Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #50

Fuck The Beatles, Part II

Wußten Sie eigentlich, daß Paul McCartney tot ist? Keine Angst, diese Nachricht wäre selbst dem größten Analog-Menschen nicht entgangen. Dr. Nachtstrom berichtet im zweiten Teil seiner Abrechnung mit dem Beatles-Mythos über Verschwörungstheorien und Attentate.    03.06.2013

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Paul is Dead

 

Weil man Verschwörungstheorien zwar nicht glauben muß, sie aber interessant, spannend und cool finden kann, widmen wir uns nun ausführlich der größten, völlig durchgeknallten Verschwörung im Reiche der Fab Four - nämlich jener, daß Paul McCartney im Jahr 1966 einem Autounfall zum Opfer fiel und danach durch einen Schauspieler mit dem Namen William Campbell ersetzt wurde.

Wie diese abstruse, bis zur Monstrosität angewachsene Geschichte entstand, ist heute nicht mehr ganz klar. Angeblich erschien 1969 in einer Campus-Zeitung der amerikanischen Michigan-Universität ein Artikel, der zum ersten Mal die Behauptung aufstellte, McCartney sei nicht mehr am Leben. Dies behauptete kurz darauf auch ein mysteriöser Anrufer namens "Tom" in einer Radioshow des Detroiter Moderators Russell Gibb. Gibb widmete dem Thema die restliche Sendung, und diese legendäre Show trat eine unglaubliche Welle der Hysterie los. Unter der tatkräftigen Mithilfe sensationsgeiler Medien hatte die berüchtigte "Paul is Dead"-Theorie das Licht der Welt erblickt. Fortan widmeten sich Hunderttausende Beatles-Fans hingebungsvoll einer äußerst verschrobenen Schnitzeljagd nach versteckten Hinweisen in Beatles-Songs und auf den entsprechenden Plattencovers. Ein paar Unentwegte tun das übrigens auch heute noch.

Hier eine Dramatisierung der Ereignisse, wie sie sich die Fab-Four-Verschwörungstheoretiker in ihren qualmenden Köpfen zusammengereimt haben: Es ist Mittwoch, der 9. November 1966. Die Beatles befinden sich in den Abbey Road Studios, um einen Song für die 1967 zum Release vorgesehene LP "Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band" aufzunehmen. Die vier Pilzköpfe machen gerade eine harte Zeit durch. Lennon hat durch seine Ansage, die Beatles seien populärer als Jesus Christus, die halbe Welt gegen sich aufgebracht. Die Band verspürt keine Lust mehr, live aufzutreten, zwischen den ewigen Rivalen John und Paul gibt es immense persönliche und kreative Spannungen. Als während der nächtlichen Aufnahme-Sessions irgendwann zu fortgeschrittener Stunde ein hitziger Streit wegen Pauls Perfektionismus ausbricht, springt der Beatle auf und verläßt das Studio im Zorn.

McCartney rast bei starkem Regen in seinem weißen Austin Healey davon. Kurze Zeit später bemerkt er eine Frau, die ohne Schirm neben der Straße entlanggeht. Er hält an und fragt, ob er sie mitnehmen kann. Die junge Dame (ihr Name, so wurde später angeblich ermittelt, lautete "Rita") erkennt kurze Zeit später, wer der Fahrer ist, und wird hysterisch. Sie greift ins Lenkrad, der Wagen gerät außer Kontrolle und rast ungebremst in einen Telefonmast. Irgendwie ist es Rita möglich, sich aus dem Wrack zu befreien, sie bleibt nahezu unverletzt. McCartney allerdings ist festgeklemmt. Als sie versucht, die Fahrertür von außen zu öffnen, bricht ein Feuer aus. McCartney ist bei Bewußtsein, seine Hand ist gebrochen, es ist ihm unmöglich, den Griff der Vordertür herunterzudrücken.

Am Unfallort eingetroffene Passanten haben die Einsatzkräfte verständigt. Während die Feuerwehr bereits unterwegs ist, explodiert das Fahrzeug, jede Rettung kommt zu spät - Paul McCartney verstirbt noch am Unfallort. Die später eingetroffene Polizei identifiziert den Lenker anhand des erhaltenen hinteren Nummernschilds; die Presse hat auch schon Wind von dem Unfall bekommen, und die Reporter wissen bereits, wer das berühmte Opfer ist.

 

Paul = Faul

 

Beatles-Manager Brian Epstein verhindert entsprechende Schlagzeilen in den Morgenausgaben der Zeitungen und bittet die Polizei um absolutes Stillschweigen gegenüber der Öffentlichkeit. (Wie ihm das gelungen sein soll, bleibt natürlich ein Rätsel.) Epstein begeht im August des folgenden Jahres Selbstmord und nimmt seine sorgsam gehüteten Geheimnisse mit in eine andere Welt. Zuvor beschwört er die schockierten restlichen Bandmitglieder, sich wegen der unzähligen bestehenden Verträge nicht aufzulösen. Da Paul außerdem der beliebteste Beatle war, gibt es anscheinend nur eine einzige Lösung für das Dilemma um seinen Tod: ein Doppelgänger muß her. Dieser findet sich nach hektischer Suche in einem kanadischen Polizeibeamten namens William Campbell, einem perfekten Kandidaten. Campbell ist Beatles-Fan, kann Baß spielen und hat bereits einen "Paul McCartney-Lookalike"-Wettbewerb gewonnen. Eines Tages verschwindet er spurlos von seiner Arbeitsstelle im Ontario Police Department und taucht nach einigen kleinen Schönheitsoperationen als Paul McCartney wieder auf.

Der Schwindel funktioniert jahrelang ohne die geringsten Probleme. Die restlichen Beatles allerdings fühlen sich schuldig und plazieren bei allen weiteren Plattenveröffentlichungen nach Pauls Tod versteckte musikalische und graphische Hinweise, die von aufmerksamen Fans mit teils unglaublicher Mühe entdeckt werden. Um eine entsprechende Botschaft auf dem Cover von "Sgt. Pepper" zu entdecken, muß man nur ganz genau hinsehen. Auf dem Bandfoto trägt Paul zusätzlich zu seinem hellblauen Anzug eine schwarze Armbinde mit den Buchstaben "OPD" - britischer Polizeijargon für "Officialy Pronounced Dead". Möchte man sich tiefgehender als Schnitzeljäger betätigen, muß man einen kleinen Handspiegel benutzen: Legt man diesen nämlich genau auf die Mitte des auf der berühmten Baßtrommel des Frontcovers aufgedruckten Schriftzuges "Lonely Hearts", ergibt sich via Spiegelung die Message "I ONE IX HE DIE" - I und ONE = 11 + IX = 9. November, der Todestag von McCartney am 9. 11. 1966. Im Schriftzug erscheint außerdem ein kleiner Diamant, dessen nach unten gerichtete Spitze auf ein Blumenbouquet am Boden zeigt - ein mehr als deutlicher Hinweis auf "Blumen am Grab" von Paul McCartney. Eigentlich ganz einfach, oder? Später bemerken die unermüdlichen Amateurforscher bei Vergleichen von Photos aus den Jahren vor 1966 und danach etliche Diskrepanzen (z. B. eine andere Augenfarbe: auf früheren Bildern hat Paul braune Augen, später grüne) zwischen dem echten Paul und seinem Double, dem man nun den verächtlichen Namen "Faul" gegeben hat.

Die Beatles selbst hatten die Hysterie um Pauls angeblichen Tod natürlich mitbekommen, sich geärgert und dann vermutlich großartig amüsiert. So sind eine Vielzahl von später gefundenen "Clues" sicherlich absichtlich von ihnen plaziert worden. In dem Song "Glass Onion" ("White Album", 1968) singt John Lennon eine Textzeile, gespickt mit schwarzem Humor: "Here´s another clue for you all, the walrus was Paul". Das "Walroß" als MacGuffin der Beatles-Geschichte sollte in diesem Fall den "toten Beatle" bezeichnen. Der einzige tote Beatle und damit das wahre "Walrus" war 1980 dann allerdings doch John Lennon und nicht sein ewiger Rivale McCartney.

 

Harrison - Attentat und absurder Tod

 

Und George Harrison, nun, damit erreicht unsere Beatles-Chronik der anderen Art ihren traurigen Höhepunkt. Der scheue, häßliche Gitarrist mit den riesigen, weit abstehenden Segelohren war von Natur aus mißtrauisch und meistens schlecht aufgelegt, wie der Beatles-Tontechniker Geoff Emerick in seinen Memoiren "Here, There and Everywhere" anschaulich beschreibt. Besagter Emerick war als verlängerter Arm von Produzent George Martin übrigens für die Erfindung der meisten Sound-Tricks des epochalen Psychedelia-Werks "Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band” verantwortlich und wurde für seine Arbeit daran sogar mit einem Grammy ausgezeichnet - in den Interviews der "Anthology" wird er von den Herren McCartney, Harrison und Starr aber mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das könnte daran liegen, daß sein Buch ausführlich erzählt, wie schwierig es war, mit den vier zerstrittenen Primadonnen der Spätphase zusammenzuarbeiten. So schwierig, daß Emerick bei den Aufnahmen zum "White Album" sogar einen Nervenzusammenbruch erlitt, die Produktion verließ und erst durch viel Überredungskunst dazu bereit war, für die finalen "Abbey Road"-Sessions seinen Platz hinter dem Mischpult wieder einzunehmen.

Zurück zu George Harrison: Dessen konstant schlechte Laune mag auch damit zu tun gehabt haben, daß er von den zwei Haupt-Songwritern Lennon und McCartney bis zum Schluß hin an einer sehr kurzen Leine gehalten wurde. In deren ständigem Konkurrenzkampf hatte ein dritter Liedschreiber keinen Platz. Zum Glück konnte er einige seiner Songs durchsetzen, was der Beatles-Fangemeinde unsterbliche Klassiker wie "Here Comes The Sun" oder "While My Guitar Gently Weeps" beschert hat. Den guten Eindruck seiner Fähigkeiten machte Harrison allerdings im Laufe der Jahre nach dem Beatles-Split wieder ordentlich zunichte. Nach dem in Zusammenarbeit mit dem verrückten Phil Spector aufgenommenen Dreifach-Album "All Things Must Pass" wurden seine Releases immer schrottiger, teilweise so geschmacksunsicher und peinlich, daß man an dem durch Maharishi und Räucherstäbchen vernebelten Verstand des Ex-Beatles zweifeln mußte (man denke nur an den grausamen Formel-1-Tribut-Song "Faster"). Und ganz ehrlich: Sein Sitarspiel war trotz seines großen Enthusiasmus niemals wirklich gut.

Die letzten Lebensjahre des "dritten Beatle" waren ein Lehrstück für negative Energie. Nach dem Tod Lennons war Harrison der nächste mit Paranoia und großen Ängsten vor einem Attentat. Und tatsächlich wurden seine Ängste wahr, als am 30. Dezember 1999 ein verwirrter Mann namens Michael Abram in sein Anwesen in Henley-on-Thames einbrach und Harrison mit einem Küchenmesser zahlreiche, teilweise schwere Verletzungen im Lungen- und Kopfbereich zufügte. Vor dem Tod bewahrt wurde Harrison nur durch das beherzte Eingreifen seiner Frau Olivia, die den Angreifer mittels wiederholten Zuschlagens mit einem schweren Schürhaken außer Gefecht setzte.

Über dieses Attentat weiß man wenig, obwohl die genaue Schilderung eigentlich an einen heftigen Splatterfilm gemahnt:

 

"Having telephoned the police, Olivia Harrison left their bedroom with a fireplace poker to find her husband on their upstairs hallway floor and Abram repeatedly stabbing him with a seven-inch kitchen knife. She struck Abram on the head a total of fifteen times with the poker until he finally turned on her and knocked her over. Olivia lost the poker, recovered, and retreated to the bedroom where Abram followed her. Although stabbed, Harrison was able to get up and go to his wife´s aid. Facing Abram, Olivia picked up a large Tiffany lamp and began to hit him over the head again. He took the cord of the lamp and turned on Olivia in an attempt to strangle her with it. She fled downstairs in search of their larger, heavier fireplace poker as Abram then began to hit Harrison over the head with the lamp. Harrison, fatiguing at this point, could only put up his feet in an attempt to stop Abram´s blows. Abram then left the bedroom and staggered downstairs to find Olivia, but finally collapsed on their balcony, remaining there until the police arrived. The attack had lasted approximately fifteen minutes. Abram would later receive twenty-two stitches in his head. Harrison suffered a punctured lung, seven stab wounds, and head injuries."

(zitiert aus: "The Greedy Bastard Diary: A Comic Tour of America" von Eric Idle, Harpers Entertainment, 2005)

 

Abram überlebte, wurde wegen seiner schon zuvor diagnostizierten Schizophrenie vor Gericht freigesprochen und an eine Klinik überwiesen, die ihn im Jahr 2002 als geheilt entließ. Harrison hatte nicht so viel Glück - bereits 1997 war bei ihm ein Tumor diagnostiziert worden, im Jahr 2001 hatten sich Metastasen bis in seinen Kopf und seine Lunge ausgebreitet. Wie Bob Marley hatte auch Harrison das Pech, in seinen letzten Lebensmonaten in die Hände eines skurrilen Arztes zu fallen, der ihm das Ableben in absurdester Weise erschwerte. Dr. Gil Lederman, sein behandelnder Onkologe, überschritt aus Begeisterung für seinen berühmten Patienten jegliche Grenze des guten Geschmacks. Er brachte seine Familie mit ins Krankenzimmer, ließ sie Beatles-Songs intonieren und zwang den Sterbenden dazu, eine Gitarre für seinen Sohn zu signieren:

 

"Lederman showed up uninvited and instructed his 13-year-old son, Ariel, to strum a song on his Yamaha electric guitar. When the performance was over, Lederman put the guitar in Harrison´s lap and asked him to sign it. 'I do not even know if I know how to spell my name anymore,' responded an exhausted Harrison. 'C´mon, you can do this,' said Lederman, guiding his hand and spelling his name aloud: G-E-O-R-G-E H-A-R-R-I-S-O-N."

(zitiert aus: Andrew Goldman, "The Doctor Can´t Help Himself", New York Magazine, 2005)

 

Lederman wurde dafür von den Anwälten der Witwe Harrisons auf zehn Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Ein trauriges, fast lachhaftes Ende also für eine tragische Existenz im Schatten der beiden Egomanen John Lennon und Paul McCartney - der seinen ehemaligen Mitstreiter Harrison in Interviews nach dessen Tod pathetisch als "little baby brother" bezeichnete.

 

Zur Fortsetzung ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #8

erschienen im Dez. 2010


Text: Dr. Nachtstrom
Illustration: Jörg Vogeltanz

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