Video_Uzumaki

Im Mahlstrom des Grauens

Sie hausen auf Schneckenhäusern, Fingerkuppen und Soft-Eis. Sie zerren eine Kleinstadt unerbittlich in den Abgrund. In diesem japanischen Filmspuk dreht sich alles – um Spiralen.    02.12.2004

Als das Mädchen Kirie im verschlafenen Dörfchen Kurouzu-Cho nach Hause kommt, wirbelt eine Windhose an ihr vorbei. Dann sieht sie Herrn Saito, der wie besessen eine Schnecke filmt. Dem mißt sie keine Bedeutung bei, doch ihr Freund, Saitos Sohn Shuichi, beklagt kurz darauf das merkwürdige Verhalten seines Vaters und behauptet, die ganze Stadt würde von Spiralen heimgesucht. Sie kichert nur, doch Shuichis Vater vernarrt sich zunehmend in die Spiralen, sammelt sie, verspeist sie am Ende gar. Und stirbt kurz darauf, spiralförmig verwurstet in einer Waschmaschine. Damit fängt der Horror erst an: Nach seiner Feuerbestattung steigt der Rauch spiralförmig auf, immer mehr Menschen bilden Spiralen in den Haaren, in den Augen, mit der Zunge ... und über ganz Japan braut sich auch noch ein Taifun zusammen!

Nie war die Spoiler-Gefahr geringer, denn Erklärungen gibt´s eh keine. Nur diese: Den Zuschauern graust heute mehr vor Feng-Shui-Geraffel als vor "Resident Evil 2" (trotz grausigem Drehbuch) und ähnlich blutleerem CGI-Splatter. Japan, das Land des erfolgreichen VHS-Spuks "Ringu", produziert daher schlauerweise eine wachsende Zahl Godzilla-freier Gruselfilme. Der Inhalt dieser neuen Schreck-Schinken ist meist völlig absurd, genau wie der von "Uzumaki". Doch die verdrehte Schauermär läßt die x-ten "Ring"-Aufgüsse nicht nur visuell hinter sich. Zwar beginnt das Debüt des Videofilmers "Higuchinsky" wie ein roh zusammengeklopfter Teenie-Film mit schlichter Optik, süßlicher Musik und banalen Alltagsszenen. Doch die wachsende Zahl merkwürdiger Details, ungewohnter Kameraperspektiven und Farben sowie eine saftige Tonspur verdichten sich zu einer Atmosphäre des Grauens, die zwischen Lynchs "Twin Peaks" und Lovecrafts "Die Farbe aus dem All" siedelt.

 

Natürlich bringt die dörfliche Location zwangsläufig auch ein paar Längen mit. Charakterentwicklung gibt es keine, nur schrullige Typen. Der subtextfreie Plot ist so dünn wie die Miso-Suppe, aus der Herr Saito die spiraligen Fischröllchen rausgefuttert hat, und parodiert gegen Ende selbstironisch das eigene Genre. Diesen Eindruck stärken ein paar Masken- und Spezialeffekte, die man nur als schamlos schlecht bezeichnen kann.

Egal! "Uzumaki" hat trotzdem das Zeug zum Klassiker. Zu bizarr, zu unglaublich, zu einmalig und unvergleichbar ist das alles, um nicht im Gedächtnis haften zu bleiben wie eine Lakritzschnecke an Zähnen. Trotz einiger Plumpheiten ist der Film ein ideenreicher visueller Alptraum, der seine schaurig-schöne Magie dem Erfindungsreichtum und Wagemut der Macher verdankt. Dazu gehört auch das Overacting der Darsteller, das die Stimmung der Manga-Vorlage auch ohne Marvels Budgetmillionen rüberbringt. Wer glaubt, schon alles gesehen zu haben, sollte sich davon wirklich einmal den Kopf verdrehen lassen.

Die DVD kommt mit einer gelungenen Synchronisation und wahlweise deutschsprachigen Untertiteln daher. Das "Making of" ist dürftig und zeigt leider gerade genug, um die Frage aufzuwerfen, warum es nicht mehr zeigt. Darüber tröstet immerhin der höchst gelungene Trailer hinweg - und jener kuriose Schneckenfilm, den Herr Saito mit seinem Camcorder aufnahm. Vorsicht beim Einkauf: "Ring Spiral" ist eine annehmbare Ring-Fortsetzung, hat aber mit "Uzumaki" nichts zu tun. Comic-Freunde kommen übrigens am gleichnamigen Manga ("Uzumaki - Vol. 1", in englischer Sprache) nicht vorbei. Der nimmt den Horror erheblich ernster als der Film, obwohl auch er keine Antwort auf die Frage liefert, warum die teuflischen Spiralen gerade hier und heute ihre Kreise ziehen.

Andreas Winterer

Uzumaki

ØØØØØ


rapid eye movies (Japan 2000)

DVD Region 2

91 Min., Deutsch, jap. OF mit dt. UT

Specials: Making of, Trailer, Schneckenvideo

Regie: Higuchinsky (Akihiro Higuchi)

Darsteller: Eriko Hatsune, Fhi Fan, Ren Osugi u. a.

 

Links:

Der Schrecken kommt im Kimono

EVOLVER-Story von 2001 über den jap. Horrorfilm


Spät, aber doch hat sich auch die Viennale der japanischen "New Wave of Horror" angenommen. Das cineastische Grauen aus dem Land der aufgehenden Sonne ist breit gefächert - von schaurig-schön über extrem gruselig bis hin zu brachialer Brutalität. Jürgen Fichtinger begibt sich anläßlich des "Restless Souls"-Specials auf einen Rundgang durch das Reich des japanischen Neohorrors.

 

Links:

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