Kino_Schräger als Fiktion

Herr im eigenen Kopf

Regisseur Marc Forster bleibt nach dem experimentellen "Stay" ungewöhnlichen Erzählstilen treu und formuliert mit den Mitteln des Dramas und der Komödie eine klare Absage auf sinnentleerte Ordnung und Konformität.    07.02.2007

Die Prämisse ist gleichsam skurril wie spannend: Was wäre, wenn wir entdeckten, daß wir Teil einer fiktionalen Geschichte sind? Genau das passiert dem angepaßten, unauffälligen Steuerfahnder Harold Crick, dargestellt von US-Comedystar Will Ferrell. Der sieht zwar keine toten Menschen, hört aber dafür eines Tages eine Frauenstimme in seinem Kopf, die er zunächst nicht einordnen kann. Nach einer Weile erkennt Harold, daß es sich dabei um eine Erzählerin handelt, die all das kommentiert, beschreibt und auf literarische Weise verdichtet, was er tagein, tagaus tut. Alles halb so schlimm - wäre da nicht die Tatsache, daß die Autorin (Emma Thompson) offensichtlich darüber sinniert, wie sie ihren Protagonisten auf möglichst elegante und poetische Weise sterben lassen kann.

 

Da hört sich für den braven und pflichtbewußten Harold wirklich der Spaß auf; zumal er gerade die attraktive Ana (Maggie Gyllenhaal) kennengelernt hat und zum ersten Mal im Leben verliebt ist. Ein verfrühter Abschied wäre nicht nur ärgerlich, sondern würde ihm auch die Möglichkeit nehmen, endlich aus der Monotonie seines bisherigen Lebens auszubrechen. Harold weiß, daß es an ihm selbst liegt, das scheinbar Unaufhaltsame aufzuhalten. Doch dazu gilt es erst einmal herauszufinden, wer ihn überhaupt ins Jenseits befördern will. Hilfe bei der Identifizierung der unbekannten Autorin erhofft er sich vom seltsamen Literaturprofessor Jules Hilbert (Dustin Hoffman).

Die Verbindungen und Abhängigkeiten zwischen einem Schriftsteller und seinem Werk thematisierte bereits Charlie Kaufmans Drehbuch zu "Adaption" ( dt. "Adaptation"), in dem er gleich drei Zeit- und Handlungsebenen spielerisch miteinander verknüpfte. Dagegen fällt Zach Helms Skript zu "Stranger Than Fiction" in Sachen Komplexität zwar etwas ab - was jedoch nicht bedeutet, daß der von Marc Forster ("Wenn Träume fliegen lernen") inszenierte Film minder unterhaltsam oder smart wäre.

 

Der bisher meist in exzentrischen Schenkelklopfer-Komödien brillierende Will Ferrell ("Anchorman", "Talladega Nights: The Ballad of Ricky Bobby") erhält in "Schräger als Fiktion" ausreichend Gelegenheit, seine schauspielerischen Fähigkeiten auch im ernsteren Fach unter Beweis zu stellen. Wie die ähnlich gelagerte Satire "Die Truman Show" für den einstigen Spaßvogel und Grimassenakrobaten Jim Carrey ein Karrieresprungbrett bedeutete, so könnte sich die Zusammenarbeit mit Forster für Will Ferrell als Glücksgriff erweisen. Natürlich besitzt der Streifen auch genügend hinreißend komische Momente - Harolds Reaktionen auf die Erzählstimme haben bei aller Selbstreferentialität eine erfrischende Originalität und Bissigkeit -; die Klassifikation als Tragikomödie macht hingegen deutlich, daß wir uns nicht länger im "Anchorman"-Umfeld tummeln.

Der Reiz des Films liegt nicht zuletzt in der Frage, ob das Konzept über die gesamte Laufzeit trägt, inwieweit es in sich stringent umgesetzt und weitergedacht wurde. Wie ziehen sich Helm und Forster aus der Affäre, und was wird schlußendlich aus Harold Crick? Es fällt wohl kaum unter die Kategorie "Spoiler", wenn wir verraten, daß ein Happy-End auf den Zuschauer wartet. Natürlich darf Harold nicht sterben, da er doch jetzt die große Liebe gefunden hat und sich nach und nach von den selbstauferlegten Fesseln der Vergangenheit zu lösen beginnt. Die Erklärung dafür, daß er einen normalerweise tödlichen Unfall überlebt, gehört zu den charmantesten Drehbuchausreden der jüngeren Vergangenheit.

Auch abseits des ungewöhnlichen Plots gibt es in "Stranger Than Fiction" so manches zu entdecken. Ausstattung und Farbkonzept ordnen sich einer klaren Trennung der unterschiedlichen Sphären unter. Steriles Grau und Weiß umgibt Harolds Arbeitsplatz, wo er eingepfercht wie die Henne in ihrer Legebatterie unendliche Zahlenkolonnen addieren darf. Und Harolds Zuhause ohne Eigenschaften paßt perfekt zu seinem Bewohner ohne Eigenschaften. Demgegenüber stellt sich Anas in warmen Farbtönen gehaltene Wohnung als wahres Kuschelparadies heraus, was durchaus wortwörtlich zu verstehen ist. Maggie Gyllenhaal, seit ihrem furiosen Auftritt in "Secretary" auch einem größeren Publikum bekannt, unternimmt alles, damit nicht nur Harold dem Charme ihrer Filmfigur erliegt. Dustin Hoffmann wiederum wandelt nach "I Heart Huckabees" erneut auf verschrobenen Pfaden; während Emma Thompson sichtlich Spaß daran hat, langsam und unaufhaltsam dem Wahnsinn zu verfallen.

Nur selten kommt aus Hollywood ein Film, der etwas Altbekanntes auf derart neue und unverbrauchte Weise zu präsentieren vermag. "Stranger Than Fiction" schafft genau das: Ein Erzählmittel wird zum Star. Die am Ende ziemlich dick aufgetragene Botschaft, wonach es gerade die kleinen Unvollkommenheiten sind, die das Leben lebenswert machen, würde sicherlich jeder unterschreiben - ganz besonders Harold Crick.

Marcus Wessel

Schräger als Fiktion

ØØØØ 1/2

(Stranger Than Fiction)


USA 2006

113 min.

dt./engl. OF

Regie: Marc Forster

Darsteller: Will Ferrell, Maggie Gyllenhaal, Dustin Hoffman u. a.

Links:

Kommentare_

Gerhard - 09.02.2007 : 21.57
freu mich schon auf den film. :-)
btw: weshalb startet eigentlich "the fountain" drei monate später in österreich als in deutschland?

danke, dass es die kommentarfunktion wieder gibt!

lg
ein treuer leser
Redaktion - 10.02.2007 : 12.33
Das beschließen die Verleiher - und die Gründe dafür durchschaut kein Mensch ...

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