Akzente_Frequency Festival 2005 (I)

Dirt and Rock'n'Roll

Das Frequency-Festival: wenn man auch im Makrokosmos des Salzburg-Rings kleine emotionale Momente findet, die so hell leuchten, daß sie für immer in den Gehirnwindungen bleiben.    23.08.2005

Es hat zum Beispiel NICHT geregnet. Unfassbar! Zumindest zwei Festivaltage lang durften sich pro Tag fast 50.000 Oberkörper, ob Waschbrett-, oder schon eher Waschbärbauch, in der prallen Sonne suhlen. Da war das Camping-Gelände vom Duft gegrillter Kotelettes und Würstchen genau so erfüllt wie von Bier getränkten menschlichen Ausdünstungen und Ausscheidungsprodukten aller Art. Zum Glück gab es dann noch diesen dritten Tag, der diese fast schon aus den Angeln gehobene, unaussprechliche Salzburger Tradition des Schnürlregens beim Frequency wieder einigermaßen ausgeglichen hat. Und dieses Wasser ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Zumindest im übertragenen Sinn, weil aus dem ganzen Schlamm und Dreck nun mal nicht mehr eine grüne Wiese zu gewinnen war. Aber genug Köpfe, die nicht unter einem dicken Regenmantel verhüllt waren, wurden beträufelt. Und einer dieser Köpfe ist dann ausgerutscht. Auf einem gatschigen Abhang. Am Campingplatz Nord. Daraus strickten dann ein paar (verhaltens-)kreative Zeugen dieses folgenschweren Vorfalls eine Idee, die auf die bewußte und gezielte Wiederholung dieser Aktion baute: Der Rest ist Geschichte, wie sie selbst die hippiesten Hippies zu Woodstock-Zeiten nicht zu schreiben vermochte. Binnen kürzester Zeit verwandelte sich die Wiese in eine Rutsche für Arme, die zum Gaudium der Zuseher immer schneller und noch schlammiger wurde. Ob in Kapuzensweater und Jeanshose, im weißen Designerhemd, im Bikini oder gleich pudelnackt: Es wurde gerutscht, als ob es kein Morgen gäbe. Und ein Hopfen-Malz-Gemisch als Belohnung für die am dreckigsten unten Angekommenen war Lohn genug, es noch einmal zu versuchen.

 

Von diesem Schauspiel wurden Zuseher und Nachahmer gleichermaßen angezogen - wie Bienen vom Honig. Es entwickelte sich eine Eigendynamik, die neben dieser "Mainstage" eine weitere "Alternative Stage" entstehen ließ. So erzählten Zaungäste von einem weiteren Bewerb am Campingplatz Süd, wo sich eine johlende Menge im Schlamm-Catchen versuchte. Davon zeigten sich die braunen Gestalten auf der Mainstage aber unbeeindruckt, ein Festivalbesucher, der sich – mit einer Palette Bier ausgestattet – in Gummistiefeln den Weg über "ihre" Rutsche nach unten bahnte, hatte ihre vollste Aufmerksamkeit. Zehn Sekunden wurde der Arme von einer Horde Wildgewordener umgerannt, wie es gemeinsam keine Footballmannschaft der Welt hätte ästhetischer machen können. Weitere fünf Sekunden später zeugte nur noch eine leere Plastikhülle von dieser Aktion, die von rund fünfhundert Schaulustigen frenetisch beklatscht wurde.

Ein netter, knapp fünfzig Jahre alter Security am Festivalgelände erzählte später, daß zu diesem Zeitpunkt die Stimmung vom Campingplatz her lauter war als vor der gut gefüllten Hauptbühne – und das, obwohl er dreihundert Meter und einen schlammigen Abhang entfernt seinen Dienst schieben mußte!

Nachdem er den Grund für diesen Aufruhr erfahren hatte, zog sich ein seltsamer Schleier um seine Mundwinkel, der fast ein Lächeln andeutete: "Da wär’ ich gerne dabei gewesen – aber nicht als Zuschauer!" Nicht immer zeigte sich das Sicherheitspersonal so sympathisch: War einigermaßen harte Durchsetzungskraft direkt vor der Mainstage noch verständlich, um für die echten Fans ganz vorne im Wavebreaker-Bereich Sicherheit gewährleisten zu können, so überspannten einige Securities eindeutig den Bogen. Schläge ins Gesicht von Festivalbesuchern wurden registriert, einigen Fans gar die Eintrittsbänder vom Handgelenk gerissen und ein teilweise extrem rüder Umgangston zeugte davon, daß einige Securities nicht Herr der Lage – und ihres zugegeben schwierigen Jobs – waren. Dafür zeigten sich einige Mitarbeiter des Sicherheitspersonals wieder bereit, von den Dixie-Klos, auf den sie thronten (um anderen Menschen der Sicherheit halber den Zugang auf diesen zu verwehren), Fotos für Fans zu schießen.

Die Feuerwehr, Wasserspender für die überhitzten Gemüter in den ersten Reihen – zumindest an den beiden Tagen, an denen es nicht geregnet hat – zeigte sich auch äußerst kooperativ. Für ganz Ungeduldige, die die nächste verordnete Wasserdusche nicht erwarten konnten, gab’s spontane Extra-Erfrischung aus Kübeln.

 

Eine unfreiwillige Abkühlung für knapp hundert Fans – wenn man es angesichts des so glimpflichen Ausganges eines Brückeneinsturzes am Festival-Gelände sarkastisch so nennen darf – war dagegen ein Skandal. Vor dem Konzert der Foo Fighters brach eine Verbindungsbrücke zur Mainstage unter der Last von drängenden Fans zusammen, knapp hundert Menschen stürzten zwei Meter tief in einen kleinen Bach. Erinnerungen an das so schwere Unglück beim "Air & Style" 1999 im Innsbrucker Berg-Isel-Stadion mit fünf Todesopfern nach einer Massenpanik wurden sofort wach. Zum Glück gab es "nur" 31 Verletzte, Rettung und Sicherheitspersonal reagierten schnell. Und auch wenn die Ursache des Unglücks noch nicht feststeht: Ein derartiger Vorfall darf einfach nicht passieren.

Was aber passieren durfte und auch eingetreten ist, waren wunderbare Konzerte auf den beiden Bühnen. Und die haben sich eine eigene Geschichte verdient ... Fortsetzung folgt.

David Krutzler

Frequency Festival 2005


18.–20. August 2005, Salzburg-Ring

 

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