Stories_Hunter S. Thompson II

Wir waren die Bedrohung

"King of Gonzo" revisited: Peter Hiess berichtet über den vor kurzem verstorbenen Autor und die Verfilmung seines Meisterwerks "Fear and Loathing in Las Vegas".    30.03.2005

Hunter S. Thompson, der meistgefürchtete politische Journalist Amerikas, lebt in einem ummauerten Lager am Stadtrand von Woody Creek, Colorado. Er reist viel, meistens mit einer kleinen Düsenmaschine, und steht über ein ungeheuer komplexes, elektronisches New Age-Netzwerk in dauernder Verbindung mit dem Weißen Haus, Moskau und anderen ausländischen Hauptstädten. Seine Reportagen und Essays erscheinen in zahlreichen Publikationen, unter anderem dem Rolling Stone, wo er lange Zeit für das innenpolitische Ressort tätig war. 'Better Than Sex' ist sein letztes Buch über Politik. Im Jahr 2000 wird er verschwunden sein.

Klappentext-Bio von "Better Than Sex"

Schon vor Thompson hatten Vertreter des "New Journalism" wie Truman Capote und Tom Wolfe Sachbücher verfaßt, die der Reportage zu literarischen Qualitäten verhalfen und sich wie Romane lasen. Doch erst "Dr. Gonzo" ließ sich auf der Suche nach seiner Story vom Irrsinn Amerikas und sämtlichen bekannten Rauschmitteln anspornen, um dann Geschichten zu erzählen, die mit dem ursprünglichen Thema zwar kaum mehr zu tun hatten, aber dennoch vor scharfsinnigen und entlarvenden Beobachtungen (über den Vietnamkrieg, Politiker, Medien, das US-Bürgertum usw.) strotzen - und außerdem dazu führen, daß man sich beim Lesen vor Lachen auf dem Boden kugelt.

Selbst naive Mitteleuropäer, die in den goldenen 70er Jahren noch mitten in der Pubertät steckten und keinerlei Drogenerfahrungen hatten, wußten diesen Blick ins Auge des Hurrikans zu schätzen und nahmen "Angst und Schrecken in Las Vegas" in ihre ewige Handbibliothek auf. Thompsons Buch erklärte der knochentrockenen, arroganten Hofberichterstattung des US-Journalismus den Blitzkrieg und inspirierte ein paar begabte Autoren (z. B. P. J. O´Rourke), aber auch eine ganze Menge untalentierte Schreiberlinge, sich das Hirn vollzuknallen und selbst zum Hauptthema ihrer Reportagen zu werden. Nicht jeder, der Rauschgift konsumiert, kann deswegen auch schreiben ...

Dr. Gonzo strickte einstweilen weiter an seinem Outlaw-Mythos. Er bezeichnete sich selbst als "die sittlich entartetste und degenerierteste Figur der amerikanischen Literatur" und berichtete in bewährtem Stil vom Kentucky-Derby und dem McGovern-Wahlkampf, vom Watergate-Trauma und der PR-Tour des Skifahrers Jean-Claude Killy, ließ sich über die Yuppie-Unkultur der 80er Jahre ("Generation of Swine") und die Affären der höchsten Bundesrichter aus und schaffte es auf Dauer nie, vom verhaßten (politischen) Journalismus wegzukommen.

Nicht, daß er es nicht versucht hätte: Thompson siedelte sich in einem Blockhaus bei Aspen, Colorado (einem Promi-Wintersportort) an, schwerbewaffnet und mit genügend LSD und Alkohol versorgt, um selbst den härtesten Winter zu überstehen. Er stand wegen sexueller Belästigung, Sprengstoff- und Drogenbesitz vor Gericht (nachdem er sich Schießereien mit den Behörden geliefert hatte), wurde aber freigesprochen. Er bewarb sich als Kandidat der "Aspen Freak Power"-Partei für das Amt des Sheriffs. Und zwischendurch lebte er eine Zeitlang in San Francisco, wo er als "Nachtmanager" in einer Bar des berüchtigten Porno-Brüderpaars Mitchell arbeitete.

 

Das alles ist vorbei.

Hunter S. Thompson ist mittlerweile eine anerkannte Persönlichkeit der amerikanischen Kulturszene. In den letzten Jahren erschienen mehrere Biographien über ihn (er hat keine davon gelesen); seine Rolle im "Doonesbury"-Comicstrip - als Uncle Duke - machte ihn einem noch viel breiteren Publikum bekannt; und die gescheiterte Filmfassung seines Lebens, "Where the Buffalo Roam" ("Blast - Wo die Büffel röhren"; 1980), mit Bill Murray in der Hauptrolle geriet Gott sei Dank weitgehend in Vergessenheit.

Wir schreiben 1997, knapp über ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen des Gonzo-Meisterwerks. Amerika und seine Satellitenstaaten haben den Krieg gegen die Drogen endgültig verloren. Die Rauschgiftindustrie ist eine der größten und umsatzstärksten der ganzen Welt; die Strafverfolgung von Konsumenten und Kleindealern kostet mehr als alle Therapien zusammen; die letzten paar "talking heads" aus Politik und sonstigen anrüchigen Sparten predigen im Fernsehen gegen Drogen, während vor den Bildschirmen alle rauchen, schnupfen, Tabletten einwerfen.

Die Zeit war reif. Und Hollywood entdeckte "Angst und Schrecken in Las Vegas". Erst sollte das Kultbuch (das sich übrigens noch von selbst zu einem solchen entwickeln konnte, anstatt gleich beim Erscheinen vom Verlag als "Kult" verkauft zu werden) mit dem "Low Budget" von sechs Millionen Dollar vom thematisch nicht gerade unbelasteten Regisseur Alex Cox ("Repoman", "Sid und Nancy", "Straight to Hell") verfilmt werden, mit Johnny Depp als Raoul Duke. Später wurde der als unverläßlich und exzentrisch geltende Cox durch Terry Gilliam ("Brazil", "12 Monkeys") ersetzt. Das Budget stieg auf 20 Millionen. Die Chancen, einen Film zu erleben, der mit Drogen so unkorrekt umgeht wie "Trainspotting", sanken mit jedem weiteren Dollar.

Aber was soll´s, es war ja nur Kino - und das spielt sich bei Hunter S. Thompson ohnehin eher im Kopf ab.

 

Einzig wichtig ist jetzt noch zu Fear and Loathing anzumerken, daß das Schreiben dabei Spaß machte, und das ist selten - zumindest bei mir, denn ich habe die Schreiberei schon immer als den hassenswertesten aller Jobs angesehen. Vielleicht gleicht es darin dem Ficken - es macht nur den Amateuren Spaß. Alte Huren haben nicht viel zu kichern.

aus dem Vorwort zu einer Neuauflage

 

Inzwischen befinden wir uns mit 2005 im neuen Jahrtausend und Hunter S. hat sich in der Nacht des 20. Februars, einem Sonntag, in den Kopf geschossen.

Und die Traumfabrik hat sich mit "The Rum Diary" wieder einen seiner Romane unter den Nagel gerissen. Regisseur gibt es zwar noch keinen, aber Johnny Depp, Nick Nolte, Benicio Del Toro sowie Josh Hartnett sind bereits mit an Bord. Was wohl aus dem geschriebenem Vermächtnis des "King of Gonzo" werden wird?

 

Frage: "Glauben Sie, daß Drogen legalisiert werden sollten?"

Thompson: "Das wäre die einzige Lösung. Allerdings wird es wahrscheinlich ein paar Anpassungsschwierigkeiten geben. Ich schätze, wir werden eine halbe Generation verlieren."

aus einer Podiumsdiskussion mit Dr. Gonzo

Peter Hiess

Hunter S. Thompson


"Bear Hunt"-Photo © by HST archives

 

Dieser bisher unveröffentlichte "Hunter S. Thompson"-EVOLVER-Artikel wurde ursprünglich 1997 verfaßt und für die vorliegende Ausgabe aktualisiert und ergänzt.

 

Links:

Hell´s Angels

(Penguin Books)


Seinerzeit ein schwer zu bekommender Klassiker. Thompson verbrachte ein ganzes Jahr (1965) in Gesellschaft der Outlaw-Gang. Während dieser Zeit nahm er an ihren Initationsritualen teil, bekam tiefe Einblicke in die Metamphetamin-Produktion und wurde am Schluß selbst ordentlich zusammengeschlagen. Eine Vorstudie zum Gonzo-Journalismus.

 

Links:

Fear and Loathing in Las Vegas/Angst und Schrecken in Las Vegas

(Heyne)


Mit der völlig irren Reportage "Angst und Schrecken in Las Vegas" begann Hunter S. Thompson 1971 seine Karriere als "Outlaw-Journalist". Mit dem von der New York Times zum "besten Buch des Drogenjahrzehnts" titulierten Werk hatte der ehemalige Sport/Politikreporter und Südamerika-Korrespondent genau den Nerv seiner Zeit getroffen und gleichzeitig eigenhändig den "Gonzo-Journalismus" erfunden. Die Abenteuer des Journalisten Raoul Duke und seines Anwalts Dr. Gonzo, die - kaum der menschlichen Sprache und eines klaren Gedankens mächtig - ein Zimmer in einem der Casino-Hotels beziehen, um sich dort ungehemmtem Rauschgift- und Schnapskonsum hinzugeben, Irrsinn zu reden, die Einrichtung komplett zu demolieren und eine unglaubliche Zimmerservice-Rechnung zu verursachen, finden ihren Höhepunkt nicht beim "Mint 400"-Rennen, sondern in durch Schlafentzug gesteigerter Paranoia, irrwitzigen Dialogen, dem Abfeuern großkalibriger Waffen, Zechprellerei und schließlich der überstürzten Flucht durchs Hinterland.

Terry Gilliams kongeniale Verfilmung mit Johnny Depp und Benicio Del Toro ist übrigens auch als "Criterion Edition" erhältlich und bietet neben zahlreichen hochkarätigen Special-Features einen Audiokommentar des "King of Gonzo" höchstpersönlich. (Die deutsche DVD-Ausgabe ist hingegen lächerlich bestückt.)

 

Links:

The Great Shark Hunt: Strange Tales from a Strange Time

(Simon & Schuster)


Seltsame Berichte aus einer seltsamen Zeit, Gonzo-Schriften I: Thompson liefert Impressionen aus Südamerika und dem San Francisco der Kiffer-Hippies, geht auf Haifischjagd und denkt über Jimmy Carters Chancen auf den gefragtesten Job der Welt nach. Weitere Reportagen: "Das Kentucky-Derby ist dekadent und degeneriert", "Freak Power in den Rockies", "Angst und Schrecken in Watergate: Mr. Nixon hat verspielt".

 

Links:

Generation of Swine

(Picador)


"Tales of Shame and Degradation in the 80´s. Gonzo Papers Vol. 2": Die Schweine sind an der Macht, und sie verdienen ihr Geld mit Immobilien- und Wertpapierspekulationen, während draußen auf der Straße die Armut wächst. Himmel und Hölle unter der Reagan-Administration.

 

Links:

Songs of the Doomed

(Simon & Schuster)


"More Notes on the Death of the American Dream. Gonzo Papers Vol. 3": Fast sowas wie eine Autobiographie – die Aufzeichungen Thompsons von den Fünfzigern bis in die Neunziger.

 

Links:

Better Than Sex

(Ballantine Books)


"Confessions of a Political Junkie. Gonzo Papers Vol. 4": Wahlberichterstattung von einem, der´s nicht lassen kann. Anhand der erfolgreichen Clinton-Wahlkampfmaschine zeigt Thompson, daß auch die große Hoffnung der Liberalen nur Teil des alten, bösen Systems ist.

 

Links:

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