Kino_Let´s Make Money

Geldmaschine

Die neue Doku des Österreichers Erwin Wagenhofer will uns zeigen, was wirklich mit "unserem Geld" passiert. Nach beinahe zwei Stunden weiß man das ganz genau: Man hat es an der Kinokasse vergeudet.    08.12.2008

Es sind die schönen Bilder, die einen in die Knie zwingen.

Eigentlich wäre "Let´s Make Money" ja ein Film, den man mögen will: eine Dokumentation über die üblen Machenschaften der Finanzbranche, von dem Regisseur, der uns mit "We Feed the World" schon vor Augen geführt hat, wie grauslich, geldgierig und gemein die Nahrungsmittelbranche ist. Und wenn man hört, wieviel Erwin Wagenhofers neue Doku in den österreichischen Kinos einspielt, wünscht man sich richtig, einen Film zu sehen, der schonungslos aufzeigt, wie es mit dem weltweiten Spekulations-Unwesen soweit kommen konnte.

 

Andererseits: Die Realität hat Wagenhofers Dokumentarfilm überholt. Während er sich anscheinend von der Subprime-Immobilienkrise des Jahres 2007 zu "Let´s Make Money" inspirieren ließ, steht die Welt mittlerweile vor den Trümmern des aktuellen Bankenkrachs, der ganze Nationen in den Bankrott trieb und wahrscheinlich nicht einmal mehr mit Unsummen an Steuergeldern aufgefangen werden kann. Wenn wir im Kino also mit Bildern von den Geisterstädten an der spanischen Costa del Sol konfrontiert werden, wo menschenleere Beton- und Golfplatzwüsten das Platzen der Immobilienblase illustrieren, schütteln wir den Kopf, hören die Sitznachbarn im Kino sagen "Mein Gott, is des schiach!" - und denken dabei an unsere Sparbücher, mit denen wir demnächst bestenfalls das Klo tapezieren können.

Aber dafür kann Wagenhofer nichts. Schließlich ahnten nur die wenigsten, wie sich die Luftgeld-Wettengeschäfte an den Börsen auswirken würden (und die, die es ahnten, wurden von den "seriösen" Medien wie üblich als Verschwörungstheoretiker diffamiert). Fairerweise muß man dem Regisseur außerdem zugestehen, daß er in seinem Film auch andere Themenkreise wie die "Emerging Markets" oder den Baumwollanbau in Burkina Faso behandelt. Doch genau hier geht er auch in die Falle, in die Dokumentarfilmer (vor allem österreichische und deutsche) seit Jahrzehnten so gern tappen: Er präsentiert uns einen Sozialporno, in dem von Armut gezeichnete, aber selbstverständlich doch edle Charaktere aus der Dritten Welt (eben den "aufstrebenden Märkten") zu sehen sind, die von gewissenlosen Spekulanten und Fabrikanten ausgebeutet werden.

"Purer Kolonialismus!" denkt da der aufgebrachte Gutmensch. "Der Westen ist ja so bösartig! Und in Afrika, Indien und Asien hungern die Menschen, vegetieren in Slums dahin, müssen um lächerliche Löhne arbeiten." Da der Film schon am Beginn mittels Einblendung suggeriert, daß hinter all dem "unser Geld" steckt, das auf der Bank angeblich für uns arbeitet, tritt bei den armen Alternativen im Publikum sogleich der erwünschte Pawlowsche Reflex in Kraft: Schuldbewußtsein. Wir haben schließlich das Leid dieser Völkerscharen verursacht. Und wenn sie dann aus dem Kino rausgehen, diese (passend zum Thema) in Caritas-Mode, Schlabberwollhauben und schlechtes Gewissen gehüllten jungen und naivgebliebenen, jetzt noch kleineren Leute, dann nicken sie einander zu und sagen: "Es geht uns immer noch viel zu gut, auf Kosten der anderen, da müssen wir ja froh sein."

 

Diese Reaktion ist ebenso banal wie berechenbar - und daß Erwin Wagenhofer seinen Film genau darauf abgestellt hat, kann man ihm sehr wohl zum Vorwurf machen. Er verläßt sich auf altbekannte Wahrnehmungsmuster und präsentiert Fakten, die keinem mehr neu sein dürften: Kapitalisten sind gewissenlose Schweine, die am nächsten Laternenmast aufgeknüpft gehören. (Das sagt der Film zwar nicht explizit, aber er läßt widerlich arrogante Beispiele zu Wort kommen.) Die Welt wird von wenigen Mächtigen kontrolliert, die sich in irgendwelchen Luxushotels treffen, um über unser aller Zukunft zu entscheiden. Weltbank und Internationaler Währungsfonds sind Verbrecherorganisationen, die bei ihren Plänen zur Durchsetzung der "Neuen Weltordnung" über Leichen gehen (wie das im Kapitalismus immer schon war). Und, da staunen wir aber: Selbst in scheinbar reichen Ländern gibt es Arme und Obdachlose.

Das Problem ist die altbackene Soziologiestudenten-Dialektik, mit der diese Tatsachen vorgeführt werden. Die besagten Obdachlosen aus dem Film leben nämlich in Washington, D. C. - und dort ist auch die Zentrale der Weltbank. Und dann läßt man den Betreuer der armen Kerle, einen eindrucksvollen Schwarzen, halt mit seiner Rostkutsche vor der protzigen Fassade des Feindes vorbeifahren und sagen: "Die Weltbank hat uns noch nie was gespendet". Propaganda 101. Wer so offensichtlich argumentiert, der will garantiert etwas anderes vor uns verborgen halten.

 

Richtig. "Let´s Make Money" zeichnet sich nämlich - neben seiner vorgeblich guten Absicht - vor allem durch Feigheit vor dem Feind aus. Der Film getraut sich nicht zu sagen, daß es eben nicht unser Geld ist, das an dem ganzen Jammer schuld ist, weil wir gar kein Geld mehr auf der Bank haben. Der Film suggeriert, daß Armut und Ausbeutung die armen Afrikaner dazu treiben, nach Europa auszuwandern - und verschweigt, daß die moderne Völkerwanderung, Verzeihung: Migration, in Wahrheit dadurch ausgelöst wurde, daß die Wirtschaft billige Arbeitssklaven und Lohndrücker braucht. Der Film drückt sich vor der offensichtlichen Wahrheit, daß die Europäische Union ein diktatorisches Instrument zur Fortführung und Durchsetzung der bösen alten Zinsknechtschaft ist, mit dem derzeit ein ganzer Kontinent in ein Dritte-Welt-Land verwandelt wird. Der Film fragt nicht, welche Personen und Institutionen hinter Weltbank und Währungsfonds stehen, weil er sonst womöglich andere Fragen stellen müßte.

Nehmen wir nur ein Beispiel aus der Dokumentation: die Wiener Linien. Wir erfahren, daß die Straßenbahnen und Autobusse der ehemaligen Verkehrsbetriebe gar nicht mehr der Stadt gehören, sondern dank "Cross-Border-Leasing" - ebenso wie die Züge der ÖBB - einer amerikanischen Investorengruppe, daß aber der Steuerzahler weiterhin für sie aufkommen muß. Erklären läßt sich Wagenhofer das ausgerechnet von einem Deutschen, obwohl es auch in Österreich Kritiker gibt, die seit Jahren auf diese Machenschaften hinweisen (hier aber nicht befragt werden, weil sie politisch unerwünscht sind). Egal. Die logische Konsequenz wäre doch nun für jeden Dokumentarfilmer, einen Vertreter der unumschränkt herrschenden Wiener Sozialdemokratie vor die Kamera zu holen und ihn zu fragen, was seiner Partei eigentlich dabei eingefallen ist, Volkseigentum auf diese Art in den Rachen der Monopolkapitalisten zu werfen. Aber nein - der Film weicht aus, erzählt die nächste seiner kleinen, ach-so-empörenden Geschichten, schwindelt sich um die notwendige Konfrontation herum.

Wenn man sich den Abspann und die Website des neuen Wagenhofer-Werks ansieht, weiß man auch, warum: Zu den Geldgebern der Doku zählt (anders als beim Vorgänger) der ORF, das mit Gebührengeldern finanzierte wichtigste Propagandainstrument der Regierung - und da getraut man sich halt plötzlich nicht mehr, solche unbequemen Fragen zu stellen, weil es sonst eventuell keine Kulturpreise und kein Lob von den "staatstragenden" Medien mehr gibt.

 

Was unterm Strich von "Let´s Make Money" bleibt, ist also das Elend der schönen Bilder, diese unsäglich langweilige Filmsprache, wie man sie aus "Universum"-Sendungen oder "Kreuz und quer"-Religionsbeiträgen des Staatsfunks kennt. Wer die wahren Schuldigen an der Misere nicht dingfest machen darf, behilft sich eben mit pseudosymbolischen Aufnahmen, die die inhärente optische Ödnis der talking heads, die im Film zu Wort kommen, abmildern soll. Zugegeben, das Thema Finanzspekulation läßt sich visuell nicht so attraktiv darstellen wie die Scheußlichkeiten der Lebensmittelindustrie in "We Feed the World" - aber wenn man sich als Zuseher vor dem statischen Bild einer Regenpfütze, in der sich die US-Flagge widerspiegelt, scheinbar minutenlang fadisieren muß, wird einem doch schmerzlich bewußt, daß hier etwas fehlt. Und daß man sich fast zwei Stunden mit einem Film aufgehalten hat, der nur das Gewissen der Gutmenschen kitzelt, statt wirklich etwas aufzudecken ...

Peter Hiess

Let´s Make Money

ØØ

(Photos © Allegro Film)

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Ö 2008

107 Min.

Regie: Erwin Wagenhofer

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