Kolumnen_Der Misanthrop: Antiseptiker

Antiseptiker

Immer wollen sie stolz ihre neugeordnete Büchersammlung oder die im Urlaub erstandene Kitschkaffeetasse präsentieren können - aber bitte vorher Hände waschen!    02.09.2002

Das mit der Hygiene wird ja allgemein ziemlich übertrieben - aber den Wahn im Wahn verkörpern in dieser Hinsicht die WC-Duftstein-Nachfüller. Sie haben garantiert auch zwei, drei Angehörige dieser Spezies in Ihrem Bekanntenkreis. Man besucht jemanden, will nur eine Kleinigkeit abholen oder besprechen, hat aber höflicherweise zwei Stunden vorher angerufen.

Für Antiseptiker ist sowas prickelnde Herausforderung und Horrorszenario zugleich. Ihre ohnehin saubere und aufgeräumte Wohnung erscheint ihnen vor der Stippvistite eines möglicherweise adleräugigen Bekannten so unhygienisch wie die wegen Verstopfung geschlossene Dusche eines Freibades in den Slums von Mexico City. Immerhin wollen sie ja voll Stolz ihre neugeordnete Büchersammlung oder die im Urlaub erstandene Kitschkaffeetasse präsentieren können, auch wenn diese amateurhafte Darbietung schon beim ersten Mal jeden außer ihnen nervt.

Antiseptiker sortieren daher kurz vor dem Eintreffen des Gastes den belanglosen Inhalt ihrer Setzkästen und Vitrinen, rücken die Saftgläser im Küchenschrank in Formation und zucken dann zusammen, wenn sie an den Lokus denken. Um Himmels willen - der Duftstein unter dem Klorand könnte nicht mehr genug Aroma verströmen! Kaum ist Ihnen diese Vision durchs sterile Hirn gerast, schreiten sie schon - das Staubtuch zwischen gummibehandschuhten Fingern - aufrechten Ganges ins Badezimmer, öffnen vorsichtig den Klodeckel und leiten eine Testspülung ein.

Verdammt, genau diesmal wäre es noch aromatisch genug gewesen, aber wer weiß ... vielleicht war der Wohlgeruch jetzt die unwiderruflich letzte Lebensäußerung des alten Duftsteins? Das Ding wurde zwar nur selten genug mit Wasser benetzt, weil Antiseptiker ja aus lauter Selbstgefälligkeit zur Verstopfung neigen, doch der Weg zur Drogerie bleibt dem Hygienefanatiker trotzdem nicht mehr erspart. Glücklicherweise hat er nicht weit dorthin, und das ist selbstverständlich kein Zufall: Diese Leute achten bei der Wohnungssuche stets auf die Nähe zu einem Putzartikelladen.

Wenn ich Antiseptiker besuche, gehe ich prinzipiell nicht auf die Toilette und lasse auch die Schuhe an (mit der Begründung, ich hätte mir beim letzten Besuch an einem vertrockneten Brotkrümel den Fuß verletzt). Sobald ich mich dann, nach getaner Besuchsaktivität, auf den Weg zur Wohnungstür mache, kommt unweigerlich der Griff zur Kittelschürze und die beiläufige Bemerkung: "Ich werde jetzt mal meine Bude auf Vordermann bringen." Darauf braucht der Misanthrop dann nur ein lockeres "Nötig wär's ja!" zu erwidern, um den Angstschweiß des Gastgebers zum Fließen zu bringen.

Ich liebe den Geruch von Panik am Nachmittag.

Benny Denes

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