Kolumnen_Der Misanthrop: Imitatoren & Parodisten

Imitatoren & Parodisten

"Oisa - wie nemman man denn?" Hat man erst einen Steirer, Schwaben oder Sylter bei einer mißglückten Hans-Moser-Parodie ertappt, möchte man gleich Sprechverbot erteilen.    03.12.2003

Es gibt einen bislang weitgehend unerkannten gesellschaftlichen Stereotyp in unserer Mitte. Laut statistischer Normalverteilung kommt in der deutschen und auch der österreichischen Gesellschaft unter zehn mittelklugen Großstädtern mindestens ein Stimm- und/oder Dialektimitator vor. Der Misanthrop muß an dieser Stelle zugeben, daß er das mit der Großstadt selbst nicht so richtig versteht. Schließlich sollte man in Wien, Graz, Berlin oder Hamburg eigentlich keine allzu anpassungswillige Servilität gegenüber Prominenten kennen. Doch es ist genau diese Haltung, durch die Imitatoren scheinbar zu ihren akustischen Untaten motiviert werden.

In Deutschland ist die häufigste Vorlage solcher privater Kleinstkunstvorführungen der (im Original schon nie lustig gewesene) Helge Schneider. Allerorten trifft man Feierabend-Comedians, die mit angezogenen Nasenflügeln und gespitztem Mund preßwehenartig unvollständige Sätze absondern. Und dabei leuchten ihre Augen in freudiger Erwartung des zustimmend-bewundernden Gelächters der Zuhörerschaft. Diese ist jedoch meist eher peinlich berührt. Daß am Ende einer künstlerisch derart eingeschränkten Darbietung dann doch häufig genug Schenkelklopferei einsetzt, liegt wahrscheinlich zum Großteil an der kathartischen Wirkung lauten Lachens nach einer Beleidigung aller noch funktionierenden Sinnesorgane.

Ach so, das finden Sie zu höflich? Zu abstrakt? Sie meinen, daß der Misanthrop um einiges polemischer sein sollte? Na gut, also bitte: Stimmimitatoren - die zu 99 Prozent ohne jegliche Begabung auskommen - machen sich in jeder Tischrunde zum Volltrottel, blamieren in Gaststätten nicht nur sich, sondern die ganze Gesellschaft, die sich um sie geschart hat wie Fliegen um einen Scheißhaufen, und am liebsten möchte man sie mit doppelseitigem Klebeband zum Verstummen bringen.

Nicht nur besagter Herr Schneider wird häufig zum Opfer ihrer grauenvollen Parodien. (Wußten Sie übrigens, daß die altgriechische Urbedeutung des Wortes "Weg an etwas vorbei" lautet?). Auch dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Rudolf Scharping und dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sind zahlreiche fehlgeschlagene Belustigungsversuche zu verdanken. Und leider schrecken die Imitatoren vor gar nichts zurück und bedienen sich für ihr Programm auch österreichischer Prominenz und Sprachkultur. Da wird allzugern (und fast immer falsch) der große Hans Moser nachgeäfft, weil die Herren vom Planeten der Witzigkeit meinen, es genüge für diese verantwortungsvolle Aufgabe, möglichst kehlig zu sprechen und dabei die Zunge an den Unterkiefer zu drücken. Wienerisch ist unglücklicherweise auch ganz ohne Personenbezug stets en vogue bei diesen Kretins. Nur: "Gemma nemma oan Fiaka" klingt für den Misanthropen aus dem Munde eines Westfalen, Hessen oder Sachsen so typisch wienerisch wie der deutschsprachige Ostergruß des Papstes.

Gruppendynamisch ist das papageienhafte Verhalten solcher Individuen (eigentlich sollte man sie ja eher Pauschalien schimpfen) leicht nachzuvollziehen. Sie schöpfen aus einem Repertoire affektierter Lustigkeit, die doppelt abgesichert ist. Wenn sie auf hartnäckige Zuhörer treffen, die sie mit Lachentzug strafen, ziehen sich Stimmimitatoren auf den Umstand zurück, daß ja nicht sie, sondern der oder die Nachgeahmte etwas postuliert hätten; sie hätten sich quasi nur als Megaphone mißbrauchen lassen. Sprache verkommt so zur Mülldeponie für geistigen Unrat und wird von Parodisten zum Dokument banalster Selbstdarstellungen degradiert.

Der Misanthrop wartet derweil gespannt auf die ersten Parodien seiner klangvollen und reinen Stimme. Bis es soweit ist, bemüht er sich um astreines Hochdeutsch - ohne jede Prominentenähnlichkeit.

Man wird es ihm zu danken wissen.

 

Benny Denes

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