Akzente_Nova Rock Festival 2006

Verlogene Doppelmoral

Guns N´Roses sind wieder da - ohne Radlershorts, Bandana und Slash, dafür aber mit einer fulminanten Bühnenshow, die mit alten Hits und neuen Krachern gespickt ist.    21.06.2006

"Well, listen, home fuck! If you think Madonna kicked your ass up, I´m betting my money on your neck, you stupid fuckin´ asshole. This is a song called 'Double Talkin´ Jive', motherfucker!" Wir schalten zum 6. Juni 1992, im ausverkauften Hippodrome de Paris. Axl Rose ist in Höchstform und widmet diesen Song in epischer Ausformulierung dem amerikanischen Schauspieler, Regisseur und Frauenhelden Warren Beatty, der gerade ein Pantscherl mit Madonna hat - und das vor 56.000 enthusiastischen Fans vor Ort und Millionen von Zusehern weltweit, die sich diesen Gig live im Pay-TV nicht entgehen lassen; selbst der ORF (!) zeigt später mitten in der Nacht das Ereignis in voller Länge. Guns N´Roses sind längst über alle Zweifel erhaben, die größte Rockband dieser Welt zu sein. Über zwei Stunden wird gewirbelt, gekreischt und Rock´n´Roll zelebriert, gemeinsam mit so illustren Gestalten wie Steven Tyler und Joe Perry von Aerosmith oder Lenny Kravitz (damals noch ein rockender Jungspund mit Dreadlocks). Davor, am 23. Mai 1992, waren die Gunners übrigens beim Wiener Donauinselfest aufgetreten, verfolgt von kreischenden Groupies und einer hymnischen heimischen Medienberichterstattung.

Dann ziehen ein paar Jahre ins Land - 14, wenn man´s genau nimmt. Guns N´Roses heißen immer noch Guns N´Roses, auch wenn bis auf Rockröhre Axl Rose und Keyboarder Dizzy keiner der alten Truppe mehr im Line-up der Band aufscheint. Fürs Donauinselfest steht jetzt "Nova Rock", und das Hippodrome de Paris nennt sich nun "Palais Omnisports de Paris Bercy". Und in beiden Arenen sind Guns N´Roses auf ihrer Comeback-Tour zu Gast. Einst mimten, dank des medial hochgepushten Events in Paris, Steven Tyler und Lenny Kravitz die hochkarätigen Special Guests. Auf der aktuellen Europa-Tour leisten das kultige Guns N´Roses Gründungsmitglied Izzy Stradlin an der Gitarre und der ehemalige Skid-Row-Sänger Sebastian Bach rockigen Beistand auf der Bühne - auch ganz ohne Fernsehkameras, die dieses Spektakel in aller Welt ausstrahlen. Auch in Nickelsdorf gehen vor 50.000 Besuchern wie in früheren Glanzzeiten nach einer fulminanten und mit pyrotechnischen Effekten gespickten Show erst nach zweieinhalb Stunden und mit dem Kracher "Paradise City" die Lichter aus.

14 Jahre später scheint also alles zu sein wie in den guten alten Stadionrock-Zeiten. Nur die Medien spielen diesmal nicht so mit: "Erbärmlichst" nennt der mieselsüchtige Sportjackensender FM4 den Auftritt der Kalifornier, "Die Presse" vergleicht Axl Rose mit "Rumpelstilzchen am Feuer", "Der Standard" verpaßt dem Sänger - Guns N´Roses zu verunglimpfen scheint modern zu sein - den wenig schmeichelhaften Titel "Seine Heuligkeit".

Verabscheuungswürdige, heuchlerische Doppelmoral von ein paar Pressefuzzis? Hätte sich Axl Rose seine Huldigung auf Warren Beatty für diese selbsternannten Kritiker aufheben und ein Donnerwetter auf Journalisten loslassen sollen - wie einst im Song "Get In The Ring, Motherfucker"? Oder ist die negative Grundstimmung der österreichischen "Qualitätsmedien" nachvollziehbar?

 

21 Songs in zweieinhalb Stunden, darunter Kracher wie "Sweet Child O´Mine", "Welcome To The Jungle" und die als Gitarrensolo gespielte Rock-Ballade "Don´t Cry": Quantitativ könnte der aus Musikern verschiedener Bands (unter anderem Nine Inch Nails) bunt zusammengewürfelte Haufen mühelos wieder den Hardrock-Thron besteigen. Auch neue Songs wie das fantastische "The Blues" oder "Better" schließen qualitativ perfekt an die Werke des monumentalen Doppelalbums "Use Your Illusion I & II" an. Neu interpretierte Klassiker wie "Knockin´ On Heaven's Door" und Raritäten im früheren Live-Programm wie "Used To Love Her" oder "Rocket Queen" erzeugen Sing-a-longs und Gänsehaut-Feeling - sowohl bei abgestumpften Rockern mit der Frittengabel in der Luft als auch bei Festival-Jungspunden.

Dennoch gab´s auch einige kräftige Schönheitsfehler im Programm: Die ganze Wucht an authentisch vorgetragener Nostalgie, gepaart mit der engagiert-kräftigen Stimme von Axl Rose, kann nicht darüber hinwegtrösten, daß Guns N´Roses die elendslangen Soli zwischen vielen Songs ohne Fingerspitzengefühl einsetzt, um dem 44jährigen Sänger Umziehpausen für seine unnötige Modeschau - und wohl auch einen kräftigen Schluck aus der Sauerstofflasche - zu ermöglichen. Was damals mit dem Wechsel von Radlershorts und "Kill Your Idol"-Shirt auf Lederjacke samt irischem Rock noch gut gelang und mit den Soli des Gitarrengotts Slash auf seiner Sixstring und dem legendären Duff mit seiner Fender-Baßgitarre noch als Teil eines Ganzen erschien, bröckelt in Nickelsdorf ab und entschleunigt die Lokomotive Guns N´Roses. Die Absenz von Slash und Duff schmerzt vor allem in diesen Minuten wie Feuer auf der Haut.

Freilich ist diese Phase des Fast-Stillstands nicht von langer Dauer: Ganze zehn Stücke des phänomenalen Debütalbums "Appetite For Destruction", so viele wie selten zuvor, prasseln im Burgenland - wie die Konfetti zum krönenden Abschluß - auf die Menschenmassen nieder. Ein Axl Rose in stimmlicher Hochform, wenngleich noch mit vorhandenem Optimierungspotential in Richtung Superlativ, bereitet den insgesamt fast 150.000 Besuchern des für diese Größenverhältnisse gut durchorganisierten "Nova Rock"-Festivals einen glänzenden Höhepunkt. Selbst unter Einbeziehung der Tatsache, daß die amerikanischen Rocker von Metallica mit ihrem Gig am ersten Tag des Festivals einige Schaufeln vorlegten. Auch Lars Ulrich und Co. leben schließlich von ihrer Geschichte: Ihr Hauptwerk "Master Of Puppets" gab´s zum zwanzigjährigen Jubiläum sogar in voller Länge zu hören.

David Krutzler

Nova Rock Festival 2006


15.-17. Juni, Pannonia Fields II, Nickelsdorf

 

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