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Schmauchspuren #6

Stephen King schreibt einen netten kleinen Pulp-Krimi, Garry Disher deckt australische Kleinstadtgeheimnisse auf - und Peter Hiess wünscht sich neue Krimifrauen.    05.02.2014

Peter Hiess

Stephen King - The Colorado Kid

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005

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Im Oktober 2005 - ausgerechnet mit Band 13 - erlangte die amerikanische Taschenbuchreihe "Hard Case Crime" erstmals größere Medienaufmerksamkeit. Schuld daran war Stephen King. Der Beherrscher des Bestseller-Horrors hatte soviel Gefallen an der Serie mit den alten und neuen Pulp-Romanen (wir berichteten ausführlich darüber) gefunden, daß er selbst einen schreiben wollte.

Das Ergebnis heißt "The Colorado Kid", liegt mittlerweile auch auf deutsch vor - leider ohne Nachwort - und versetzt die gespannte Leserschaft auf eine kleine Insel vor Kings Heimat-Bundesstaat Maine, wo sich eine junge Journalistin von zwei liebenswert schrulligen Zeitungsveteranen Geschichten erzählen läßt. Zum Beispiel die über den Toten, der vor ein paar Jahren aufgefunden wurde, mitten in der Einöde, scheinbar unverletzt, den letzten Bissen Steak noch im Hals. Offiziell wurde der Fall nie aufgeklärt, obwohl dank der beiden Reporter wenigstens die Identität des Toten mit dem Spitznamen "Colorado Kid" festgestellt werden konnte. Auch Stephen King läßt die Lösung des Rätsels offen - ihm geht es anscheinend nicht um den Schau-auf-der-letzten-Seite-nach-Thriller-Effekt, sondern um die Kunst des Erzählens, die Wurzeln moderner Legenden, die Sprech- und Denkweise seiner Protagonisten. Böse Zungen könnten allerdings meinen, daß dem Meister wieder einmal kein gescheiter Schluß eingefallen ist ...

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Reihenweise


Garry Disher - Schnappschuss

Unionsverlag 2006

 

Peter O´Donnell - Modesty Blaise: Der Xanadu-Talisman

Unionsverlag Tb. 2006

 

Weil wir gerade bei Serien sind: Der Australier Garry Disher, einer der besten derzeit aktiven Krimiautoren, liefert mit "Schnappschuss" den dritten Roman um seinen Detective Inspector Hal Challis ab, der still, leise, glaubwürdig, spannend und noch dazu literarisch hochwertig im Hinterland von Oz ermittelt - diesmal im Fall der ermordeten Schwiegertochter seines Vorgesetzten. Und da gibt es natürlich einige Widerstände bei den "guten Bürgern" der Gegend, die sich nicht gern in ihre schmutzigen Karten schauen lassen wollen.

Derartige Dinge könnten Modesty Blaise, unsere allerliebste Retro-Heldin, keinen Augenblick lang aufhalten. Ihr geht es auch in "Der Xanadu-Talisman", dem vierten Buch der hervorragend wiederbelebten Sixties-Serie, um den Kampf gegen kriminelle Genies an exotischen Orten, um alte Rätsel und Schätze, um Sex & Crime & Martini-Mood-Music. Viel besser als James Bond.

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Jack Kerley - Der letzte Moment

Ullstein Tb. 2005

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Und damit gleich weiter zu den Serienkillern, die anscheinend nicht totzukriegen sind - dem "Schweigen der Lämmer" sei (leiser) Dank. Dabei werden die Konstellationen immer absurder. In Jack Kerleys "Der letzte Moment" geht es um einen verrückten Künstler, der den Augenblick des Todes kennerhaft genießen konnte. Obwohl der Unhold längst tot ist, gibt es da wieder einen, der nach demselben Muster arbeitet. Da trifft es sich gut, daß der Bruder des zuständigen Polizisten selbst ein Serienmörder ist, der aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher mit Rat und Tat zur Seite steht. Stimmt, klingt alles recht klischeehaft und konstruiert, ist aber trotzdem höchst routiniert und packend erzählt. Ausprobieren.

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Douglas Preston - Codex

Knaur Tb. 2006

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Trotz Klischeealarm blind zugreifen kann man auch bei "Codex" von Douglas Preston (einer Hälfte des Autorenduos Preston/Child, das mit Agent Pendergast derzeit eher nervt). Der Plot: Milliardär und Kunstsammler vermacht seinen Söhnen kein Geld, sondern ein abenteuerliches Rätsel. Sie sollen das Mausoleum des ehemaligen Grabräubers finden, wo nicht nur Schätze, sondern auch medizinische Offenbarungen warten. Die Suche führt sie tief in den Regenwald mit all seinen Gefahren, und natürlich sind auch super-skrupellose Böslinge hinter ihnen her. Man kann einfach nicht zu lesen aufhören. Willkommen in der Welt der Popcorn-Books!

Links:

Seitenweise


Marina Heib - Weißes Licht

Piper Tb. 2006

 

Kate Pepper - 7 Minuten zu spät

Rowohl Tb. 2006

 

Zum Schluß noch eine Bitte: Könnten Frauenkrimis bitte endlich aufhören, so verdammt supersensibel-weiblich und psychologisch zu sein? Was soll das werden - eine moderne Art der Rassentrennung, die jedem Leser vom anderen Geschlecht sofort seinen Sitzplatz hinten im Bus zuweist? OK, bei Marina Heibs Erstling "Weißes Licht" (Psychologin Anna Maybach analysiert den "Bestatter", der bei jedem seiner Opfer einen Bibelvers hinterläßt) geht´s ja noch: Das Buch ist so ordentlich wie eindrücklich geschrieben und könnte zum Beispiel ein guter "Tatort" werden.

"7 Minuten zu spät" von einer gewissen Kate Pepper geht jedoch eindeutig zu weit. Das Buch fängt gleich mit doppeltbelasteten Müttern vorm Kindergarten an, die nur über ihre Bälger und Babysitter plappern. Dann verschwindet eine schwangere Freundin, worauf auch noch über Schwangerschaftskurse und Geburten nachgedacht wird ... Und aus.

Die Apartheid hat gesiegt, Männer hören zu lesen auf. 7 Seiten zu spät.

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Links:

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