Musik_CD-Tips der Woche

Altersweisheit und Alterschwäche

Zwei große alte Damen und ein Düstermann, dem man die Wirrungen des Lebens ansieht - das ergibt einen Coolness-Faktor, bei dem selbst Paul Weller erblassen würde.
   20.07.2007

Manfred Prescher

Porter Wagoner - Wagonmaster

ØØØØ

Anti/SPV (USA 2007)


Am 12. August feiert der in Plains/Missouri geborene Country-Recke Porter Wagoner seinen 80. Geburtstag. Angesichts der traurigen Tatsache, daß Waylon Jennings, Johnny Cash und andere Weggefährten längst schon den Weg in die ewige Prärie angetreten haben, ist das tatsächlich ein Grund zum Feiern. Erst recht, wenn man sich wie Wagoner stets am Abgrund entlanggehangelt und darüber Texte geschrieben hat. Seine Lieder, allen voran das bittere Monument des Wahnsinnigseins ("The Rubber Room"), beeinflußten die Songwriter-Punks von Alex Chilton und Tav Falco bis zu Jonathan Richman oder Ryan Adams.

Die werden auch das Spätwerk des "Wagonmaster" lieben. Wie ein echter Trail-Anführer aus dem John-Ford-Reich zieht er den Treck durch karges und gefährliches Land - in diesem Fall das seiner Verletzungen und seelischen Schrammen. "Committed To Parkview", "My Many Hurried Southern Trips", "Who Knows Right From Wrong" oder "The Agony Of Waiting" sind traurig schön, da geht man gern den Weg über "Satan´s River" mit. Daß Porter Wagoner am Abend seines schillernden Lebens "The Late Love Of Mine" gefunden hat, sei ihm gegönnt. Er weiß nur zu gut, daß Alter vor nichts schützt, schon gar nicht vor gebrochenem Herzen. "Wagonmaster" ist die Platte für alle, die über das Ende der "American Recordings"-Serie weinen und wieder ein klingendes Objekt zum Trauern brauchen.

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Dame Shirley Bassey - Get The Party Started

Ø

Lock Stock & Barrel/UMVD (GB 2007)


70 Jahre alt und eine verdiente Persönlichkeit: "Dame Commander of the Order of the British Empire" darf sich Shirley Bassey nennen. In Anbetracht der popmusikalischen Verdienste, die sie sich seit den späten 50er Jahren erworben hat, ist das nur würdig und recht. Allerdings fragt man sich nun im Sommer 2007, wenn man das neue Album "Get The Party Started" hört, ob diese späte Demontage einer großen Künstlerin wirklich sein muß. Oder um es anders auszudrücken: Wo sind eigentlich die Propellerheads, wenn man sie braucht? Immerhin haben Gifford und White anno 1997 die große Dame noch in Eleganz und mit dezentem Big Beat reifen lassen.

"Get The Party Started" ist hingegen ein lieblos instrumentiertes Machwerk aus alten Kamellen und unnötigen Coverversionen, das Shirleys swingender Stimme nicht mal ansatzweise gerecht wird. Die dreifache Bond-Titellied-Queen ist zu schade für Kaufhausgedudel - und miese Varianten von "You Only Live Twice" braucht kein Mensch. Das finale "I Will Survive", das wir schon viel besser von Gloria Gaynor, erst recht aber von Gladys Knight gehört haben, wirkt da schon fast trotzig. Aber keine Angst, Lady, Sie werden auch diese auf CD gebrannte Tragödie überleben. Denn Sie haben uns unter anderem "Big Spender", "Does Anybody Miss Me" oder eine atemberaubende Version von "Light My Fire" beschert. Am ehesten in diese Qualitätskategorie paßt noch das von Pink geliehene Titelstück.

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Marlene Dietrich With The Burt Bacharach Orchestra

ØØØØØ

Bureau Buskies/D: edel/Ö: Soul Seduction (D 2007)


Als sich diese beiden Giganten trafen, kamen sie von entgegengesetzten Enden aufeinander zu: Marlene Dietrich, die große, in Berlin geborene Schauspielerin, Sängerin und Nazi-Gegnerin, war schon über 50 und ein Idol mit Auskommen, aber ohne große Zukunft. Die stand dem noch nicht mal 30 Jahre alten Ausnahmepianisten und -arrangeur Burt Bacharach aus Kansas City noch bevor. Das Treffen sollte für das ungleiche Paar ein Triumph werden. Für Marlene war Burt ein Glückstreffer sondergleichen, denn er gab ihrer Stimme die perfekte Umgebung, veredelte sie mit perfekter Instrumentierung - und machte die Dietrich in der Zeit von Mitte der 50er bis in die frühen 60er endgültig zum gefeierten Gesangs-Star.

Warum das so ist und wie magisch die Zusammenarbeit Dietrich/Bacharach wirklich war, läßt sich auf der beim rührigen Bureau-Buskies-Label erschienen Werkschau nachhören. Natürlich umfaßt die CD mit ihren 20 Stücken nicht das gemeinsame Gesamtwerk der beiden und bietet dem Hardcore-Fan auch nichts Neues, aber ein funkelndes Juwel ist sie doch: "Honeysuckle Rose", "Makin´ Whoopee" oder "The Laziest Gal In Town" zeigen, daß die Dietrich - das richtige Umfeld vorausgesetzt - nicht weniger stilvoll swingt als Frankieboy. Mal ist sie die charmante Geliebte ("You´re The Cream In My Coffee"), mal die Verbitterte, die aus der Enttäuschung keinen Hehl macht ("Go ´Way From My Window"). Stets aber ist sie so unglaublich souverän, daß auch heute noch Gänsehaut-Feeling aufkommt. Burts Anteil daran ist nicht zu unterschätzen, das dokumentieren besonders die Live-Aufnahmen von "I Can´t Give You Anything But Love" oder "Falling In Love Again". In die Worte der Anmoderation zu diesem Song legt Marlene Dietrich nicht nur das Wissen um Bacharachs Bedeutung, sondern auch alles, was sie mit ihm verbindet.

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