Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #27

Der FOB-Effekt beim 60-Zöller

Besserwisser weisen gerne drauf hin, daß mehr Menschen durch herabfallende Kokosnüsse sterben als durch Hai-Attacken. Ihr Kolumnist betrachtet weder das eine noch das andere als reale Bedrohung und wendet sich lieber einem Fernseher zu, der noch flacher ist als das Programm, das er zeigt.    24.02.2011

Aufmerksamen Lesern der Kolumnen vom Dezember und Januar wird aufgefallen sein, daß diese gar nicht erschienen sind. Die Idee war folgende: Aufmerksamen Lesern meiner Kolumne wird ja bereits aufgefallen sein, daß ich mich in vielen Kolumnen dem allgemeinen, besonderen und immer totaleren Nichts zugewandt hatte. Nichts lag also näher, als die Kolumne förmlich mit dem Nichts zu verschmelzen, eins zu sein mit dem Nichts, ergo: nicht zu erscheinen, noch nicht einmal als Absage in Erscheinung zu treten, quasi das Kolumne gewordene Analogon zu Kasimir Malewitschs "Schwarzem Quadrat" zu werden.

Die Leserbriefe fielen nicht besonders enthusiastisch aus. Ich schiebe das allein auf den Umstand, daß eine nicht existierende Kolumne auch keinerlei Kommentarfunktion hat, über die aufmerksame Leser ihrer Begeisterung unverhohlen hätten Ausdruck verleihen können ... Ach, was lüge ich Sie eigentlich an?

In Wirklichkeit wollte ich eine Kolumne über ein schwarzes Quadrat der ganz eigenen Art schreiben, nämlich meinen neuen 60-Zoll-Flat-Screen-LCD-TFT-Plasma-TV-Fernseher. Als Qualitätsjournalist steht bei mir allerdings die Recherche an oberster Stelle, daher mußte ich natürlich zunächst einige Filme auf dem Gerät ansehen und so die User Experience prüfen.

Das zog sich hin. Vor lauter Glotzerei kam ich zu nichts.

Machen wir es also kurz und kommen zum Kernthema der heutigen Kolumne: dem FOB-Prinzip, dessen Opfer ich wurde. FOB steht für "Faß ohne Boden" und bezeichnet das Phänomen, daß man kein iPhone kaufen kann, ohne sich auch eine Schutzhülle dazu zu gönnen. Daß man sich kein MacBook kaufen kann, ohne ein schützendes Kokosfaser-Case mit Haifischflossenledergriff. Keine Spiegelreflex ohne zig Objektive und Blitzgeräte, keinen Drucker ohne Toner, kein Klo ohne Klopapier und kein Venedig-Aufenthalt ohne Stadtplan (der übrigens nichts hilft).

Wenn Sie sich - wie ich - ein Fernsehgerät mit der Bildfläche des Markusplatzes angeschafft haben, sorgt der FOB-Effekt dafür, daß Ihr noch gar nicht so alter DVD-Player anstelle eines feines Bildes, wie noch letzte Woche am 15-Zoll-Röhrenfernseher, plötzlich grobe Pixel zeigt, was sage ich: Klötzchen! Klötze! Große, monochrome, schwarze Quadrate! Kokosnüsse in Naturdokumentationen sehen dann plötzlich aus wie braune Quadrate, Haie wie graue Rechtecke und ein Venedig-Krimi kommt daher wie "Tomb Raider II" (wie habe ich das Venedig-Level geliebt!) auf einer kaputten PlayStation 2.

Woraus folgt: Sie brauchen dringend ein Ding namens Blu-ray-Player. Wohin dann mit dem alten DVD-Player? Ich stellte meinen hinten im eBay-Kämmerchen auf den VHS-Player, den ich nur deswegen noch nicht verkauft habe, weil ich meiner Frau noch ein paar alte VHS-Videos digitalisieren wollte. Versprochen hatte ich ihr das im Jahr 2000 oder so, kurz darauf hatte ich praktisch jedes VHS-Tape in meinem Besitz durch eine DVD ersetzt (dank schnellem Geld durch Dotcom-Wahnsinn, gute alte Zeit!). Damals wichtig, heute Altplastik. Die DVDs stellte ich gleich dazu, denn der FOB-Effekt sorgt nun dafür, daß ich alle Filme als Blu-rays anschaffen muß. "Star Wars" habe ich dann bald als VHS, VHS-Remastered, DVD und Blu-ray, eigentlich fehlt mir nur noch die 35-Millimeter-Version oder vielleicht eine Raubkopie im iPhone-Format.

Wo war ich? Ach ja: auf dem Sofa, um also alle Filme, die ich habe, nochmal anzuschauen. Um mich zu vergewissern, daß die Anschaffung sich gelohnt hat.

Hat sie nicht, zumindest zunächst. Denn als leidenschaftlicher Trash-Connaisseur mußte ich dabei viele Stinker sehen, in denen einer der vier Baldwin-Brüder mitspielte. Je nach dem, wen man fragt, mangelt es den Brüdern Alec, Daniel, Stephen und William nämlich mehr oder weniger an jeglicher Schauspielkunst. Besonders übel ist Stephen Baldwin, ein steroid aufgepumpter Minimalmime, der an Bühnenpräsenz locker seinen Beinahe-Namensvetter Steven Seagal unterbietet.

Am Ende lohnte es sich dann aber doch. Denn als ich endlich zur Neuerwerbung "Der weiße Hai in Venedig" ("Sharks in Venice", 2008) vorstieß, während meine Putzhilfe verstimmt die Chips-Krümel vom Sofa saugte und von meinem Bademantel (was mich verstimmte, weil ich ihn da noch anhatte), konnte ich den Baldwins alles verzeihen. Wer diesen Film übersteht, ohne daß ihm das Gehirn zu den Ohren rausblutet, der weiß, daß der 60-Zöller keine Fehlinvestition war, ja, daß es auch ein 70-Zöller hätte sein dürfen, um Stephen Baldwin durch US-Kulissen staksen sehen zu dürfen, während parallel Venedig-Stock-Footage reingeschnitten wird. Heißa!

"Ironie funktioniert in Texten nicht!" warnte mich stets mein chinesischer Meister. Daher zum Abschluß der dringende Hinweis: Nein, selbst wenn Sie, wie ich, völlig Venedig-meschugge sind und außerdem auf Hai-Filme abfahren, selbst dann ist diese grenzdebile Zelluloidverschwendung ein absolutes No-go. Ich stelle daher ganz allgemein die Frage in den Abstellraum, ob unsere Zivilisation nicht ganz allgemein ihren Zenit überschritten hat. Westliche Wissenschaftler forschen jahrelang an neuen Grundlagen, Ingenieure grübeln monatelang über neuen Methoden und Möglichkeiten, die Bedienung der auf ihnen basierenden Geräte zu erschweren, Chinesen stehlen all die mühsame Denkarbeit in wenigen Wochen, und ihre Fließbänder produzieren binnen einem Tag TV-Geräte mit der Denkkapazität der gesamten NASA zur Zeit der Apollo-Mission - und all der Aufwand nur, damit sich die Deppen da draußen "hochauflösend" Schrottfilme ansehen können? Da kann doch was nicht stimmen!

Ich selbst rate daher zu "Sharkman", einem wunderbaren B-Movie, in dem jeder der Baldwins hätte mitspielen können, es aber gottlob nicht tat. Als Teil einer Sammlung von Haifisch-Filmen beweist er übrigens wieder allen Besserwissern eindeutig, daß deutlich mehr Menschen durch Haie umkommen als durch herabfallende Kokosnüsse - sonst würde ja wohl irgendjemand einen Film über letzteres Problem drehen.

 

--

Das Bilderrätsel:

Andreas Winterer

Der weiße Hai in Venedig

Ø

Musterbeispiel für schlimmen Trash

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Stephen Baldwin als ungeheuer glaubwürdiger US-Archäologieprofessor, der in Venedig im enganliegenden Sweatshirt in eigener Sache zum Tod seines Vaters ermittelt und dabei vor Muskeln kaum gehen kann. Der Vater kam übrigens bei einem Tauchunfall ums Leben, als er im Auftrag der Russenmafia nach dem Schatz des Königs Salomon forschte ... aber es war nicht die Russenmafia, die ihn killte, sondern ein Monster-Hai, der in der Lagunenstadt Venedig wohl noch heute durch die Kanäle schwömme, würde ihn der Stephen am Ende nicht erledigen.

 

Brahaha. Das muß man einfach gesehen haben, allerdings nur so lange, bis man es sieht, denn dann bereut man, daß man es tatsächlich gesehen hat. Jetzt aber die Pointe: Ich schau’ heut’ mal bei Amazon, ob es den Film überhaupt noch gibt, und stelle fest: Nur drei Leute wollen ihn loswerden, der Gebrauchtwert dieser illustren Rarität liegt derzeit bei fast 50 Euro. (Das dürfte dem Budget des Films entsprechen ...)

Links:

Sharkman

ØØØ

Kleinod der Trash-Kunst

Leserbewertung: (bewerten)

Also, dann doch lieber das: Der verrückte Wissenschaftler Dr. Preston King (Jeffrey Combs) ist fasziniert vom Immunsystem der Hammerhaie und will einen Mensch-Hai-Hybriden schaffen. Ein Pharmakonzern ist interessiert und schickt ein paar Leute, unter anderem die schöne Amelia Lockhart (Hunter Tylo), die ihrerseits aussieht wie ein Frau-Silikon-Hybride. Der namenlose Rest des weiblichen Casts wird relativ schnell verspeist, da Dr. King längst einen Hybriden erzeugt hat und schon seit Wochen versucht, weibliche Menschen von ihm befruchten zu lassen (natürlich gegen deren Willen).

 

Das alles wäre ungeheuer schlecht, wenn es nicht so gut wäre. Hunter Tylo zum Beispiel sieht dermaßen nach B-Cast aus der Ich-war-mal-Model-Mottenkiste aus, daß man weinen möchte - aber dann sieht man, wie sie sich den ganzen Film über ins Zeug legt, als würde sie hier beim Action-Remake eines Ingmar-Bergman-Films mitmachen. Das berührt. Der peinlich übergewichtige Held Tom Reed (William Forsythe) steht ihr da kaum nach und wirkt nach der ersten Stunde mit Ballermann in der Hand und dreckig zerrissenem T-Shirt über der Wampe deutlich authentischer als all die gestählten Muskelmänner aus der ersten Reihe, bei denen doch eh klar ist, daß sie das Böse aufhalten werden. Combs ist wie üblich großartig, die Kulissen stimmen auch, kurz: Hier hat man nicht lieblos einen B-Mist runtergekurbelt. Stattdessen haben viele nur halb begabte Leute sich ungeheure Mühe gegeben, mit geringen Mitteln ein trotzdem höchst unterhaltsames B-Movie zu drehen - und das merkt man diesem Schund wirklich positiv an.

 

Mein Tip für Creature-Feature-Fans, die schon alles gesehen haben und die die unterste Schublade der guilty pleasures nicht scheuen.

Links:

Kommentare_

Die beste Gattin - 28.02.2011 : 15.06
Hier muss in jedem Fall gesagt werden, dass ich nicht mehr damit rechne, dass meine wunderbare VHS-Sammlung noch in diesem Leben digitalisiert wird (sie wandert in den Müll) und dass ich mir die Bemerkung über Steven Seagal verbitte, sowie erwarte, dass der Herr Kolumnist sämtliche Seagal-Filme schnellstmöglich auf Blue-Ray ranschafft, zumindest diese Alarmstufe-Rot-Knaller, die ich mir bei Gelegenheit dringend wieder einmal reinziehen muss.
Der Kolumnnist - 28.02.2011 : 17.43
Steven 'Frederic' Seagal ist natürlich der ungekrönte König des B-Actioners, trotz zunehmend wirrer Ostblock-Regisseure und der ewig gleichen Unterschätzer-Ex-Agent-rächt-irgendwen-Plots. Ich gebe aber zu bedenken, dass Du ihn auf Blu-ray plötzlich viel schärfer sehen würdest, das hat auch Nachteile - denk nur an all die Nachrichtensprecher, die seit Neuestem so faltig oder aufgedunsen und plattgeschminkt aussehen...
Schroeder - 22.03.2011 : 22.58
Ohne mich in Familiendissonanzen über etwaige Grusel-Schocker mischen zu wollen: Star Wars in Full-HD allein ist die Anschaffung eines 60-Zoll-Bildschirms wert. In dem Fall auch nicht auch. Oder auch nicht, freilich. Mir fehlt indes der Platz für einen unfassbar grossen Fernseher, im Gegensatz zum Film. Ist freilich so traurig nicht, denn nun folgen laue Frühlingsabende. Laden ein zum Lesen am See. Folge der Einladung gern. Mit meinem Buch. Vielleicht drei Zoll, ohne berührungsempfindlichen Bildschirm.
Der Kolumnist - 23.03.2011 : 11.17
Ich habe vom Hype um die 9x6-Zoll-Non-E-Reader gehört. Indes stört mich der lästige Kopierschutz des Umblätterns und das unhandlich dicke Format mit den vielen Seiten. Positiv ist allerdings, dass sich damit an Seen Mücken erschlagen lasen, auch mehrfach, ohne die Funktion zu beeinträchtigen. Ich behaupte dennoch: Das gedruckte Buch wird sich nie durchsetzen.
Alban Sturm - 24.03.2011 : 22.13
Wenngleich ich Ihnen, Monsieur le échotier, kaum ein Wort Ihrer obigen Replik glaube, so goutierte ich dennoch den (vermeintlichen?) Freud'schen Vertipper "erschlagen lasen". Chapeau!

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