Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #8, Pt. 1

Down From The Clouds - Out Louds

Get Hustle sind Magie. Sie träumen nicht von warmen Eislutschern, sondern servieren sie auf Wunsch mit Elchblut und Schwefel, während sie die Gravitation aufheben und der Mond in einer Goldfontäne zerschellt. Rokko sprach mit Valentine Falcon und traf das Trio in Berlin.    30.10.2008

Bands wie Heroin, Antioch Arrow, Glass Candy und den Chromatics entwachsen, mit ihnen verwandt oder verschwägert, persönliche Beziehungen mit musikalischen verbunden und irgendwo doch den Wahnsinn mit Stechäpfeln und Tollkirschen im eigenen Hirn züchtend, ergab sich irgendwann das, was uns heute als Get Hustle das Heu vom Schädel haut: Scheiß an, Paula, hast du so etwas schon einmal gehört?! Da hätten wir Maxamillion Avila, den Typen, der an seinem Schlagzeug die Kadenzen der Zaubersprüche festlegt und sie - mit was für einer Sicherheit aber auch - in arhythmische Muster stampft. Er unterhält nebenbei noch die Magick Daggers und Holy Molar. Der Mann am Klavier heißt Mac Mann und baut den Großteil seiner Instrumente selbst. Aktuell wird sein E-Piano mit Effekten versetzt und durch einen Taperecorder gezogen, der die Rhythmen verzieht und in meditativer Gleichmäßigkeit be- und entschleunigt. Und Valentine Lovecraft Falcon? Nun, ich würde eigentlich nicht sagen, daß sie singt, sondern eher, daß sie ein Ritual initiiert, das von ihrer Stimme getragen und begleitet wird. So viel Energie auf so kleinem Raum, so viel Ungeklärtes in einem so festgelegten Rahmen, so viel Zauber in dieser aufgeklärten Welt - man würde es kaum glauben, wenn ich es nicht behaupten würde.

Get Hustle zu beschreiben ist für einen Außenstehenden trotz vorgetäuschter Arroganz eine der schwierigsten Aufgaben, und so hielt ich Valentine Falcon zu diesem Zwecke zwei Zeilen frei, voilà: "Sun Ra trifft auf Betty Davis, Annette Peacock, Black Sabbath, Stooges und MC5! (und ein Spritzer O.D.B.)" - neben Old Dirty Bastard vielleicht noch ein kleiner Anflug von Captain Beefhearts "Trout Mask Replica" und ein wenig US Maple? Puh ...

Get Hustle zu erklären ist ungefähr so, wie eine Bank ohne Waffe zu überfallen - das geht sich nie aus. Die tatsächliche Ausstrahlung mit lieblosen Zeichen zu markieren ist genauso spannend, wie etwas Vierdimensionales auf drei zu reduzieren. Ein weiterer Anhaltspunkt sei aber trotzdem noch genannt: Vor kurzem sah ich Photos, die die Künstlerin Zofia Kulik arrangiert und gestaltet hat, und in dem Moment, als sie in mein Blickfeld gerieten, waren auch Get Hustle in meinem Kopf.

 

Persönliche Stille

 

Im Herbst 2007 besuchten Get Hustle schließlich Europa. Ganz Europa? Nicht ganz Europa. Das kleine Fleckchen Österreich etwa befand sich nicht auf der Abschußliste, es gab zwar den Willen, aber nicht die Zeit, dies unbescholtene Bauernvolk heimzusuchen. So plante ich eine weitere Berufsreise nach Deutschland und schrieb Get Hustle gleich an: Ich liebe euch, ich mache euch berühmt, alles was dazu fehlt, ist ein Interview, das wir in Deutschland machen können, ich werde auf mindestens zwei eurer Shows aufkreuzen und im passenden Moment meine Stimme erheben. Dieses Angebot wurde ungefähr so beantwortet: Liebend gerne geben wir dir ein Interview und lassen uns von dir die Weltmacht überschreiben, schick uns deine Fragen doch einfach per E-Mail.

Auftrag ausgeführt - und meine erste Frage lag quasi auf der Hand: Warum haben wir kein persönliches Gespräch, sondern verkehren hier so ganz wertneutral mit Zeichen, die man in normierte Tastaturen tippt und von denen jeder Mensch voraussetzt, man könnte diese a) verstehen, b) anwenden und c) entschlüsseln? Mein Fragebogen zog sich noch seitenweise dahin und fast, aber nur fast, hätte ich Get Hustle geknackt, so eine elektronische Nachricht von Frau Lovecraft: "Ich habe doppelt schlechte Nachrichten: Ich habe das Interview schon zweimal fertig gemacht und zweimal ist es verschwunden, kurz nachdem ich es gespeichert hatte. Ich mache nie Interviews von Angesicht zu Angesicht, diesmal aber muß ich vielleicht - es sei denn, ich finde die Dateien wieder."

Doch schließlich erschien es ihr angenehmer, ein drittes Mal dasselbe E-Mail-Interview auszufüllen, als für außermusikalische Zwecke auf einem Tonband festgehalten zu werden: "Okay, ich versuche jetzt noch einmal, dieses Interview erfolgreich fertigzustellen, das ist jetzt das dritte Mal. Mittlerweile ist das schon mehr eine Kampfansage als ein Interview, ha! Aber gut, bei mir läuft gerade die wunderbare Alice Coltrane, und mein rechtes Auge ist auf sehr mysteriöse Art und Weise geschwollen - ich glaube, diesmal wird es funktionieren!" Tat es auch. Doch warum nicht von Anfang an eine Gesprächsrunde unter acht Augen? "Wenn du zu einer unserer Shows kommst und mit uns sprichst, unterhalten wir uns von Angesicht zu Angesicht. Aber ich liebe die alte Kunst des Schreibens und kommuniziere immer nach Möglichkeit auf diese Weise. Es gibt mir die Freiheit und die Zeit, mich zu artikulieren und die Antworten auszuschmücken. Es gibt diese Kontemplation und dieses Bewußtsein, wie es gelesen wird - wenn ich spreche, muß ich mir Sorgen darüber machen, wie der Klang meiner Antwort sich wohl anhören wird. Das hier schreibe ich wie einen Brief, es ist sehr persönlich - nur still."

Es war zwar Valentine Falcon, die meine Fragen beantwortet hat, aber sie besteht darauf, daß sie nicht als Bandenchef wahrgenommen wird: Get Hustles Kraft ergibt sich erst, wenn drei Teile über ihre Summe hinauswachsen.

 

Ein Blutkreislauf - drei Körper

 

Ein Versuch, verklärte Geschichtsschreibung mit stumpfer Syntax zu überwinden und dabei Get Hustles Werdegang zu erzählen: Valentine Falcon begegnete Yoko Ono und mußte daraufhin einfach singen, wohnte zu der Zeit mit Mac Mann zusammen, der schon mit Maxamillion Avila musizierte. Die beiden waren noch auf der Suche nach einer Stimme - und so kam das eine zum anderen. Es gab kleinere Line-up-Wechsel, doch das Trio in dieser Form zieht sich seit zwölf Jahren durch. Mittlerweile ist die Band zu einer so engen Familie geworden, daß Valentine Falcon sich neben mir laut fragt, ob denn schon dasselbe Blut durch ihre drei Körper zirkulieren würde. Das ist vielleicht auch die Antwort darauf, wie so wunderbare Songs geschrieben werden können, die gleichsam vertrackt und zugänglich, frei wie doch exakt sind.

In Hamburg besuchte ich die Show mit einem professionellen Jazzmusiker, der unbekannt bleiben möchte, also nennen wir ihn kurzerhand Felix Weigt, dieser fragte sich und mich nach dem Schließen der Vorhänge, wie der Kompositionsprozeß so waghalsiger Stücke denn ganz konkret aussehen würde - die vereinfachte Antwort: Valentine Falcon kommt mit Songtexten und intoniert sie, dazu improvisiert Mac Mann an Klavier und Gerätschaften, baut seine Stränge nach und nach aus, bis Maxamillion Avila mit seinen Taktstäbchen das Rad zum Laufen bringt. Innerhalb von etwa drei intensiven Probetagen steht dann ein Song. Dieser zielsicheren Kommunikation gehen allerdings, wie gesagt, ein Dutzend Jahre engster Verbindungen voraus, das gegenseitige Verständnis wird von einem Fundament aus intensiven Bemühungen und - darf ich es sagen? - so etwas wie Seelenverwandtschaft getragen.

Valentine Falcons Texten und ihrer Ausführung wohnt eine psychedelische Form von aufrichtigem Stolz und weißer Magie inne; sie singt über Kraft, Zusammenfließen, die Einheit aller Menschen und wiederum die Einheit dieser Menschen mit der Natur. Das ist, wie sie erklärt, gleichzeitig schön und beunruhigend, denn wenn wir alle in nur einem Körper wohnen, dann wird derzeit die Verantwortung für den Großteil des Selbst nicht übernommen - früher oder später wird sich das rächen und das, was wir jetzt sozusagen als Krebszellen abzustoßen versuchen - die Köpfe, die wir untertauchen, um selbst Luft zu kriegen, anstatt ein Bötchen für alle zu bauen - die werden uns irgendwann mal heimleuchten.

Valentine Falcons Abstammungslinie ist gefüllt mit übersinnlichen und künstlerischen Frauen, und so spielte sie schon als Achtjährige mit ihrer Großmutter parapsychologische Spielchen, erlernte Selbsthypnose und sammelte wertvolle, prägende Erfahrungen. Als Einzelkind hatte sie viel Zeit für sich alleine, in der sie ihr eigenes Weltbild weiter ausbaute und schließlich auch erlernte, dieses zu artikulieren. Ihre Liebe zu Unschuld und Reinheit sucht sie in den Menschen, die ihre Visionen ohne Rücksichtnahme auf geläufige Vorurteile verwirklichen - Get Hustle lassen grüßen.

Früher wohnhaft in San Diego, Kalifornien, residiert die Gruppe jetzt in Portland, Oregon: "Portland ist so ein kleines Städtchen! Ich denke, kreative Leute ziehen sich immer gegenseitig an, das war immer schon so. Ich weiß nicht, manchmal mag ich Portland wirklich sehr gerne, manchmal würde ich lieber in Alaska Gold sieben ... es kommt drauf an."

 

Fortsetzung folgt ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #2

(erschienen Dez. 2007)


Text & Interview: Rokko

Photos: Chris Voy

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