Stories_Florian Illies/Interview

Skeptischer Optimismus

"Ich wäre schon froh, wenn ich so tapfer sein könnte wie Ron Weasley". Der Autor von "Generation Golf" im Gespräch mit Stefan Becht.    20.10.2003

Mit 28 Jahren schrieb Florian Illies, geboren 1971, "Generation Golf" - eindeutig als Kultbuch angelegt und "im eitlen Glauben, damit lasse sich die Geschichte einer ganzen Generation erzählen". Nun legte der Journalist (der unter anderem für die FAZ arbeitet) mit dem Werk "Generation Golf zwei" nach.

Erschien der Vorgänger noch im relativ kleinen Argon-Verlag, so wechselte der Autor vor kurzem für die sagenhafte Garantiesumme von einer Million Euro zum Karl Blessing Verlag nach München. Die Frage, ob er sich angesichts dieses horrenden Honorars nicht von seinen Generationsgenossen, bei denen laut "Generation Golf zwei" die neue Bescheidenheit Einzug gehalten hat, ausgeschlossen fühle, übersprang Florian Illies kühn. "Dabei sein und trotzdem nicht dazu gehören, sich nicht gemein machen", diese alte Maxime von Hanns-Joachim Friedrichs, ist wohl auch für ihn der Maßstab für subjektiven, engagierten Journalismus.

Telefonieren ist zwar schön und gut, schreiben aber noch besser. Deshalb "sprach" Stefan Becht mit Florian Illies lieber via E-Mail...

 

 

EVOLVER: Wie wollen Sie in 15 Jahren Ihren halbwüchsigen Kindern erklären, was ein Golf war?

Florian Illies: Na ja, das war so ein Gerät aus Blech mit Lichtern vorne dran, mit dem man früher durch die Straßen fuhr, als es die ganzen Flugmaschinen noch nicht gab. Alle zwei, drei Jahre gab es einen neuen Golf, und das wurde im ganzen Land gefeiert wie ein Regierungswechsel.

 

EVOLVER: Was ist die Hoffnung Ihrer Generation?

Illies: Daß der Golf noch lange fährt. Daß die Rückenprobleme nicht stärker werden. Daß wir glücklich werden.

 

EVOLVER: Und was ist Ihre ganz persönliche Hoffnung?

Illies: Auch in diesem Punkt bin ich ganz Teil meiner Generation...

 

EVOLVER: Lassen Sie uns einen Moment über Liebe sprechen ... dazu konnten wir in Ihrem Buch nichts finden (auch nicht im sehr schönen Stichwortregister). Ist dieses Ausklammern eines durchaus berührenden Themas generationstypisch oder ein Schutzmechanismus des Autors?

Illies: Vor der Liebe muß man sich doch nicht schützen! Und in punkto Liebe glaube ich, ist diese Generation genau irrational und leidenschaftlich wie alle anderen Generationen auch.

 

EVOLVER: Wie lautet Ihr eigenes Lieblingsstichwort im Register?

Illies: Hmmm, vielleicht "skeptischer Optimismus"...

 

EVOLVER: Ihre momentane Lieblings-Website, abgesehen von Google?

Illies: www.deutschesbaumarchiv.de

 

EVOLVER: Ihr momentanes Lieblingsbuch, abgesehen von "Maries Reise"?

Illies: Gregor Hens - "Himmelsturz" und Michael Kumpfmüller - "Durst"

 

EVOLVER: Ihre momentane Lieblings-CD oder Ihr momentanes Lieblingslied, abgesehen von "Hotel California"?

Illies: Bach, Goldberg-Variationen, Nr. 21 und 22. Nachdem ich daran gescheitert bin, sie selbst spielen zu können, höre ich sie mir jetzt an, am liebsten von Glenn Gould.

 

EVOLVER: Ihr momentaner Lieblingsfilm, abgesehen von "Amelie"?

Illies: Vielleicht "Edel & Starck", die Anwaltsserie bei SAT1 - da ist immer so schönes Wetter in Berlin. Und außerdem gibt es da etwas, was man sonst selten sieht im deutschen Fernsehen: Humor und Selbstironie.

 

EVOLVER: Ihr Buch strotzt vor Medienrezeption, ob via TV, Zeitung oder Zeitschrift - von der "Börse im Ersten" über die "Harald Schmidt Show und "Big Brother" bis zu Harald Martenstein im "Tagespiegel" und Ulf Poschardt ist da alles dabei. Ist diese Wahrnehmung der Welt durch die mediale Über- und Umsetzung etwas Generationstypisches oder outet sich hier der Medien-Freak Illies?

Illies: Ich glaube schon, daß das gleichzeitige Lesen mehrerer Zeitungen oder Zeitschriften genauso wie das Zappen im Fernsehen typisch ist für viele aus der Generation Golf. Und ich bin in diesem Punkt ein Prototyp. Aber ich glaube halt auch, daß sich in Sprache, Werbung oder eben auch den Medien vieles verdichtet, was den Geist oder Ungeist unserer Zeit ausmacht. Und deshalb bin ich als Autor so fasziniert davon, wenn ich in "Verbotene Liebe" spüre, wie die Wirtschaftskrise sogar in die Daily Soaps durchschlägt.

 

EVOLVER: Geht Ihnen der Hype um Ihre Person, der "Hillary Potter" (Harald Schmidt), der "Zeitdoktor Illies" ("Der Spiegel"), nicht langsam selbst auf die Nerven?

Illies: Wer in der Öffentlichkeit steht, muß damit leben, daß ihm ständig irgendwelche Etiketten aufgepappt werden. Aber ob sie haften bleiben, ist eine ganz andere Frage. Haften bleibt nur, was den Platzregen des Alltags übersteht; alles andere wird bald abgewaschen sein.

 

EVOLVER: Welche Pläne haben Sie für die nähere Zukunft?

Illies: In "Generation Golf zwei" schreibe ich lange über die Floskel "Ich könnte mir mal vorstellen, mal was ganz anderes zu machen". Weil ich mich selbst so fürchte, diesen Satz noch einmal zu sagen, werde ich erst etwas anderes machen - und dann darüber reden. Als nächstes jedoch steht eine große Lesereise an.

 

EVOLVER: Der Tod scheint für Sie, ähnlich wie für Albus Dumbledore in "Harry Potter", "nur das nächste große Abenteuer für den vorbereiteten Geist" zu sein - oder wie erklären Sie sich das Verklären Ihres Abschlußsatzes "in the long run we are all dead"?

Illies: Nun hat Albus Dumbledore in den vergangenen 150 Jahren ja auch einiges geleistet, sodaß er so etwas sagen kann. Ich wäre schon froh, wenn ich so tapfer sein könnte wie Ron Weasley.

Stefan Becht

Florian Illies - Generation Golf zwei

ØØØØ


Blessing-Verlag (München 2003)

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