Stories_Ars Electronica 2004: Timeshift

Neues Bildschirmleben

Das Internet soll seinen zweiten Frühling erleben - zumindest, wenn es nach der "Ars Electronica" 2004 geht, die unter dem Motto "Timeshift" steht. Stefan Becht kündigt an.    30.08.2004

In einer Zeit wie unserer, in der die Gegenwart die Zukunft tragen muß und selbst der Granddaddy des Cyberspace, der Science-Fiction-Autor William Gibson, in seinem neuen Buch "Mustererkennung" (Originaltitel: "Pattern Recognition") wieder in der Gegenwart angekommen ist, ist es ganz schön mutig, seine Veranstaltung "Timeshift - Die Welt in 25 Jahren" zu nennen. Wenn es sich dabei nicht um eine der Lieblingsveranstaltungen vieler Computermenschen handelte, nämlich die Linzer "Ars Electronica", die dieses Jahr vom 2. bis 7. September stattfindet, würde man da wahrscheinlich gar nicht genauer hinsehen.

 

"Ausgangspunkt ist die Analyse der vergangenen 25 Jahre", heißt es im Festivalprogramm, "Ziel sind die zukunftsweisenden Entwicklungen in Kunst, Technologie und Gesellschaft der nächsten 25 Jahre." Dazu rief die "Ars Electronica" noch einmal alle zusammen, die die "digitale Revolution" (Zitat: Louis Rossetto, "Wired"), das "goldene Internet-Zeitalter" (das war gerade erst!) und den "Long Boom" (Kevin Kelly und Peter Schwartz) begleitet und mitgeprägt haben. So liest sich die Liste der Referent(inn)en, die in Linz dabei sein werden, auch wie ein Who´s who der Netz-Prominenz: Paul Virilio (Philosoph und geistiger Wegbereiter bzw. Vordenker der digitalen Gesellschaft), Howard Rheingold ("Whole Earth Review"-Kind, Autor, Spürhund der "Digital Communities", Mitarbeiter des Online-Diensts "The WELL" und erster Chefredakteur von "Hotwired"), Marvin Minsky (der Experte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz schlechthin, tätig am renommierten MIT MediaLab), Derrick de Kerckhove (Direktor des Marshall-McLuhan-Programms an der Universität Toronto), Stewart Brand ("Whole Earth Review"-Erfinder, "WELL"-Gründer, Autor, Photograph und Zeugs-Sammler), Sherry Turkle (Soziologin, Psychologin, Autorin des Buches "Life on the Screen" und Internet-Identitätsforscherin unter dem Motto "Ich bin viele"), Esther Dyson (Publizistin und ehemals Vorsitzende der Internet-Domain-Vergabe-Stelle ICANN) sowie SF-Buch- und Weblog-Autor Bruce Sterling. Und das ist nur ein Auszug der Referentenliste...

 

Mit dabei ist auch einer, der ziemlich gut in der Gegenwart angekommen ist: Jimmy Wales, der Gründer der offenen Web-Enzyklopädie "Wikipedia", der sich nicht nur tagtäglich mit enzyklopädischen Stichworten, sondern auch mit Menschen, die diese Stichworte schreiben, verändern, neu schreiben und wieder verändern, herumschlagen muß. Wie er das managt (und zwar offensichtlich sehr erfolgreich), wird er in Linz erzählen - und damit einen Vorgeschmack auf das liefern, was in den nächsten Jahren via Web auf uns zukommt: schnelle, globale und verbindliche Interaktion und Kommunikation mit vielen Menschen. Mit anderen Worten: Das Internet feiert gerade seinen zweiten Frühling. Wer´s nicht glauben mag, besucht neben den Symposien, Foren und Konferenzen eine der vielen "Cyber-Art"-Ausstellungen, die aus der ganzen Welt kommen, oder einen der "Events".

 

Der Katalog zur diesjährigen "Ars Electronica" erscheint im Verlag Hatje Cantz, bei dem auch das schöne Buch "Ars Electronica 1979-2004. 25 Jahre Netzwerk für Kunst, Technologie und Gesellschaft" verlegt wird.

Stefan Becht

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