Stories_Google und das große Geld

Amazonen riechen Gold

Die Silicon-Valley-Prominenz, allen voran Amazon-Chef Jeff Bezos, stützt öffentlich Googles Börsengang, der von zunehmender Nervosität geprägt wird.    30.06.2004

Jeffrey P. Bezos (40), Chef des größten Web-Warenhauses der Welt und laut "Forbes"-Liste von 2003 mit 5,1 Milliarden US-Dollar einer der 400 reichsten Amerikaner (Platz 32), hat ja schon in so manches investiert. Gerade eröffnete Amazon unter seinem Dach und seiner Marke fünf neue Verkaufs-Shops, darunter einen Bilderladen zusammen mit der Photoagentur Getty Images. Die weiteren Shops ("Beauty", "Gourmet Food", "Health and Personal Care" und "Sport and Outdoor") werden, wie schon bei anderen Warengruppen, zusammen mit Firmen betrieben, die entweder starke Marken innehaben, wie zum Beispiel Avon, Crabtree & Evelyn oder Lush, oder über ein großes Händlernetz verfügen, wie etwa Omaha Steaks.

Nun unterstützt Bezos auch öffentlich, als sogenannter "initial investor", den Börsengang der Suchmaschinenfirma Google. Neben ihm gehören Andy Bechtolsheim, Mitbegründer von Sun Microsystems, und Wilson Sonsini, der eine der bekanntesten Rechtsanwaltskanzleien in Silicon Valley betreibt, zu den ersten prominenten Google-Investoren. Mit dem einen Unterschied, daß Bezos - als Startup-Unterstützer der "goldenen Internet-Jahre" - bereits 1998 ca. 100.000 Dollar in Google investierte und dafür ca. drei Millionen Aktien/Anteile an Google erhielt.

Bald (keiner weiß, wann genau) wird die beliebteste Such-Engine des Netzes 2,7 Milliarden Aktien an die Börse bringen, zu einem Emissionspreis von irgendwo zwischen 5 und 20 Dollar. So wird aus Bezos´ ursprünglicher Investition ein Aktienpaket mit einem Gesamtwert zwischen 15 und 60 Millionen Dollar. Anders gesagt: Der Amazon-Chef vergoldet gerade seine 100.000 Dollar und hat somit jeden Grund, gutes Wetter für Googles Börsengang zu machen. (Vergangenes Jahr steckte er übrigens auch 1,5 Milliarden Dollar seines Privatvermögens in die Firma Blue Origin, die eine Weltraumfähre für private Flüge ins All entwickelt. Unter anderem heuerte er dafür den SF/Cyberhistory-Autor Neal Stephenson an.)

Die Investition in Google war und ist ein kluger Schachzug des Gemischtwarenhändlers: Sollte sich die von Amazon selbst entwickelte Suchmaschine "A9.com" nicht durchsetzen, wird das Unternehmen die Zusammenarbeit mit Google sicherlich reanimieren. A9.com wird von keinem Geringerem als Udi Manber, dem ehemaligen Chefprogrammierer und Sucharchitekten von Yahoo!, vorangetrieben. Kleiner Gag am Rande: Wieviel Respekt Google Mr. Manber zollt, erkennt man, wenn man seinen Namen in die Suchmaske von Google eingibt. Unter über 7700 Treffern steht das Job-Angebot von Google an allererster Stelle - man kennt sich eben. Und im Falle des Web-Such- und Statistik-Diensts Alexa arbeitet man ohnehin bereits eng zusammen. Bezos kann also nur gewinnen - entweder direkt fürs eigene Portemonnaie und/oder für die weitere Entwicklung von Amazon.

Nach wie vor hält Google sich übrigens den Termin für den wohl größten IPO des Jahres in Amerika offen. Ende Mai legte die Suchmaschinenfirma der amerikanischen Börsenaufsicht SEC einen geänderten Antrag auf Zulassung vor. Darin sind zusätzlich zu den beiden bereits bekannten Konsortialführern, der Credit Suisse und Morgan Stanley, noch 29 weitere Banken verzeichnet, bei denen Interessenten Google-Aktien zeichnen können, darunter auch die Deutsche Bank und die Citibank. Vor einigen Tagen wurde nun bekannt, daß Google den Antrag auf Börsenzulassung erneut geändert hat: Die Broker-Abteilung von Merill Lynch, die erst im Mai zusätzlich als Bank in den Antrag aufgenommen wurde, verabschiedete sich in der Zwischenzeit bereits wieder. Außerdem nahm Google wohl Abstriche an dem vielzierten (angeblichen) "holländischen Bieterverfahren" vor. Hier sollte es besonders für Kleinanleger möglich sein, nach vorheriger Anmeldung (und Konto- bzw. Depoteröffnung) bei einer der Emissionsbanken Google-Aktien im Rahmen einer Web-Auktion zu zeichnen bzw. zu kaufen. Jetzt verhält es sich anscheinend so, daß nur ein Teil der Emissionsaktien auf diesem Weg offeriert werden soll - und jeder Käufer ein Mindestgebot von fünf Aktien abgeben muß; im Vergleich zu anderen Emissionen eine immer noch lächerlich geringe Anzahl. Dieses sogenannte "book building"-Verfahren einer Emission ist für den europäischen Markt nichts Neues. In den USA wurde es allerdings bisher kaum praktiziert, da die Investment-Banken sich bisher vorbehielten, ihre "guten Kunden" gut zu beteilen.

Die Verabschiedung vom "Ein-Aktien-Prinzip", bei der es viel mehr um den ideellen Wert einer Beteiligung geht, deutet darauf hin, daß das Gerangel hinter den Kulissen größer ist als angenommen. Die Nervosität bei Google, den Banken und der SEC nimmt spürbar zu. Äusdrücklich wird nun auch auf die Gefahr für Bieter hingewiesen, die zu niedrig einsteigen und deshalb am Ende leer ausgehen könnten.

Doch damit ist noch lange nicht genug geklimpert: Mitte Juni beteiligte sich Google, damit die breite Masse auch die "Vision" des Unternehmens vor Augen hat, an der chinesischen Suchmaschine "Baidu", die nach eigenen Angaben in China einen Marktanteil von 50 Prozent hat.

Was wird also passieren? Sollte der Emissionspreis für eine Google-Aktie wirklich 20 Dollar betragen, dann wäre die Firma mit einem Schlag 54 Milliarden Dollar wert - mehr als zum Beispiel Daimler Chrysler. Irgendwie kommt einem das alles ziemlich bekannt vor; aber in diesem großartigen Jahrtausend soll ja alles viel besser werden ...

Wer sich auf dem laufenden halten möchte, dem sei an dieser Stelle noch die "inoffizielle Website zum Google-IPO" (siehe unten) empfohlen. Künftige Millionäre wollen ja informiert sein.

Stefan Becht

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