Wiener Blues

Ein Ich-Erzähler denkt über seinen Freund, den Gitarristen Gustl, und ihre gemeinsame, wechselhafte Geschichte nach. Nachzulesen sind diese Überlegungen in Richard Weihs´ "Der Blues-Gustl. Eine Wiener Legende".

Es beginnt alles in den frühen Siebzigern bei einem Konzert. Richi und Gustl - letzterer mit bürgerlichem Namen damals noch August Zeliborsky - kommen nach dem Gig, bei dem der Jungspund als Special Guest mitklampfen darf, ins Fachsimpeln. Richi ist fasziniert von der Virtuosität dieses schmächtigen Bürschchens, von seiner Fachkenntnis über alles, was mit Blues zu tun hat - und in der Folge angezogen von einer schwierigen Persönlichkeit.

In 33 kurzweiligen Kapiteln breitet der Autor Richard Weihs - seines Zeichens selbst begnadeter Blues-Musiker und Kabarettist - Stationen eines Lebens aus, wie es wienerischer nicht sein könnte. Fast meint man den Ich-Erzähler an seinem Schreibtisch, beim Heurigen hinter einem Glaserl oder im Herbst auf einem Bankerl unter dem Riesenrad sitzen zu sehen - überall dort, wo er über den Gustl sinniert, über all die Jahre, in denen sich die beiden ungleichen Freunde in sinusartigen Wellen aufeinander zubewegt und wieder voneinander entfernt haben.

Der Gustl also, Shooting-Star der "Szene", Weiberheld, Politaktivist per Zufall, Schulabbrecher aus Neigung, zorniger junger Mann mit Pariser Jahren - "Heimkehrer" im Sinne Roland Neuwirths ("Jeder Ratz lieb sein Kanäu"), Aufsteiger, Absandler, Saufbold, Getriebener, Verzweifelter, Genialer - und typischer Wiener.

Das Raunzen, das Schimpfen und gleichzeitig das Verliebtsein in die momentane Obsession sind seine Natur. Daß diese Lebenshaltung, die mit Exzessen alkoholischer Natur Hand in Hand geht, ihren Tribut fordert, ist klar. Aber einer wie der Gustl ist auch ein unglaubliches Stehaufmanderl, dessen persönliche Karriere immer wieder vollkommen unerwartete Haken schlägt. Richi ist teilweise sehr nahe dran an dieser eigenwilligen Biographie, dann wieder weiß er über Jahre nichts von seinem Jugendfreund - und die beiden haben sich für sehr unterschiedliche Richtungen entschieden. Während der Gustl mit einem Gutteil selbstzerstörerischer Energie durch seine Existenz tobt, hat Richi Familie gegründet, sich einen ordentlichen Beruf zugelegt, hütet zwei Kinder, entfremdet sich von seiner Frau, läßt sich scheiden - und spielt die Brüche in seinem Leben anders durch.

Die Matrix, auf der eine liebenswerte, berührende, witzige und traurige Geschichte erzählt wird, ist Wien, ist der österreichische Zustand der 70er und 80er Jahre. Gustl und Richi sind überall live dabei - egal, ob es sich um die großen Demos, die Besetzung der Arena, die Aktionen in der Hainburger Au, legendäre Konzerte im Amerlinghaus etc. handelt. Die Wege, die die beiden spätnachts und meist in mäandernder Form von Beisl zu Beisl führen, sind WienkennerInnen vertrautes Ambiente. Und auch die Personen aus der Liedermacher/Musiker/Kleinkunstszene, die auf ein Plauscherl vorbeikommen, sind alte Bekannte von damals...

Wie weit der Richi und der Autor miteinander verwandt sind, bleibt Privatsache des Autors - der Gustl jedenfalls ist so authentisch, daß sich der eine oder die andere schon gefragt hat, wo er denn zuletzt aufgetreten ist und ob man ihn vielleicht beim Volksstimme-Fest anno dingsda nicht vielleicht on stage erlebt hat.

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Über den Autor:
Richard Weihs ist Autor, Herausgeber, Musiker und Kabarettist; zur Zeit ist sein fünftes Solokabarettprogramm im Entstehen. Im vergangenen Jahr hat er in der Edition Uhudla "Wiener Wut. Das Schimpfwörterlexikon" (siehe EVOLVER-Rezension) herausgegeben. Weihs lebt in Wien und Niederösterreich.