten des Buches. Den vielen erhellenden Interviews. Den detailreichen bandhistorischen Passagen. Den Bildern; beispielsweise dem Scan von Pearces handschriftlicher Stellungnahme zur legendären Konzertabsage beim Hamburger Dark X-Mas Festival. Die auftretenden Bands wurden damals spontan aufgefordert, eine Proklamation gegen Neonazi-Übergriffe auf Asylantenheime zu unterschreiben, was der sich nie politisch deklarierende Douglas P. verweigerte.

Seitdem wird diese Aktion immer wieder als Beweis für seine angebliche rechtsextreme Gesinnung geführt, dabei zeugt das Bild von einer selten so eindeutig geäußerten Festlegung. So schreibt er unter anderem:

"Wir brauchen niemanden, um das Offensichtliche zu sagen, nämlich daß hirnlose, gewalttätige Angriffe auf wen auch immer aus rassischen, sexuellen oder politischen Beweggründen bedauerliche Verbrechen sind."

Daß er die Dimension der sexuellen Diskriminierung anspricht, ist natürlich auch im Kontext seiner per Regenbogenfahne offen auf die Bühne getragenen Homosexualität zu sehen; ein Aspekt, den Chimenti nur erstaunlich peripher streift.

Erwähnenswert auch, daß der Death In June-Vorläuferband Crisis viel Raum gewährt wird; ein Kapitel, das so bislang noch nicht erzählt wurde. Da kann dem Autor schon verziehen werden, daß er aus Crisis die beste, radikalste und innovativste Punk-Band aller Zeiten macht ... es bleibe dem Leser überlassen, sich dazu seine Meinung zu bilden.

 

"Verborgen unter Runen" ist ein ambivalenter Bastard, eine unter Zuschreibungsschleiern verborgene Realphantasmagorie - und so vorrangig ein Buch für Hardcore-Fans, gewiß. Daß es trotz allem eine höchst lesenswerte Heranführung an diese stilprägenden Band darstellt, ist vor allem den Kommentaren Alexander Nyms zu verdanken.

Douglas Pearce jedenfalls darf sich freuen. In Aldo Chimenti hat er einen begeisterten Biographen gefunden, der - ganz im Geiste kameradschaftlicher Subjektivität - die Reste jener geheimnisvollen Aura, die für Death In June von Beginn an konstitutive Treibkraft war, in die Bandneuzeit herüberrettet.

Daniel Krcal

Aldo Chimenti: Death in June - Verborgen unter Runen

ØØØØ

Death in June - A l'ombre des runes

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Plöttner Verlag (D 2012)

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Aldo Chimenti - Death in June

Homoerotische Nazi-Ästhetik

Kaum eine Band hat wohl in den letzten Jahrzehnten für so viel Verwirrung gesorgt wie jene Wegbereiter des Neofolk. Nach einigem Warten liegt nun - halbwegs pünktlich zum dreißigjährigen Jubiläum der Gründung - die deutsche Übersetzung ihrer Monumentalbiographie vor.