Musik_CD-Tips der Woche

Alte Hasen und junge Pferde

Seeing is believing: Die dieswöchige Jukebox bietet ein Eighties-Déjà-vu mit dem New Young Pony Club, ein Wiedersehen mit Nick Lowe sowie Hörproben der gitarrenrockenden Landjugend.    13.07.2007

Peter Hiess & Manfred Prescher

New Young Pony Club - Fantastic Playroom

ØØØØ

Universal (GB 2007)


Es sind diese Synth-Sounds, die von frühen Ultravox-Platten (vor Midge Ure) oder aus einer der zirka zwei guten Nummern von Gary Numan stammen könnten. Die treffen einen als erstes ins Musikhörerherz, unmittelbar gefolgt vom unkompliziert-funktionellen Baß, Marke Jean-Jacques Burnel (Stranglers), und dem ungewöhnlichen Aufbau der Songs, ganz anders als der Radio- und der Indie-Dreck, der ewig gleich klingt, immer nur Happy-happy-joy-joy oder blödes Gejammer. Hier ist alles anders, verspielter, phantasievoller - und mit solchen Textzeilen: "It’s the sound/Of revolution in the bedroom/But we know there’s nothing doing/Because we’re hiding on the staircase", vorgetragen von Tahita Bulmers Stimme, die die Slits und die Raincoats, eventuell sogar die zu Unrecht vergessene Pauline Murray in Erinnerung ruft. Und dann hat man sich auch schon in den New Young Pony Club verliebt.

Die drei Mädchen und zwei Jungs (einer davon - Andy Spence - nicht mehr ganz so jung, aber dafür Mastermind, Haupt-Songwriter und Gitarrist) werden von der Fachpresse als "Electro-Funk", "Post New Wave Dancefloor" oder "Punk Disco" bezeichnet. Was das bedeutet? Natürlich überhaupt nichts. NYPC haben nur entfernt mit der New-New-Wave-Renaissance, gottlob recht wenig mit der langweiligen Dance-Szene und schon gar nichts mit den "sleazy" Electroclash-Schweinchen zu tun. Sie machen auf ihrem Debütalbum "Fantastic Playroom" einfach nur erfreulich eingängige Musik, die sich für den Klassenball der Kunstschule genausogut eignet wie fürs Arbeitszimmer des Freischaffenden. Grundtenor: eher B-52´s als die Scheißdisco von Shitdisco. Und wer die Muße hat, genauer hinzuhören, kann sich auch an den gelungenen Lyrics erfreuen. Insgesamt bringen NYPC zwar nichts, was nicht auch Elastica Anfang der 90er Jahre schon geboten hätten - aber die haben sich ja durchaus auch eine kleine Retrowelle verdient.

"It’s all right, as long as it’s black or white - except when they’re grey" ...

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Nick Lowe - At My Age

ØØØØ

Rough Trade (GB 2007)


Wer kann von sich schon behaupten, daß er mit 57 Jahren viel besser aussieht als mit 17, 27 oder 37? Bei Nick Lowe ist das auf jeden Fall so. Er ist längst in Würden und bei voller Coolness zum "elder statesman" des Pop ergraut. Daß er dabei auch die Genregrenzen zwischen Country, Swing, Motown- und Stax-Soul sowie britischem Old-School-Sound überwinden würde, war allerdings schon in frühen Jahren abzusehen.

In Kurzform liest sich seine Karriere so: Lowe war in den späten Sechzigern und bis Mitte der 70er Jahre als Teil der Band Brinsley Schwarz wesentlicher Teil der Pubrock-Szene, kollaborierte kurz darauf mit Elvis Costello und dessen Attractions und erlangte zur New-Wave-Zeit einen ersten Popularitätshöhepunkt. 1979 heiratete er Carlene Carter, die Stieftochter von Johnny Cash, und schrieb auch für den "man in black". Sein immer schon vorhandenes Interesse für Country bekam dadurch ein Ventil - was sich auch in den eigenen Platten widerspiegelte.

1992 war Lowe noch einmal oben: Unter dem Projektnamen Little Village nahm er gemeinsam mit John Hiatt, Jim Keltner und Ry Cooder eine überaus erfolgreiche Platte auf. Danach meldete er sich sporadisch, aber mit hervorragenden Alben zurück. Allerdings nahmen nur wenige Genießer davon Kenntnis. Das wird leider auch bei "At My Age" der Fall sein. Die zwölf Songs sind alle perfekter arrangiert und komponiert als heutzutage üblich. Dadurch wirken sie herrlich altmodisch - ein Umstand, der durch den relaxten Vortrag des Engländers noch unterstrichen wird. Wie schon beim vorigen Studiowerk, der 2001er-CD "Convincer", changiert Lowe zwischen sanftem Bar-Swing und Country. Manchmal tut er das sogar in einem einzigen Stück, wie beim Opener "A Better Man". Echte Song-Juwelen sind "The Man In Love" oder "Rome Wasn´t Built In A Day" mit ihren souligen Reminiszenzen.

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Rocket Uppercut - This Beautiful Tragedy

ØØØØ

Modern Noise/Cargo Records (D 2007)


Pogo, Pogo, Pogo! Diesmal kommt der Sound aus Regensburg, aber das merkt man Rocket Uppercut nicht an. Die steigen nämlich in die Gitarren wie früher die guten alten Punkbands, lassen auch die Farfisa-Orgel aus dem Sixties-Garagensound nicht weg und streuen zwischendurch ein paar Psychobilly- oder Pop-Elemente ein. Wir nennen das Rock´n´Roll, die Band selbst bezeichnet ihren Stil als "IndieNoiseRock", was nur wieder demonstriert, daß der Begriff Indie keinerlei sinnvolle Bedeutung mehr hat. Die zwei Damen (Bianca am Mikro und der Orgel, Melanie am Schlagwerk) und zwei Herren (Kevin an der Gitarre, Max am Baß) - deren Nachnamen wir Ihnen hier ersparen wollen, weil sie sich so verdammt deutsch lesen - wissen jedenfalls, wie man international klingt und Tempo erzeugt. Diese Tatsache macht sie nicht nur zur erfolgreichen Liveband, sondern kommt auch auf ihrer ersten Platte "This Beautiful Tragedy" bestens zur Geltung. Da vermischen sich New Wave und No Wave, Power-Pop à la Blondie und metallisch-harte Lust an der Krachmacherei zu einem wohlschmeckenden und etwas trashigen Cocktail für die verrauchte Großstadt-Konzerthalle und/oder die Bauerndisco. So sollten alle Tragödien ausgehen.

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