Stories_Googles New World Order

Fragen kostet doch nix?

Viele Ergebnisse, kein Treffer: Der anstehende Börsengang schwankt zwischen Poesie, Wahnsinn und Mißverständnissen - und erfindet nebenbei die Suchmaschinen neu.    14.05.2004

Würde man dieser Tage bei einer Google-Web-Suche die Worte "Google" und "Börse" eingeben, wäre die Zahl der Ergebnisse schier unendlich. Und trotzdem würde der entscheidende Treffer fehlen.

Versuchen wir also ein wenig Ordnung ins Informationschaos zu bringen: Klar ist, daß Google die beiden Investmentfirmen Credit Suisse First Boston und Morgan Stanley mit den Vorbereitungen zum Börsengang beauftragte. Außerdem erstellte die Firma einen 768 Seiten starken Börsenprospekt und reichte diesen am 30. April 2004 bei der amerikanischen Börsenaufsicht SEC zur Prüfung ein. Unklar bleibt, wann Google denn an die Börse zu gehen gedenkt. Dafür gibt es zwar Anhaltspunkte (innerhalb der nächsten drei Monate, wie die meisten erwarten), aber bisher keinen festen Termin. Unklar ist auch, was die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin mit Börsenprospekt-Formulierungen wie "Google ist kein gewöhnliches Unternehmen. Wir haben nicht vor, eines zu werden" oder "Don´t be evil!" ("Sauber bleiben!") wirklich meinen. Beides bietet Raum für eine Fülle von Spekulationen...

So wurde zum Beispiel vor kurzem auch bekannt, daß Eric Schmidt, der Aufsichtsratsvorsitzende von Google, sich zukünftig auf seine Aufgabe als Vorstandsvorsitzender "konzentrieren" soll. Schmidt, der sowohl bei Novell wie bei Sun und in den legendären Xerox Palo Alto Research Center gearbeitet hat, gilt als das eigentliche unternehmerische und innovative Rückgrat der Firma.

Klarheit herrscht jedoch über das beabsichtigte Emissionsvolumen: 2.718.281.828 Aktien zu einem Preis von 0,001 US-Dollar möchte Google dem Markt offerieren. Anders gesagt: Mehr als 2,7 Milliarden Aktien mit einem momentanen Wert von einem US-Cent werden angeboten. Daß der letztendliche Wert einer Google-Aktie nicht bei dem einen Cent stehenbleiben wird, ist offenkundig. Wie hoch er allerdings sein wird, das bleibt rätselhaft - Experten sprechen von fünf bis zwanzig Dollar. Damit läge der Wert von Google irgendwo zwischen 13,5 und 57 Milliarden Dollar (mehr als zum Beispiel Daimler Chrysler). Ein neues Reich für Spekulanten.

 

Aktien für jedermann

 

Ganz besonders soll denn auch die Emission der Aktien gehandhabt werden. "Aktienauktion von Google - Banken ausgetrickst" schrieb denn auch "Die Zeit" am Donnerstag letzter Woche. Üblicherweise bleibt es den Investment-Banken, die einen Börsengang begleiten, vorbehalten, ihren (guten) Anlegern, deren Geld sie verwalten, Aktien bei einer Neuemission zuzuteilen. Genau dies möchte Google umgehen und kündigte zu diesem Zweck eine "Web-Auktion" seiner Aktien an - damit jedermann bieten und kaufen könne.

"Für Amerika ist das neu", sagt Holger Timm, der Vorstand der Berliner Effektengesellschaft, dazu. "Wir hier in Deutschland praktizieren diese Methode bereits seit vielen Jahren - sehr erfolgreich übrigens." Googles angebliche "Web-Auktion" hat allerdings gleich drei Pferdefüße: Der Käufer muß sich bei einer der beiden Investmentbanken anmelden, dort wird er "geprüft", es wird ein Konto eröffnet, und erst dann wird ihm eine Bieter-ID zugestellt. Mit anderen Worten: Google läßt die Banker ihr Geschäft machen, versucht ihnen aber vorzuschreiben, mit wem sie es machen sollen, und treibt ihnen zugleich neue Kunden in die Arme. Die Gebühren für ein Investment-Konto trägt der Kunde. Zweiter Pferdefuß: Ohne amerikanischen Wohnsitz und amerikanische Staatsbürgerschaft läuft gar nichts. Und drittens: Sollte dann der gebotene Preis für eine Google-Aktie zu niedrig sein, erlischt die Order ohnehin.

Im Börsenprospekt werden noch eine Fülle weiterer Bedingungen zum Thema der angeblichen "Demokratisierung einer Aktienemission" genannt. Mitch Kapor, der Erfinder von "Lotus" (der gerade versucht, ein neues E-Mail-System mit Namen "Chandler" auf die Beine zu stellen), beschreibt dies auf seiner Website am 1. Mai 2004 so: "Google wants to have its cake and eat it too."

Natürlich fuchst Kapor Googles Ankündigung eines kostenlosen, werbefinanzierten E-Mail-Services ("Gmail") gewaltig: trotzdem ist seine Kritik nicht von der Hand zu weisen. Bei Gmail, einem Web-basierten E-Mail-Dienst, sollen Anzeigen passend zum E-Mail-Text zugewürfelt werden. Wie die Google-Justitiarin Nicole Wong schon vor Wochen zugab, reicht ein einfacher Cookie, der dem Nutzer angeheftet wird, um ein umfangreiches Benutzerprofil zu erstellen. Denn auch die Suchmaschine Google selbst läuft ja auf dem Web. Gmail ist wahrscheinlich mit dem deutschen Datenschutzrecht nicht vereinbar.

 

Eierlegende Wollmilchsau

 

Erstmals wurden im Börsenprospekt auch konkrete Umsatz- und Gewinnzahlen von Google veröffentlicht. Im Jahr 2003 gab es demnach einen Umsatz von 962 Millionen und einen Gewinn von 105 Millionen US-Dollar. Für das erste Quartal 2004 zeigt Google einen Umsatz von 390 Millionen und einen Gewinn von 64 Millionen Dollar an. Zum Vergleich: Yahoo! nennt für den gleichen Zeitraum einen Umsatz von 758 Millionen und einen Gewinn von gut 101 Millionen Dollar. 2003 setzte Yahoo! 1,62 Milliarden US-Dollar um und erwirtschaftete mit 5500 Angestellten 237 Millionen Dollar. Der Börsenwert von Yahoo! beträgt im Moment ca. 33 Milliarden Dollar.

Laut eigenen Angaben beschäftigt Google momentan 1900 Menschen. Neben der reinen Suchmaschine gehören zum Unternehmen die bei Weblog-Schreibern beliebte Software "Blogger" von Pyra Lab, die Verkaufssuchmaschine "Froogle", der Nachrichten-Service "Google News", der angeblich ständig 4500 Nachrichtenquellen durchsucht und eine Auswahl daraus präsentiert, das News-Archiv "Deja.com" mit über 650 Millionen Usnet-Einträgen und die als soziales Netzwerk bezeichnete Web-Community "Orkut", die eher einer Datensammelstelle für Persönlichkeitsprofile des BKA gleicht als dem Community-Gedanken Rechnung trägt. Über die Anzahl der Server, der indexierten Websites, die Höhe der täglichen Abfragen usw. usw. herrscht allgemein Verwirrung. Wer es genau wissen möchte, dem empfehlen wir Simon Garfinkels schöne Geschichte "Geheimniskrämerei bei Google?" bei Heise.de - siehe Link weiter unten.

Inzwischen wird Google von weiteren Klagen überzogen: Nachdem Ende April das französische Versicherungsunternehmen AXA gegen die "Adword"-Praxis klagte, legt nun die Hamburger Metaspinner GmbH nach. Alles Kleinscheiß, angesichts der Milliarden, die (aber wann nur?) für Google zu erwarten sind. Und was nur werden sie damit anstellen? Vielleicht, wie Jimmy Gutermann in "Business 2.0" spekuliert, Apple kaufen?

In aller Ruhe hat inzwischen Udi Manber, der ehemalige Chefwissenschaftler von Yahoo!, für Amazon eine neue Suchmaschine entwickelt: A9.com. Von der dürfte, da Google-"powered", kaum eine Gefahr für das 1998 gegründete Unternehmen ausgehen. Doch weil Google immer für noch eine Überraschung gut ist, gibt es nun auch die "ultima ratio" der Suchmaschine wieder: den Menschen, bei "Google Answers". Registrieren, zahlen, fragen, Antwort kriegen - fast wie im richtigen Leben. Nur daß es da allgemein heißt: Fragen kostet nix! Außer natürlich, man fragt Google.

Stefan Becht

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