Musik_Monteverdi & Vivaldi

Zu ebener Erde und im ersten Stock

Claus Guth schuf den szenischen Rahmen für Claudio Monteverdis "L’Orfeo" im Theater an der Wien. Obwohl der Regisseur manchmal auch schon wenig überzeugende Produktionen vorgelegt hat, gelang ihm diesmal eine erstklassige Leistung. Andererseits: Mit der konzertanten Aufführung eines belanglosen Vivaldi-Werks wurde abermals demonstriert, daß Opern nicht die stärkste Seite des venezianischen Komponisten waren.    04.01.2012

Die schönsten Vorurteile sind offenbar die widerlegten. Auf offener Szene des "L’Orfeo" fand nämlich die konzertante Aufführung von Antonio Vivaldis Oper "Catone in Utica" statt. Die einem Haus aus den fünfziger Jahren nachempfundene Szenerie ließ das Schlimmste befürchten. Dazu aber später.

Vivaldis Werk nach dem Libretto von Pietro Metastasio (der übrigens 1782 in Wien starb) ist nicht mehr als ein Fragment, was vor allem in dieser Aufführung zu bemerken war. Zu hören waren bloß der zweite und der dritte Akt - und nicht einmal die vollständig.

Auch wenn die Aufführung beweisen sollte, wie großartig Vivaldis Opern sind, brachte sie wieder einmal nur das Gegenteil zutage. Vivaldi war ein großartiger, kunstvoller Komponist, soviel steht fest. Seine Konzerte für Soloinstrumente und Orchester sind Goldstücke der Literatur. Nur wollte er irgendwann beweisen, daß er reine Virtuosität auch in Opernmusik umsetzen kann. Dieses Kalkül geht (zumindestens für den EVOLVER-Klassikexperten) nicht auf. Wenn technische Fertigkeiten und Bravour reiner Selbstzweck werden, verkommt eine Oper rasch zu einem Oratorium.

So hörte man anhand von Cäsars Querelen mit Cato in Utica (einer nicht mehr existierenden Stadt in Nordtunesien, nahe Kathargo) sehr gefällige Musik. Dank der großartigen Sonia Prina als Marzia und Loriana Castellano konnte man statt einer packenden Operndarstellung wenigstens großartige Stimmen bewundern. Der Dirigent Federico Maria Sardelli überzeugte mit seinem Originalklangensemble Modo Antiquo auch orchestermäßig.

 

Nun aber zum wahren Ereignis auf der Bühne des Theaters an der Wien: Wirkte die Szenerie von Claus Guth beim Vivaldi-Konzert noch etwas merkwürdig, so füllte der Regisseur am darauffolgenden Tag die Bühne mit faszinierendem Leben.

Das Stück um den Sänger Orfeo ist in diesem Fall nicht in der griechischen Mythologie angesiedelt, sondern merkwürdigerweise in einem Haus in den 50er Jahren. Oberes und unteres Stockwerk symbolisieren die Ober und die Unterwelt.

Der Regisseur setzt die Sage zutiefst menschlich an und transferiert sie ins 20. Jahrhundert. Orpheus ist hier ein alternder, reicher Mann und Eurydike eine junge hübsche Frau. Es ist faszinierend, wie der langsame Suizid des alten Mannes hier "zelebriert" wird. Auch die Videoprojektionen von Arian Andiel auf die rechte Hälfte der Bühne sind mehr als gelungen. Das Regieteam brachte hier die Quadratur des Kreises zustande: eine antike Sage mit heutigen Mitteln so auf die Bühne zu bringen, daß sich jeder davon angesprochen fühlte.

Neben der Regie war ein exzellentes Musikerensemble zu hören, das aus dieser Produktion erst eine Sternstunde machte. Der britische Dirigent Ivor Bolton mit seinem Monteverdi Continuo Ensemble und den Freiburger Barocksolisten formten aus Monteverdis meisterhafter Musik eine der berührendsten Aufführungen der letzten Zeit. Angefangen von der berühmten Toccata, die das Bläserensemble im Zuschauerraum spielte, bis zum tänzerischen Schluß war man von Monteverdis Musik gefangen und fasziniert. Wenn man bedenkt, daß Vivaldi seinen "Catone" 1737 uraufführte und Monteverdi den "L’Orfeo" 1607 (!), glaubt man kaum, wie fortschrittlich Monteverdi damals war und in welch enges (musikalische) Korsett sich Vivaldi pressen ließ.

Die Sänger der Monteverdi-Oper waren durchwegs erstlklassig, ganz herausragend war jedoch Tenor John Mark Ainsley. Wie berührend der Brite vor allem das Lamento im dritten Akt sang, das macht ihm so schnell keiner nach. Traurig wird einem bewußt, daß heute solche Persönlichkeiten auf den Opernbühnen fast komplett fehlen. Merken sollte man sich auch Katija Dragojevic, die die Muse sang.

Mit dieser Monteverdi-Produktion ist dem Theater an der Wien wieder ein großer Wurf gelungen; es tut fast weh, daß das Stück nur sechsmal gezeigt wird. Statt einer mißlungenen Vivaldi-"Ehrenrettung" sollte man lieber Monteverdis Meisterwerk öfters ansetzen. Vielleicht wäre das eine Idee für die nächsten Saisonen ...

Herbert Hiess

Antonio Vivaldi - Catone in Utica

Ø 1/2

konzertante Opernaufführung in drei Akten

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Theater an der Wien

 

Modo Antiquo/Federico Maria Sardelli

 

Besetzung: Sonia Prina, Magnus Staveland

 

Konzertante Aufführung am 16. Dezember 2011

Links:

Claudio Monteverdi - L'Orfeo

ØØØØØ

Favola in Musica

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Theater an der Wien

 

Monteverdi Continuo Ensemble/Ivor Bolton

Freiburger Barockorchester

Arnold Schoenberg Chor

 

Regie: Claus Guth

 

Besetzung: John Mark Ainsley, Mari Eriksmoen u. a.

 

Premiere: 14. Dezember 2011

Reprisen: 17., 20., 22., 29. und 31. Dezember 2011

Links:

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