Kolumnen_Der Misanthrop: Liftfahrer

Liftfahrer

Eine einfache Aufgabe: Bewegen Sie sich vom Erdgeschoß in den zweiten Stock! Sie denken dabei ans Treppenhaus? Na gut, dann dürfen - und sollen - Sie weiterlesen.    28.06.2004

Die Typen nehmen so gut wie alle Angebote an, treten auf jede (falsche) Fährte und halten sich irrtümlich für Genießer. Sie sind Liftfahrer, gehen aber gelegentlich als Fahrstuhlbenutzer durch - wenn sie "klassische Bildung" auf dem Brett vor ihrem Kopf stehen haben. Fast schon bemitleidenswerte Bewohner von Hochhäusern, Wolkenkratzern und anderen Katastrophentürmen seien diesmal von der Anfeindungspolitik dieser Kolumne ausgenommen. (Aber die kriegen wir auch noch ...) Hier geht es ausschließlich um jene Faultiere, die sich vom Aufzug über die lächerliche Distanz von bestenfalls zwei Stockwerken befördern lassen.

Was die Spezies der Liftfahrer am meisten liebt, sind gläserne Kabinen. Aus denen können sie dem Pöbel gemütlich beim ordinären Erklimmen der Treppen - womöglich gar mit zwei Stufen pro Schritt - zuschauen, nachdem sie dank eines bequemen Knopfdrucks selbst zum Fahrgast geworden sind. Noch wichtiger ist es derartigen Windhunden jedoch, von den Treppenhausuntermenschen gesehen und hoffentlich sogar noch bewundert zu werden. Deshalb fahren sie besonders gern mit dem Aufzug in die Feinschmeckeretagen von Kaufhäusern, auch wenn die nur im ersten Stock liegen. Schließlich kann man sich Kaviar und Gänseleber leisten, also braucht man den Gucci-Schuh nicht abzunutzen. Manche machen sich im Lift auch auf den teuren Weg zum Schönheitschirurgen, der ihre Oberschenkelhaut straffen soll. Das liegt daran, daß das Denken nicht gerade ihre starke Seite ist.

Fahrstuhlbenutzer der übleren Art werden nervös, sobald zwischen dem Drücken der "1" und dem Türenschließen mehr als nur zwei Sekunden vergehen. In solchen Augenblicken steht ihnen der Angstschweiß auf der Stirn; schließlich könnte ja so ein Prolet von Treppenkletterer noch schnell zusteigen. Damit sich solche Vorkommnisse nicht mehr ereignen, haben die Liftdarwinisten und ihre Lobby dafür gesorgt, daß der Knopf mit dem Aufdruck "<->" globaler Fahrstuhlstandard wird. Sobald sich ein Jugendlicher oder ein Herr mit Oberlippenbart und zotteligem Haar der Kabine nähert, drücken die Stammbenutzer hektisch auf besagten Schalter, der die Türen mit sofortiger Wirkung verschließen soll. Sind sie dann in Sicherheit, im elitären Gehäuse ihrer Kabine, heucheln sie technisches Unverständnis vor und praktizieren ein unverschämtes Achselzucken, von dem der gemeine Stufenknecht ohnehin nichts mehr sehen kann - außer natürlich, er blickt in die obenerwähnte Glaskapsel.

Die übelste Art von Liftsnobs aber ist die der Abwärtsfahrer. "Na, dann schauen wir doch einmal, wer von uns schneller unten ist..." geben sie ihren Begleitern, die sich vernünftigerweise für Beinarbeit entscheiden wollten, mit auf den Weg. Oder: "Nein, nein, das ist ja auf Dauer für die Instandhaltung schlecht, wenn die Leute immer nur nach oben fahren. Da wird der Seilzug ungleichmäßig beansprucht!" Diese hochtechnische Aufgabe übernehmen die Fahrstuhlbenutzer dann doch lieber selbst - und zwar gründlich, da sie ja nur selten Normalgewicht haben.

Der Misanthrop bewegt sich lieber durch den schattigen Hintergrund des Lebens, also in diesem Fall durchs Treppenhaus. Nicht, daß ihm ein Hang zur Bequemlichkeit fremd wäre. Aber die Vorstellung, länger als drei Sekunden mit einem anderen Menschen auf bestenfalls einem Quadratmeter Fläche eingeschlossen zu sein, läßt ihn mit Freuden Treppen steigen.

Außerdem kann man im Lift ja schlecht grußlos an anderen vorbeigehen.

Benny Denes

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