Die Klippen der Erinnerung

Der Filmheld sucht den Mörder seiner Frau - seit wann und ob er ihn schon gefunden hat, weiß er allerdings nicht. In Christopher Nolans Psychothriller "Memento" ist einfach alles ungewöhnlich, und genau das macht ihn so sehenswert.

Ein Mann erwacht und kann sich an nichts erinnern, was in letzter Zeit vorgefallen ist. Von dieser Grundidee sind schon zahlreiche gute und weniger gute Noir-Thriller ausgegangen - aber keiner hat seine Sache so ausgezeichnet und intelligent gemacht wie Christopher Nolans "Memento".

Das letzte Ereignis, das in Leonards (gespielt von dem aus "L. A. Confidential" bekannten Guy Pearce, der immer besser wird) grauen Zellen gespeichert wurde, ist die Ermordung seiner Frau. Damals bekam er vom einem der Täter einen Tritt gegen den Kopf, und seither ist sein Gehirn nicht mehr in der Lage, Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis aufzunehmen. Er muß also ungefähr alle 20 Minuten sein Leben neu anfangen; nicht gerade eine einfache Ausgangssituation, wenn man sich auf dem privaten Rachefeldzug gegen einen Mörder befindet.

Um sich halbwegs orientieren zu können, macht sich Leonard dauernd Notizen, nimmt Polaroids auf, die er mit Kurzbeschreibungen von Freunden, Informanten und Verdächtigen versieht, und läßt sich die wichtigsten Fakten, die er bei seiner Suche herausgefunden hat, auf den Körper tätowieren. Trotzdem entdeckt er - und der Zuseher mit ihm - recht bald, daß er niemandem trauen kann. Ist Teddy (Joe Pantoliano), der ihm bei seinen Ermittlungen scheinbar hilfreich zur Seite steht, in Wahrheit doch ein Verbündeter der Killer? Nützt ihn die Bardame Natalie (wie immer hinreißend: Carrie-Anne Moss aus "Matrix") nur für ihre eigenen, undurchsichtigen Zwecke aus? Und hat er selbst den Mörder seiner Frau nicht vielleicht längst schon entlarvt, hingerichtet - und danach gleich wieder vergessen?

Als wäre es nicht perfide genug, daß der begabte Regisseur Nolan seinen Protagonisten und das Publikum auf eine Reise durch schwärzeste Thriller-Paranoia führt, hat er auch noch eine Erzählmethode gewählt, die höchste Konzentration verlangt: "Memento" beginnt mit der Erschießung eines Mannes aus nächster Nähe und wird von da an rückwärts erzählt, in einzelnen Segmenten, die jeweils so lang sind wie Leonards "Gedächtniseinheiten". Daß man dabei in ungewohnten Schleifen denken und auf jede Einzelheit achten muß, macht den Film umso sehenswerter und spannender, weil es die innere Situation der Hauptperson verdeutlicht. Daß dieses Meisterwerk trotzdem auch vom US-Publikum akzeptiert und in der "Internet Movie Database" zu einem der beliebtesten Filme der letzten Zeit gewählt wurde, ist überraschend und läßt hoffen, daß die Macht des Hollywood-Familienschwachsinns gebrochen werden kann.

Aber wahrscheinlich erinnert sich in ein paar Monaten eh wieder keiner mehr dran...

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Einfach nur Genial!
(Gerhard, 13.11.2001 17:45)

Merci, dass es dich gibt!
(Alex, 14.11.2001 18:32)

ja
(stefan, 17.11.2001 23:32)