Stories_Interview: David Icke

Im Land der Schlangenkönigin

Unsere wahren Beherrscher sind außerirdische Reptilien, die eine globale faschistisch-kommunistische Diktatur errichten wollen. Der Mond ist ein künstlicher Himmelskörper, von dem aus wir alle gehirngewaschen werden. Und außerdem leben wir sowieso alle in der Matrix - noch.    21.10.2013

Der britische Autor und Verschwörungstheoretiker David Icke erzählte Peter Hiess vergangenes Jahr, warum die Welt doch nicht untergehen wird, wir aber dennoch seit Jahrtausenden am Rande des Abgrunds balancieren.

Eine Reise durch die virtuelle Realität in neun Episoden.

 

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Was halten Sie von der Theorie, nach der 2012 die Apokalypse stattfinden soll, Mr. Icke?

 

Wir haben einen englischen Slang-Ausdruck für sowas: "bollocks" - Schwachsinn.

Die Bedeutung dieses Jahres wurde unglaublich übertrieben. Ich glaube, das einzig Wichtige an 2012 ist, daß es nicht 2011 ist. Aber es ist auch nicht 2013.

 

 

Ryde, Isle of Wight, 31. Mai 2012

 

Gestern angekommen. Im Zug von der Londoner Waterloo Station nach Portsmouth. Dann von der Stadt an der englischen Südküste mit der Fähre zur Isle of Wight, die vom Festland aus sichtbar ist. Eine Viertelstunde Fahrt übers Meer, zu Fuß weiter, den ein Kilometer langen, altmodischen Pier entlang, auf das Städtchen Ryde zu. Beliebter Badeort, 20.000 Einwohner, zweitgrößte Ansiedlung auf dieser idyllischen, 381 Quadratkilometer großen Insel. "Einfach zu erreichen, schwer zu übertreffen" heißt es im Fremdenverkehrsprospekt. Wir werden bald feststellen, daß der Werbespruch stimmt - obwohl das Touristenbüro ihn wahrscheinlich ganz anders gemeint hat. Nach der Ankunft ins Hotel, später zum Mexikaner essen. Anschließend noch in die Pubs, zum Bier, viel zu lange.

Jetzt ist es 8.50 Uhr an einem diesigen Morgen. Wir steigen durch die schmalen Straßen hinauf, bis wir an einem kleinen Platz mit einem Park ankommen, umgeben von typisch englischen Bürgerhäusern, so gut wie alle aus dem vorvorigen Jahrhundert. In einem von ihnen wohnt der Mann, der in mittlerweile 19 Büchern und unzähligen Vorträgen die größte Verschwörung der Welt aufgedeckt hat: David Icke.

Wir sind zehn Minuten zu früh dran, deswegen dauert es ein Weilchen, bis Icke uns einläßt. Er wirkt selbst noch etwas verschlafen, ist offenbar gerade in seine Hose geschlüpft und zieht sich jetzt mühsam - da er seit seiner Jugend an rheumatoider Arthritis leidet - die Socken an. Er bietet uns Platz in seinem Wohnzimmer an und setzt sich selbst in einen geräumigen Fauteuil. Und dann beginnt der 60jährige Autor, den seine Fans als "Ghandi der Gegenwart" bezeichnen (weil die Elite ihn angeblich fürchtet, aber sich nicht traut, ihn zu beseitigen), wie ein Wasserfall zu reden. Drei Stunden lang, ohne Unterbrechung, ohne einen Schluck Wasser. Und er weiß auf jede Frage eine ausführliche Antwort. Zum Beispiel, warum er im Vorzimmer, gleich neben der Eingangstür, Hunderte Glühbirnen gestapelt hat ...

 

"Nicht nur dort, Kumpel, ich sammle auch sie auch im Schlafzimmer und in jeder freien Schublade", sagt David Icke jovial. "Wenn eine Glühbirne runterfällt und zerbricht, kehrt man die Scherben einfach auf, wirft sie in den Mülleimer, und das war´s. Es ist immer ein Warnzeichen, wenn etwas gegen jede Logik nicht nur gefördert, sondern sogar gesetzlich vorgeschrieben wird - wie diese Energiesparlampen zum Beispiel. Die enthalten Quecksilber und können beim Zerbrechen gesundheitsschädlich oder sogar tödlich sein. Die Sicherheitsempfehlungen zu den neuen Lampen sind viele Seiten lang; man muß ja beinahe schon das ganze Haus evakuieren, wenn eine zu Bruch geht. Außerdem geben sie ein Scheißlicht und müssen sehr kompliziert entsorgt werden - als Giftmüll! Und weil das bei Milliarden von Energiesparlampen garantiert nicht jeder machen wird, landet das Quecksilber bald im Grundwasser."

Daß das EU-Gesetz, das uns alle zwingt, die bewährte und bestens funktionierende alte Glühbirne aufzugeben, Teil einer umfassenderen Verschwörung sein muß, ist für Icke klar: Die Lampen geben Strahlung ab, die unseren Gehirnen Informationen einpflanzt. Und die Sache mit dem Klimawandel ist sowieso nur eine Erfindung im Zuge des UN-Programms "Agenda 21", das in Wahrheit der Bevölkerungsreduktion dient. Aber es wird eben immer wieder Leute geben, die das alles für Zufall halten und die "nie in ihrem Leben einen eigenen, originellen Gedanken gehabt haben".

Genau diesen Leuten will Icke die Chance geben, aus "ihrem hypnotischen Zustand, ihrer kollektiven Amnesie" aufzuwachen. Seit 21 Jahren.

 

BBC-Fernsehstudio, 29. April 1991

David Icke befindet sich in seiner "türkisen Phase". Er trägt legere Sportkleidung in der gewöhnungsbedürftigen Farbe und sitzt dem britischen Showmaster Terry Wogan gegenüber. Danach wird für ihn nichts mehr so sein, wie es vorher war.

Warum? Der Ex-Fußballer aus einfachen Verhältnissen, der "in der Schule nie aufpaßte, sondern lieber aus dem Fenster schaute und vor sich hinträumte", hat eine erstaunliche Karriere hinter sich. Nachdem er den aktiven Sport wegen seiner Arthritis aufgeben mußte, arbeitete er jahrelang als beliebter Sportreporter für die BBC, schloß sich später den Grünen an und wurde wegen seiner Prominenz landesweiter Pressesprecher der damals noch kleinen Partei. Plötzlich begann er, der "nie eine wichtige Prüfung abgelegt hatte und bis zu seinem 22. Lebensjahr kein Buch vom Anfang bis zum Ende gelesen hatte", sich in Büchern und Dokumenten zu vergraben, verfaßte ein Werk, das die verstiegenen grünen Umweltschutzthesen in die Sprache des einfachen Volkes übersetzen wollte - und hatte ein spirituelles Erlebnis, das sein öffentliches Auftreten radikal veränderte. Auf einmal trug er nur noch Türkis und bezeichnete sich als "Sohn Gottes".

Das tut er auch jetzt, in der Talkshow, wo Wogan sich vor einem Millionenpublikum gnadenlos über ihn lustig macht und das Publikum vor Lachen brüllt. "Dabei glaube ich gar nicht an Jesus", sagt Icke heute. "Ich wollte damit nur sagen, daß ich mich als Teil des allumfassenden unendlichen Bewußtseins sah. Mittlerweile würde ich das natürlich anders ausdrücken. Aber damals, nach dem Erscheinen meines Buches 'Truth Vibrations' und all den neuen Informationen, die mir zuteil geworden waren, wußte ich ja kaum noch, auf welchem Planeten ich mich befand."

Drei Jahre lang kann David Icke, wie er seither gern erzählt, keine Straße in England entlanggehen, ohne ausgelacht zu werden; in keine Bar gehen, ohne daß dort die Hölle los ist; keinen Vortrag halten, ohne minutenlang mit Bierbechern beworfen zu werden. "Für mich und meine Familie war diese Zeit ein Alptraum", sagt er. "Aber da gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder du ziehst dich völlig zurück, oder du gehst durch die Feuerprobe und wirst stärker. Mir hat diese Phase dabei geholfen, mich von der größten Angst der meisten Menschen zu befreien - nämlich, was andere über mich denken. Das ist mir seither scheißegal."

Würde er sich noch darum kümmern, was andere über ihn denken, dann könnte Icke in den darauffolgenden Jahren nicht mit weiteren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit treten - daß die Erde von außerirdischen Reptilien mit der Fähigkeit zur Gestaltwandlung beherrscht wird, zum Beispiel. Oder daß diese reptiloiden Wesen sich mit ausgewählten Menschen vermischt und so "hybride Blutlinien-Familien" geschaffen haben, die bis heute im Hintergrund die Fäden ziehen. Oder daß wir alle nur Hologramme sind, reine elektromagnetische Information, die in einer programmierten virtuellen Realität leben, statt sich im unendlichen Bewußtsein frei entfalten zu können.

 

Immenstadt, 24. April 2011

Ziemlich genau zwei Jahrzehnte nach der Wogan-Talkshow sind viele von David Ickes Werken Bestseller - und es gibt immer weniger Leute, die über ihn lachen. Kein Wunder, angesichts der zunehmend schamlos durchgezogenen Polit- und Medieninszenierungen, mit denen wir seit der Jahrtausendwende verstärkt abgefüttert werden. Angefangen von der höchst zweifelhaften offiziellen Version zum 9/11-Attentat über die Massenvernichtungswaffen im Irak, den großen Bankenschwindel und den von der CIA gesteuerten "Arabischen Frühling", bis hin zum weltweiten Polizeistaat inklusive Abbau der Bürgerrechte, allgegenwärtiger Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und einem US-Geheimdienst (NSA), der offen zugibt, alle unsere Telefonate, Faxe und E-Mails zu kontrollieren ...

Ickes deutscher Verleger Thomas Kirschner hat den Engländer anläßlich der deutschen Ausgabe seines Buches "Der Löwe erwacht. Jetzt wird die Menschheit endlich frei" zu einem Vortrag nach Immenstadt eingeladen. Die Veranstaltungshalle der Allgäuer Kleinstadt ist nicht ausverkauft, aber fast: 550 Zuhörer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind extra zu dem Auftritt angereist, entrichten bereitwillig den gar nicht billigen Eintrittspreis, kaufen das 900 Seiten starke neue Buch und lassen es sich gegen Aufpreis signieren.

"Für mich hat der Mann mit seinen Büchern sehr, sehr viel verändert", sagt Kirschner, dessen Mosquito-Verlag seit zehn Jahren Icke auf deutsch veröffentlicht. "Ich bin überzeugt davon, daß möglichst viele Menschen seine Botschaft erfahren sollen."

In Immenstadt haben sie die beste Gelegenheit dazu: David Icke spricht zehn Stunden lang, ohne Manuskript und dauernd in Bewegung; wenn sein Publikum keine Pause bräuchte, würde er den Vortrag wohl gar nicht unterbrechen. Er berichtet von reptiloiden Aliens und ihren pseudomenschlichen Dienern, warnt vor Impfungen und implantierten Mikrochips, die uns alle zu willenlosen Sklaven in der geplanten faschistisch-kommunistischen "Neuen Weltordnung" machen sollen. Und er erzählt von seiner neuesten Erkenntnis: Der Mond ist kein natürlicher Himmelskörper, sondern ein von den Außerirdischen angebrachter hohler Satellit - deshalb "hallt" er auch wie ein Gong stundenlang nach, wenn man Raketen auf seine Oberfläche abschießt. Sein Zweck an unserem Himmel besteht laut Icke darin darin, uns mittels Gehirnwäsche in unserer Realitätsmatrix, in der "ignoranten Welt der fünf Sinne" gefangen zu halten.

Die Zuhörer sind fast durchwegs begeistert. David Icke faßt in seinem Vortrag, ebenso wie in seinen Büchern, alle populären Verschwörungstheorien der letzten Jahrzehnte zu einer in sich stimmigen Einheit zusammen und erweitert sie alle paar Jahre um ein neues Thema, auf das er bei seinen Recherchen gestoßen ist - wie eben diesmal den Mond. Für die Soziologen und Qualitätsjournalisten, die über ihn und seine Anhänger nur ironisch lächeln können, hegt er keine Sympathien.

"Ihr Standardspruch über Menschen, die den Verschwörungssektor recherchieren, lautet, daß diese durch ihre Theorien Ordnung in eine chaotische, komplexe Welt zu bringen versuchen", schreibt er "Gähn; wie ich oft das schon gehört habe ... Was sie niemals fragen oder zu prüfen versuchen, ist: Könnte das, was diese Rechercheure behaupten, wahr sein? Arroganz und ein in Beton gegossener Intellekt sind eben eine verhängnisvolle Kombination."

 

Zur Fortsetzung ...

 


Peter Hiess

Im Land der Schlangenkönigin

ursprünglich erschienen in der Zeitschrift "2012"


Photos: James Pearson-Howes

 

 

Erinnern Sie sich noch, daß vergangenes Jahr eigentlich die Welt hätte untergehen sollen?

Die österreichische Zeitschrift 2012 - Das vielleicht letzte Magazin der Welt begleitete ihre Leserschaft Monat für Monat auf dem Weg ins Verderben und versorgte sie journalistisch mit den wirklich wichtigen Themen im Leben.

Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) einige ausgewählte Beiträge aus dem Heft.

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