Kolumnen_Der Misanthrop: Sammler, keine Jäger

Sammler, keine Jäger

Man trifft sie auf Flohmärkten, Spezialistenveranstaltungen und Messen: bemitleidenswerte Individuen, die ihren Sammeltrieb nicht unter Kontrolle haben.    14.04.2003

Erinnern Sie sich an die Steinzeit? Damals ging man(n) mit den barbarischen Stammeskollegen auf die Jagd und kehrte vor Sonnenuntergang mit ein paar selbstgejagten Tierkadavern heim. In der Zwischenzeit war frau unterwegs, um mit kind (wenn verfügbar) Beeren, Wurzeln und Früchte zu sammeln.

In dieser Epoche der Menschheitsgeschichte hatte das beschriebene Verhalten durchaus seinen Sinn und schien daher gottgegeben und natürlich. Und heute? Genau: Heute braucht es niemand mehr, zumindest nicht in der westlichen Welt. Aus der einst so wichtigen Jagd wurde längst ein Sport für Männer mit Penisneid, und der Sammeltrieb sollte eigentlich durch das Horten von Rabattmarken befriedigt sein. Und so hätte alles seine schöne Ordnung - wären da nicht einige bemitleidenswerte Individuen, die sich unbedingt wie Steinzeitfrauen benehmen müssen.

Man trifft sie auf Flohmärkten und speziellen Veranstaltungen, die man schon an den selten idiotischen Titeln auf stümperhaft gestalteten Plakaten erkennt: "Ü-Ei-Messen", "Loden-Raritäten und -Sammlerstücke" oder auch "3. Bad Nauheimer Stickersammlerkongreß". Die Fetischisten, die zu solche Treffpunkten schwärmen, sind nicht nur (wie alle Fetischisten) recht traurige Gestalten, sondern eine scheinbar heterogene soziale Sparte, die aber hinsichtlich Debilität und Phantasielosigkeit absolut homogen ist.

So ergötzen sich Sammler etwa daran, den dreitausendsten Ministofflöwen ergattert zu haben, den die französische Großbank als Werbegeschenk hergestellt hat, und bezahlen bis zu 400 Euro für einen kaum zehn Zentimeter großen Schlumpf. Ganz schwere Fälle planen sogar ihre Urlaubsreisen entsprechend den Veranstaltungsankündigungen in den Zunftorganen.

Dabei ist es ja nicht so, daß das Sammen grundsätzlich verwerflich wäre. Ein Bekannter des Misanthropen häufte beispielsweise jahrelang menschliche Knochen an, bis er plötzlich unbekannt verzogen war. Ebenso sportlich schien die Pflege und Erweiterung der Insektenkollektion in meist leeren Honig- und Marmeladengläsern, die ein anderer Charakter aus dem Misanthropenumfeld jahrelang betrieb. Doch bei diesen Personen ging es ja auch um selbstgejagte Dinge. Ärgerlich sind hingegen Sammler, deren Lustobjekte nur für Geld erhältlich sind. Was soll man schon zu Leuten sagen, die für "Euro-Starterkits" aus Finnland 25 Euro hinlegen, obwohl die Münzen nur einen Nennwert von 3,88 Euro haben? Und vor allem: Was nützt es, diesen Leuten etwas zu sagen? Die haben doch Scheuklappen, hinter denen sich ganze Inselgruppen problemlos verbergen könnten...

Bei der Gelegenheit hat der Misanthrop auch gleich eine Geschäftsidee: Man lanciere das Gerücht, daß kleine, numerierte Papierschnitzel ("handsigniert"), denen man mit einem Schuß Öl ein Wasserzeichen verpaßt hat ("Echtheitszertifikat"), bereits in Kürze unheimliche Wertsteigerungen erfahren würden, und verkaufe sie in handlich-eleganten Schächtelchen. Darauf fahren garantiert Unmengen Sammler ab. Man muß nur aufpassen, daß man nicht an einen wütenden Jäger gerät, der sich derartige Blödheiten nicht gefallen läßt.

Benny Denes

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