Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #53
Sie müssen heute mal ohne diese Kolumne auskommen
Einige wenige Wohlgesonnene, es werden wöchentlich weniger, warten seit gefühlten Äonen auf diese neue Kolumne - und dabei wird es auch bleiben, und ich rate sowieso ab. 15.08.2020
"Es ist gefühlt Jahre her, daß ich eine gute Idee hatte, und gefühlt ist es Äonen her, daß ich was Gutes geraucht habe." Solchen Bullshit müssen wir alle neuerdings öfters lesen, ich jedenfalls lese es gefühlt dreiundzwanzigtausendmal pro Stunde. Wer auch immer diesen Wortmißbrauch etabliert hat, hat gefühlt die in "Flashman und der chinesische Drache" beschriebene Folter verdient, besser noch den Weltuntergang in seiner real existierenden Form.
Um mit einem völlig unpassenden Bild schlecht zu veranschaulichen, was daran nicht stimmt: Stellen Sie sich mal vor, Sie bestellen sich zum zweiten Glas Chianti eine Pizza Quattro Stagioni und beschweren sich hernach beim Italiener ihrer regionalen Wahl, er habe zwar "delivered", wie man heute so unschön sagt, aber sie, die Pizza, würde "gefühlt" deutlich mehr (oder weniger) als vier Käsesorten enthalten (ich war ehrlicherweise nie in der Lage, auch nur eine Käsesorte zu identifizieren, aber ich habe ehrlicherweise stets lieber eine Pizza "Hawaii" bestellt; man erkennt dann den "besseren" Italiener, am Zusammenzucken).
Jedenfalls: Der freundliche Miteuropäer würde Sie wahrscheinlich darauf hinweisen, daß das ja wohl keine evidenzbasierte Aussage sei, sondern ein Zeichen für einen besorgniserregenden Trend in unseren nieder- und untergehenden Abendländern, nämlich jenen, unter Drogeneinfluß oder im Suff Unfug zu brabbeln, und das gefühlt zu oft und zu viel.
Womit wir mitten im Thema sind bzw. kurz davor, mithin die erstbeste Gelegenheit für Sie, die Lektüre dieser Kolumne jetzt zu beenden und mir zu entfolgen.
Nicht? Dann haben Sie was verpaßt.
Nämlich die Chance, jetzt nicht weiterzulesen.
Ich meinerseits habe die Chance verpaßt, diese Kolumne nicht weiter zu schreiben. Dabei wollte ich sie nicht mal beginnen. Ich wollte nicht nur diese Kolumne nicht verfassen, sondern gleich einige andere auch nicht. Speziell die nächsten beiden nicht, die, sollte ich sie dennoch zu Digitalpapier bringen, spätere Philologen im Wunsch, clever zu wirken, zusammen mit der vorliegenden Arbeit meine "Apokalypse-Trilogie" nennen werden, wobei das mangels gemeinsamer Merkmale schon idiotisch genug sein wird, und dennoch werden einige die schiere Idiotie durch Verwendung des - für manche gefühlt ja irgendwie auch richtigen - Worts "Triologie" noch zu steigern wissen.
Und das hat mehr als drei Gründe, auf die ich zurückkomme, sobald ich die wirklich unwichtigen Dinge losgeworden bin. Zum Beispiel den Grund, warum ich diese Kolumne eben doch schreibe, und falls Sie das nicht interessiert, was ich verstünde, rate ich nun erneut, diese Lektüre zu beenden und statt dessen was anderes zu lesen, zum Beispiel was von Karl Kraus (Sie werden den Unterschied kaum bemerken).
Hier also der Grund, und wir reden jetzt wirklich von den Problemen der Reichen und Schönen (also leider nicht meinen): Ein prokrastinierender kolumnierender Kollege, der nicht näher genannt werden will, kontaktierte mich völlig verzweifelt und aufgelöst und flehte mich an, ihn unter Druck zu setzen - mit einer Spalte! (Was hier so verrucht klingt, ist nur einem Thesaurus zu verdanken, der ein anderes Wort für "Kolumne" vorschlug, und ich nahm kunstvoll das Kürzeste. Doch zurück zum prokrastinierenden kolumnierenden Kollegen ...) Er könne nur dann seine eigene, neue Kolumne schreiben, freilich und aus dem Lameng eine bessere als diesen aufgeblasenen Feuilletonschund hier, wenn ich meine zeitlich "vorher" schriebe, ihn also mit meinem Fleiß etc. anspornte, vulgo unter Druck setzte.
Prokrastination ist unter Genies nichts seltenes. Ich zum Beispiel leide gefühlt schon immer/wiederholt/ständig daran. Außer heute, was allein die Qualität dieser Kolumne entschuldigt. Indes mag Prokrastination nicht als alleiniger Beleg für Genie taugen, denn gelegentlich sitze ich beim Italiener und finde, dessen Pizzabäcker prokrastiniert, und das gefühlt schon zu lange.
Anyway, der befreundete Kolumnist also prokrastiniert natürlich nur, weil Genies das eben tun. Und seine neueste Idee, daß wir uns gegenseitig unter Schreibdruck setzen, indem wir dem anderen stets eine Kolumne voraus sind, ist natürlich schlechthin genial und das Gelbe vom Ei, sofern man keine Probleme mit Cholesterin hat, wobei die Angst vor dem bunten Sterol unbegründet ist, das jedenfalls raschelt neuerdings der immerzu blöde Gesundheitstips säuselnde Blätterwald, der mir das Ei nicht verleiden wird, mir nicht!
Aber letztlich zum Scheitern verurteilt, die Idee. Weil wir ja beide prokrastinieren. Das einzige, was vielleicht zu einer Art Ausweg führte, wäre, wenn einer von uns sich von der üblichen Genialität und feuilletonistischen Feinstofflichkeit verabschiedete und einfach eine Pflichtkolumne runterrisse. Damit es nur endlich weiterginge.
Weil seine Kolumnen, sofern der alte Spalter sie denn jemals verfassen wird, tatsächlich lesenswert sein werden, während die meinen (bei aller gebotenen Unbescheidenheit) literaturkosmisch gesehen maximal die Schaumstoffüllflocken im Kolumnen-Versandkarton sind, und weil mir wenig mehr am Herzen liegt, als Sie, hochverehrte Kolumnen-Leser, aufs Trefflichste zu unterhalten, eben indem ich dazu beitrage, daß Sie endlich seine Ergüsse genießen können, tue ich das, ziehe ich die Sache hier & heute durch und schreibe diese Kolumne, die ich eigentlich nicht schreiben wollte, ja, gar nicht schreiben konnte. Und vielleicht besser auch nicht geschrieben hätte, weil sie gefühlt doch qualitativ unterperformt, dies immerhin mit überlangen Sätzen, wie sie heute selten geworden sind, wobei man mir noch beibrachte "Wer kurz schreibt, denkt auch kurz", daher gehört es meiner Meinung nach zum guten Ton kluger Kolumnen, lange Sätze aufzuwenden, denn vor allem das gibt Lesern das Gefühl, mental etwas Profundes zu verspeisen.
Damit zurück zu den Gründen, diese Kolumne nicht zu schreiben. Da kommt einiges zusammen, und ich will Sie damit ausdrücklich langweilen: Geldlosigkeit, Zeitlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Phantasielosigkeit, Lustlosigkeit, Einfallslosigkeit und natürlich Fassungslosigkeit angesichts des überraschend andersartigen Verlaufs des Weltuntergangs, bei der man nur einen klaren Gedanken fassen möchte, nämlich "Wenn das die Apokalypse war, will ich mein Geld zurück".
Der wahre und eigentliche Grund ist aber der folgende: Ich schickte dem prokrastinierenden Kolumnisten vorliegendes Traktat bis zum Wort "anzuspornen", um ihn damit anzuspornen, und er schrieb zurück: „Die Pläne für meine Kolumne habe ich längst ad acta gelegt bzw. auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich habe keine Ahnung, wann ich das nächste Mal Zeit für irgendwas haben werde.“
Daher existiert nun erst recht kein Grund mehr, der das Schreiben dieser erneut von der Last jeglicher Bedeutung befreiten Zeilen rechtfertigen würde. Aber nun ist sie ja schon geschrieben, also was soll´s ...
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Das Bilderrätsel:
Ist es nicht schrecklich dekadent, seinen Kaviar auf Jakobsmuschel (mit irgendeinem Schäumchen) ausgerechnet von einem heißen Stein zu essen?
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