Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Sonnenstrahlen
Dr. Trash empfiehlt: Überlegen Sie sich genau, ob Sie wirklich ein "Outlaw" sein wollen oder sich lieber in die Armee der für die Welt völlig belanglosen Hipster einreihen. Ist doch viel bequemer - und wie man immer wieder sieht, haben es Außenseiter gar nicht leicht.
02.12.2015
Seit fast einem halben Jahrhundert gilt es in "gebildeten" Kreisen als schick und schön, den Abweichler zu verehren, das Abnorme abzufeiern und den Außenseiter zum Helden zu stilisieren. Abgesehen davon, daß es sich dabei um reines Wunschdenken der letzten großen Kleinbürgergeneration (Stichwort: Alt- und Jung-68er) handelt, darf man dabei - das weiß Ihr Doktor genau - zwei Dinge nicht vergessen: Zum einen brauchen die Freaks die Normalos unbedingt und werden sich wundern, wenn einmal keine mehr da sind und ihnen ihre Gspassettln finanzieren (oder sich wenigstens noch darüber ärgern). Und zum anderen gehört ziemlich viel Mut, Stärke und Konsequenz dazu, ein echter Outlaw zu sein - so einer wie der in Berlin gewirkt habende Künstler, Hochstapler, Heiratsschwindler, Anstaltsinsasse, Alkoholiker und Fälscher, dessen Leben und Werk in Friedrich Schröder-Sonnenstern und sein Kosmos (Parthas Berlin) von Klaus Ferentschik und Peter Gorsen aufs Präziseste und Ausführlichste behandelt werden.
Der "größte in Deutschland lebende Maler" war ein Filou, seelisch nicht extra stabil, zwischen Größenwahn und Selbstzerstörung hin- und hergerissen. Geboren wurde er 1892, gestorben ist er - ebenso arm wie bei seiner Geburt - 1982. Ferentschik, der für den biographischen Teil zuständig war, hat das Leben dieses Mannes meisterhaft recherchiert und mit zahlreichen Dokumenten und unverzichtbaren Fußnoten belegt; während Gorsen - ein Experte für die künstlerischen Abweichler, ob man ihr Schaffen nun als Art brut oder anderswie bezeichnet - für die Interpretation des Sonnensternschen Schaffens zuständig ist. Alles in allem ergeben die zwei voneinander getrennten und doch untrennbar zusammengehörigen Teile ein Buch, das nicht nur für den Sammler der heute so hippen "Kunst der Geisteskranken" gedacht ist, sondern für jeden, der Biographien zu schätzen weiß, die so skurril sind, daß sie ebensogut erfunden sein könnten. Weil die Wahrheit ohnehin überschätzt wird - oder auch immer ganz woanders ist, wie vor allem ´Patapyhsiker Klaus Ferentschik weiß.
Erschienen ist das Buch übrigens bereits im Jahre 2013, aber das stört uns nicht, weil der "Aktualitätszwang" schon längst aus der Verlags- und Rezensentenbranche beseitigt gehört; ein lesenswertes Buch wird ja nicht weniger wichtig, weil es ein paar Monate liegt ... Wer es dennoch aktueller will, greift zu Ferentschiks mindestens ebenso gelunger Kabelenzyklopädie (Der Konterfei), entstanden bei einem Artist-in-Residence-Aufenthalt des Autors in seiner ehemaligen Wahlheimat Wien und mit ca. 600 Stichworten zum Thema "Kabel" eine Kollektion, zu der nach wie vor längst nicht alles gesagt ist ...
Dr. Trash
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