Print_Nicolas Mahler & Heinz Wolf - Molch

Ein Toupet für den Killer

Oder: Warum in Wien sogar die Mörder keine Lust haben. Und wie aus einem Vorwort – "med ana grauen Tintn" geschrieben - aus verlags- und produktionstechnischen Überlegungen eine Rezension werden mußte. Weil die Welt halt so ist.    15.10.2008

Ein Serienmörder ist am Werk.

Das ist ja nichts Neues. Serienmörder haben die populäre Kultur schon lange vor Hannibal Lecter bevölkert. Sie waren die katastrophalen Lumpen, die Irren, die Soziopathen, die nette bürgerliche Schlafzimmer in Schlachthöfe verwandelten und Einfamilienhäuser zu Gruselkabinetten für Medien und sogar hartgesottene Polizisten machten. (Wir erinnern uns: Irgendwo steht immer ein junger Cop herum und kotzt, weil er das Blutbad nicht verkraftet.) Seit Anbeginn der Zeit tranchieren diese notorischen Menschenumbringer Nutten in finsteren Gassen, kidnappen unschuldige Mädchen und foltern sie in ihren Bastelkellern zu Tode, knallen Liebespaare auf den Rücksitzen ihrer Kleinwagen ab. Und immer hinterlassen sie ihre Visitenkarten: ein rotes Halstuch vielleicht, eine Orchidee auf der reglosen Brust der soeben Ermordeten oder eine mit Blut geschriebene Botschaft an der Wand des einst so idyllischen Tatorts. "Rosebud" steht dort, manchmal auch ein fast mitleiderregendes "Stop me from killing!" oder - traditionsbewußt - "Healter Skelter". Manchmal aber auch nur: "Molch".

Mit diesem schlichten Wort verewigt sich der Mörder im gleichnamigen Comic von Nicolas Mahler und Heinz Wolf. Nicht zum ersten Mal wahrscheinlich. "Nummer 4"! sagt der abgeklärte Kommissar (dem wir nicht so ganz trauen können) nämlich, als die erste gezeichnete Frauenleiche auftaucht, nackt im Boudoir und in ihrem Blute liegend, wie sich das gehört. Und dann, auch nicht sehr vertrauenserweckend: "Schade drum." Danach wird abgewartet, bis der Killer das nächste Mal zuschlägt - weil erstens Abwarten zur bewährten Methodik der heimischen Sicherheitskräfte gehört und man zweitens bei diesen Psychopathen sowieso nur hoffen kann, daß sie sich von selbst verraten.

Dabei sind Serienmörder gar nicht so. Keiner von ihnen ist ein kultiviertes Genie wie die Kino-Antihelden, die multimedial und kryptisch mit den Behörden spielen und ihre Opfer auf ebenso "gerechte" wie filmreife Weise in den Tod befördern. In der kriminalistischen Realität erweisen sich die meisten dieser Killer als Typen von durchschnittlicher bis unterdurchschnittlicher Intelligenz, frönen hemmungslos ihrem Sadismus und genießen die absolute Macht über ihre Opfer. Hätten sie den Weg in die Politik oder Wirtschaft gefunden, dann würden sie ihre Triebe wohl anders ausleben und wären gesellschaftlich akzeptiert ...

 

Es ist eben nicht alles so, wie es scheint - und das gilt auch für "Molch". Handelt es sich beim neuen Werk von Mahler und Wolf um ein Noir-Comic? Eben nicht: Ihre Geschichte von Gebrauchtwagenhändlern, Sandlern, seltsamen Polizisten und gekidnappten Friseuren ist vielmehr ein Dunkelgrau-Comic, in derselben schmuddelig-langweiligen und manchmal nostalgisch herbeigesehnten Farbe, die das Wien der 60er und 70er Jahre (in dem angeblich "nix los war") trug. So sah diese Stadt aus, bevor sie privatisiert, mit Outlets und Event-Locations bestückt, blöd neonleuchtend und weltjugendkompatibel wurde, wie Disneyland, wenn Walt Disney im tiefsten, inzuchtgeschädigten Kärntner Hinterland großgeworden wäre und sich eine moderne Metropole ausdenken hätte müssen.

In "Molch" finden wir Tapetenmuster, Garderobenwände und Ehebetten, die wir alle aus unserer Erinnerung oder von Besuchen bei den Großeltern kennen. Heinz Wolf lädt uns an Originalschauplätze ein, die er selbst gesehen und im Künstlerhirn zur späteren Verwendung gespeichert hat: zum Branntweiner, ins Geschäftslokal eines kleinen Damen- und Herrenfriseurs in der Vorstadt, in die Ankerbrot-Filiale und naturgemäß auch zum Autoverkaufsplatz, wo der Protagonist seine Werktage fristet.

Alles tausendmal gesehen, alles im kollektiven Gedächtnis verankert. Genau wie die Miniszenen, die man nur aus dem Augenwinkel wahrnimmt: die allgegenwärtige Hundescheiße auf den Gehsteigen und gleich darauf der vollgefressene Mops, der von seinem Frauerl durchs (ebenfalls angeschissene) Stiegenhaus getragen wird. In einem derart deprimierenden Umfeld will ein Mörder wie der Molch - laut lexikalischer Definition der Angehörige einer Amphibiengattung aus der Ordnung der Schwanzlurche, aber logischerweise auch der bekannte "Lustmolch" - vielleicht nur ein bißchen Farbe ins Leben bringen. Aber sogar seine grauslichen Blutspritzereien geraten ihm hier bestenfalls grau-schwarz-weiß, weil nichts und niemand dieses Universum verlassen kann. Und so darf der Serienkiller nur eine Nebenrolle spielen, wie im wirklichen Leben wahrscheinlich auch.

War´s das etwa schon? Nein, natürlich nicht. Die viel bedeutendere Lehre, die wir aus der Lektüre und genauen Betrachtung von "Molch" ziehen, ist die: Das wahre Verbrechen, das Mißgunst, Neid, Wahnsinn und Mordlust erzeugt, niedrige Instinkte weckt und zu mysterösen Konspirationen führt, sind Haare. Der Terror der Frisuren zieht sich durch das gesamte Werk: vom einschüchternden Hairstyle-Musterbuch auf Seite eins, über den wildgelockten Coiffeur (ja, genau der, der wenige Panels später gekidnappt wird) und die gnadenlos auftoupierten, strähnchengefärbten Arroganzweiber, bis hin zum Nebenbuhler mit seiner wilden Sturmfrisur. Solchem Haar-Irrsinn steht der Protagonist mit seiner bescheidenen Stirnlocke völlig hilflos gegenüber, ähnlich wie der Kommissar mit der schütteren, zurückgekämmten, grauen Antimähne, der wie eine Mischung aus Fritz Eckhardt und Ernst Waldbrunn aussieht.

Ist der ganze "Molch"-Fall etwa nur eine Verschwörung eifersüchtiger Haarloser, ein Komplott rachsüchtiger Frühverglatzter und unfreiwilliger Tonsurenträger? Wir wissen es nicht - und wenn wir es wüßten, würden wir es an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel sei gesagt: Festiger, Wasserstofferblondungen und Dauerwellen waren nie so gefährlich wie heute.

Aber lesen Sie selbst ...

Peter Hiess

Nicolas Mahler & Heinz Wolf - Molch

ØØØØØ

Zeichnungen © Heinz Wolf

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Literaturverlag Luftschacht (Wien 2008)

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