Kolumnen_Der Misanthrop: Unschuldige

Unschuldige

Eine Frau quält Arbeitskollegen, bis sie weinend nach Hause gehen, ein Mann steckt CD-ROMs verkehrt ins Laufwerk. Was sie gemeinsam haben? Den Satz: "An mir kann´s nicht liegen!"    17.05.2004

Irren ist menschlich - und dem Misanthropen daher von vornherein zutiefst unsympathisch. Aber angeblich macht ja jeder einmal Fehler, wie es heißt. Nur: Es gibt Leute, die es nicht einmal schaffen, zu ihren Fehlern zu stehen. Und die verachtet der Misanthrop noch viel mehr. Aus diesem Grund wurde er in den letzten Jahren zum professionellen Fehleraufdecker und -anprangerer.

Perfekt wollen sie erscheinen - die Unschuldigen im Kollegium, im Freundeskreis und in der Familie. Und sie wollen in Wahrheit nichts als Karriere machen, meinen aber, das wäre für ihre Umwelt ein bestens gehütetes Geheimnis. Diese irrige Ansicht ist auf die stark unterentwickelte Auffassungsgabe der Unschuldigen zurückzuführen. Sie begreifen einfach nichts. Dennoch glauben sie, daß sie sich in jeder Situation extrem schnell zurechtfinden und alles sofort mitbekommen - der nächste Irrtum. Der rührt wiederum daher, daß ihnen im zarten Alter von vier Jahren, beim Urlaub in Kärnten, ein Bauer beim Spielen auf der Blumenwiese zugesehen hat. Damals hatten sie von Mami und Papi (Unschuldige nennen ihre Herren Eltern immer so, weil es ihnen an gescheiteren Begriffen fehlt) gerade das Wort "Veilchen" gelernt. Und als sie zufällig gerade ein Exemplar dieser Blumenart in der Hand hielten, wollten sie ihr soeben erworbenes lexikalisches Wissen ausprobieren und lallten daher "Feilchen". Was den Landmann zur folgenschweren Aussage bewegte: "Du bist ja ein ganz Schlauer. Toll, kannst ja schon die Blumen erkennen!"

Und das kommt dann davon: Unschuldige werfen Vasen um und erklären sogleich frech etwas über Experimente und neueste Erkenntnisse zur Fugenbildung bei Qualitätsporzellan. Sie kaufen im Supermarkt immer nur das Falsche ein und sagen hinterher eiskalt zu ihrem Partner: "Ich habe mich ja auch gewundert, aber das stand so auf dem Zettel, den du geschrieben hast." Dieser Relativsatz ist übrigens ganz typisch für Unschuldige. Sie haben gelesen, daß es zum Anschein der Perfektion gehört, immer jeden Zweifel an sich selbst auszuräumen und die Schuld auf eine andere Person zu schieben (wenn´s notwendig ist, müssen sogar die Eltern herhalten, weil ja die furchtbare Kindheit immer an allem schuld ist...).

Leider scheint ihre Strategie auch zu funktionieren - weil Unschuldige tatsächlich immer wieder zu Abteilungsleitern, Geschäftsführern und Politikern gemacht werden. Drei Viertel der New Economy wurden von Unschuldigen in den Niedergang geführt, wobei die Verantwortlichen schon vor dem physischen Ende der meisten Unternehmen die Schuld bei anderen gesehen haben. Unschuldig waren und sind auch viele Sportler: Steffi Graf führte nach den wenigen Partien, die sie verloren hat, wahlweise eine starke Erkältung oder Rückenschmerzen zur Entschuldigung an. Und der Fußballer Aldo Duscher sagte, nachdem er in einem Champions-League-Spiel David Beckham das Schienbein gebrochen hatte, dieser sei in sein gestrecktes Bein gerutscht.

Der Misanthrop mag keine Unschuldigen. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre Fehler kurz zu verbalisieren und dann in ein kleines Notizbuch einzutragen. Wenn sich die Betroffenen dann an ihn wenden und um Löschung des entsprechenden Eintrags ersuchen, sagt er nur: "Es gibt keine Entschuldigung. Das hättest du wohl gern, aber dann wüßte ich nichts Unterhaltsames, was ich auf deiner Beförderungsfeier vortragen kann! Selber schuld."

Benny Denes

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