Stories_Rokko’s Adventures im EVOLVER #38

Punk Fiction

Frage: Was ist die Schnittmenge aus Konrad Bayer, Peter Fonda, Kremser Psychedelik, Wiener Untergrund-Idylle, hawaiianischer Rock-Euphorie, Cyberpunk und Beatniktum?
Antwort: Ronnie Rocket. Oder Ronnie Urini. Oder Ronald Iraschek. Auf jeden Fall Österreichs einziger wirklicher Rockstar, der dieser Tage die Doppel-CD "Ronnie Rocket Superstar" herausgebracht hat.
Thomas Fröhlichs Liebeserklärung an eine lebende Legende.    17.09.2012

Rokko's Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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"Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, so unwahrscheinlich sie auch sein mag."

(Arthur Conan Doyle)

 

"Die Blumenkinder sind schon tot / Rockstars kennen keine Not / Die Hitparaden spiel´n nur Schund / Wir kommen aus dem Untergrund / [...] / Nur der Tod ist uns heilig / Wir kommen und haben es eilig / Aus den Kellern der Nacht  / Aus den Kellern der Nacht / [...]"

(Ronnie Urini und die letzten Poeten)


 

The Heroes are Tired. USA, Los Angeles, 1990: Nach einem Konzert von Wild Bunch, der aktuellen Band des Steppenwolf-Masterminds und Schöpfers von "Born to be Wild", Mars Bonfire, findet eine von 60s-Aficionado und Bomp-Herausgeber Greg Shaw organisierte Party statt, bei der auch zwei Herren auftauchen, die jahrelang kein Wort miteinander geredet haben: Peter Fonda und Dennis Hopper. Nach ihrem stilprägenden Abgesang auf die Hippie-Ära, Easy Rider, war man einander aus künstlerischen, privaten und zigtausend weiteren Gründen tunlichst aus dem Weg gegangen. Nun also ein Wiedersehen - und man bespricht ein Projekt, das schon seit einiger Zeit als Gerücht durch die Medien geistert: Easy Rider II.

Kein Witz: Die im ersten Teil bekanntlich verstorbenen Biker Wyatt und Billy sollen hier ihre Auferstehung feiern; für den Soundtrack dazu sind Wild Bunch vorgesehen, deren Sänger und Texter ein gewisser Ron Urini ist, der als Ronnie Urini in Österreich Kultstatus innehat (was üblicherweise gute Kritiken, Begeisterung bei den Eingeweihten und kein Geld bedeutet). Und jetzt das: Urini, der mit dem Wild-Bunch-Album "Heavy Metal Thunder" zu jenem Zeitpunkt die Nummer 1 auf Hawaii ist, wittert den großen Durchbruch: Riesenerfolg urbi et orbi. Macht. Weltherrschaft. Endlich! Die Rock´n´Roll-Antwort auf Blofeld. Oder - je nach Glaubenszugehörigkeit - gleich James Bond. Ein Mythos wird geformt und in die Geschichte der Popkultur eingeschrieben.

Doch scheitert das Ganze an ... Aliens. Ebenfalls kein Witz.

Dennis Hopper, der wieder einmal in einer seiner bewußtseinserweiterten Phasen steckt, besteht nämlich darauf, daß im Film Außerirdische vorzukommen haben. Peter Fonda meint darauf, daß man in diesem Fall seine Mitwirkung getrost vergessen könne.

Nach 20 Minuten sind die beiden New-Hollywood-Stars dort, wo sie sich auch die vergangenen 20 Jahre befunden haben: man spricht kein Wort miteinander. Easy Rider II wird nie realisiert. Der Soundtrack logischerweise auch nicht (d. h. bis heute - aber dazu später).

Und Ronnie Urini muß sich mit der Weltherrschaft noch ein wenig gedulden.

 

Endless Summer. Österreich, Wien, 2011, Mitte August: Nachdem sich der Sommer bis jetzt eher versteckt hat, schlägt er unerbittlich zu. Mit Temperaturen, die an die Tropen - wenigstens an Kalifornien - gemahnen, und grantelnden Wienern, die lautstark ihre schwitzende Befindlichkeit artikulieren und im hitzeflirrenden Asphalt zu versinken glauben, Hirn voran. Der Schreiber dieser Zeilen hat für derlei Offenbarungen allerdings kein Ohr und keine Zeit. Er ist freudig erregt und zugleich nervös, da er eben dabei ist, einen Helden seiner Jugendzeit (beziehungsweise seiner Roaring Twenties) zu treffen: Ronnie Rocket alias Ronnie Urini alias Ronald Iraschek. Ein an die Tür gelehntes Surfbrett weist den Eingang in Ronnies Kemenate im obersten Stock eines Altbaus im 12. Wiener Gemeindebezirk.

Nach einem beherzten Klopfen öffnet sich die nur angelehnte Tür, und Ronnie Rocket, stilvoll angetan mit einer verspiegelten Ray-Ban und einem unglaublich freundlich-herzlichen Lächeln auf den Lippen, bittet den Gast herein. Die Fenster sind abgedunkelt, es ist nicht ganz so brütend heiß wie draußen. Die Wohnung ist ein im Kunstlicht verheißungsvoll schimmerndes Sammelsurium aus sämtlichen bekannten (und unbekannten) Rock´n´Roll-Universen. Um einen großen Eßtisch herum breiten sich in konzentrischen Kreisen Tigerfelle, eine Duschkabine, Magic Mushrooms aus Plastik, Bücher, Schallplatten, CDs, Bildcollagen eines befreundeten Malers mit zum Teil sehr ansehnlichen Frauen im Fokus, Space-guns (!) und ein in der Ecke thronendes Schlagzeug aus. An der Decke über dem Herd glitzern Spinnweben. Alles in allem wirkt das Interieur, als hätte Filmregisseur und -produzent Roger Corman für die Innenausstattung gesorgt, irgendwo zwischen The Trip und dem Haus Usher - aber nach dessen Fall. Was nicht immer auf Gegenliebe stoßen dürfte, wie Ronnie selbst sagt: "Die Freundin von mein´ Photographen meint ja, da schaut´s aus wie im Puff, das ist ja nicht normal." Er grinst: "Aber wieso denn? Das ist meine Wohnung. Inklusive der Spinnweben. Hat 15 Jahre gedauert, bis es so ausgeschaut hat." Und setzt hinzu: "Dafür hab´ ich einen gemütlichen Tisch."

Photographin Ursula Röck ist inzwischen ebenfalls eingetroffen und zeigt sich sehr begeistert ob des Lokalkolorits. Schließlich trifft man auch nicht täglich auf - nicht nur nach Eigendefinition - Österreichs einzigen Rockstar. Wie sich´s als solcher lebt, wenn man davon lebt? "Man übt sich in Bescheidenheit. Hab´ eine kleine Wohnung, die nicht teuer ist, kein Auto - und einmal in der Woche geh´ ich weg." Wobei die Zurückhaltung bezüglich Letzterem vielleicht nicht immer so konsequent eingehalten wird, wie Stammgäste des Einhorn in der Joanelligasse zu berichten wissen.

 

Aus den Kellern der Nacht. Tatsache ist jedenfalls: Als Ronald Iraschek wurde er am 3. März 1956 im idyllischen Krems geboren, "am selben Tag, an dem Screaming Jay Hawkins sein 'I Put a Spell on You' aufgenommen hat." Musik machte er schon in seiner Schulzeit. "Ich war der Unmusikalischste - also Schlagzeug!" Mitte der 70er Jahre ging er nach Wien, um zu studieren. "Aber da geh´ ich beim Palais Liechtenstein vorbei und hör´ Musik aus einem Keller. Ich hab´ mich spontan zum Schlagzeug gesetzt - weil die haben eh grad einen gesucht. Und die nächsten zwei Jahre war einmal nix mit Studieren." Obwohl er später sein Germanistikstudium beenden sollte (im Gegensatz zu Astrophysik und Astronomie, wozu ihn die Lektüre unzähliger Perry Rhodan-Romane angestiftet hatte), ist er damit nie hausieren gegangen. "Nachdem der Bilgeri damals als 'Rockprofessor' tituliert worden ist, hab´ ich keinen Wert auf 'Punkmagister' gelegt." Doch der Reihe nach: Ronnie spielte zunächst in einer Reihe von Hardrock- und Prog-Rock-Bands wie Dorian Gray oder Metamorphosus. "Das war die Zeit, als man sich Bandnamen gerne aus dem Stowasser holte." (Für Nachgeborene: Der Stowasser war und ist das Lateinwörterbuch an Österreichs Schulen schlechthin - aber wer lernt heute noch Latein in der Schule? Oder überhaupt irgendwas?)

Und wie war das mit Punk? Ronnie erinnert sich: "Da waren einerseits diese Popodrom-Konzerte im Albert-Sever-Saal für Nachwuchsbands. Eine Riesenanlage wie bei Deep Purple und ein braves, artig klatschendes, großteils aus Verwandten und Freunden bestehendes Publikum, das im bestuhlten Auditorium saß." Ronnie denkt kurz nach: "Und irgendwann komm´ ich zu einem Wirt´n im 17. Bezirk. Im Hinterzimmer eine Winzanlage - richtig scheiße. Beleuchtung: 40-Watt-Glühbirne. Aber die Leute - die haben sich aufgführt, san ghupft und habn gschrien, a Wahnsinn! Die Band, die gspielt hat, das war Dirt Shit. Ich war begeistert, hab´ denen aber trotzdem gleich gsagt: 'Der Schlagzeuger ist sauschlecht.' Darauf der: 'Ich bin ja kein Schlagzeuger, ich bin Gitarrist.' Das war der Robert Räudig von den späteren Chuzpe. 'Aber wir suchen einen.' Ich hab´ mich hingsetzt - und war gleich engagiert. Und zwar als Ronnie Ruini - Stabreimnamen waren ja damals in der Szene recht beliebt. Und irgendwann hat der Rennbahn-Express über uns was gschrieben und die Buchstaben vertauscht: So bin ich zu Ronnie Urini geworden. War mir auch recht." Er lacht: "Aber damals hab´ ich das halt noch mystifiziert und eine geheimnisvolle Ahnenreihe in Italien erfunden. Was meine Eltern recht verwundert hat, als sie in den Niederösterreichischen Nachrichten davon glesen haben. 'Ilse!' hat mein Vater zu meiner Mutter gsagt, 'hast du gwusst, dass wir sardische Vorfahren mit Namen Urini haben?!?' "

Ronnie grinst sich eins und stellt drei "Grüne" (Gösserdosen) auf den Tisch.

 

Niemand hilft mir. Ronnie hatte also den Punk entdeckt - und der Punk ihn. Er begann, unter dem Pseudonym Ronnie Urini eine markante und bleibende Duftspur im (Wiener) Underground zu hinterlassen, die sich wahrlich nicht gewaschen hatte. Beim Plattengeschäft Mojo Records in der Schönbrunnerstraße - einer Drehscheibe von Musikern - angestellt, lernte er Kollaborateure zuhauf kennen. Und nutzte die Kontakte (und diese ihn) für einen düster-bunten Mix aus unterschiedlichen Stilrichtungen, der ihn gleichzeitig mit Dirt Shit bei den famosen Neo-Psychedelikern The Vogue umtriebig sein ließ und auch ein kreatives Gastspiel bei der Rucki Zucki Palmencombo ermöglichte. Das Ganze mündete dann in seiner eigenen Band mit ihm als Leadsänger: Ronnie Urini und die letzten Poeten. Aus dieser Zeit, also ´78 bis ´82, stammt auch das Pop/Punk-Kleinod "Niemand hilft mir", nach einem Text des von Ronnie sehr geschätzten Wiener-Gruppe-Künstlers Konrad Bayer und einer Vorlage der Linzer "Stahlstadtkinder" Willi Warma, das damals sogar auf Ö3 gespielt wurde. Das war allerdings in jenen Tagen, als es dortselbst noch voneinander unterscheidbare Sendungen gab und bevor jedes Aufflammen künstlerischer Intelligenz einer von nach Quoten sabbernden Polit- und Medienkellnern ausgetrommelten "Durchhörbarkeit" geopfert wurde. Die zigmal gecoverte Psychedelic-Hymne "Frozen Seas of Io" von The Vogue erreichte sogar die Nr. 1 der Ö3-Charts und leitete - gemeinsam mit den Brüdern im Geiste, Timeshift - ein kleines Comeback der Sixties-Psychedelik ein. Und auch die Rock´n´Roll/Schlager-Vermählung "Südseeträume" der Palmencombo durfte sich ausgiebigen Airplays erfreuen (und brachte mitunter gestandene Punks dazu, sich gelegentlich am Samstagnachmittag einen Film mit Conny Froboess und Peter Kraus anzusehen ... heimlich, versteht sich). Seine Liebe zu obgenannter Wiener Gruppe, der vielleicht wichtigsten literarischen Zusammenrottung der österreichischen Nachkriegszeit, sollte Ronnie auch mit einer Vertonung von Artmann-Texten unter Beweis stellen.

Wie er das beschreibt, was er so spielt? "I spü Rock´n´Roll." Und ist sich der daraus resultierenden Anforderungen durchaus bewußt. "Beim Rock´n´Roll sollt ma si bewegen. Der Jagger geht ja joggen. I wü jo a. Aber ich schieb´ das seit Jänner (welchen Jahres? Anm. des Autors) raus: einmal pro Woche laufen. Aber amoi is z´kühl, dann geht a Wind. Und jetzt is ma z´haaß." Darauf noch drei Grüne.

 

Child of Sunrise, Creature of the Moon. Sein Faible für 60s-Biker-Filme wie auch seine generelle Liebe zum Kino (und genial-verqueren Serien wie The Prisoner, bei uns besser bekannt als Nummer 6) ließ er ab Anfang der 80er Jahre bereitwillig in seine Musik einfließen. Und auch die Silverscreen selbst beehrte er mit ein paar denkwürdigen Auftritten. Unter anderem wirkte er in den Trash-Horror- Elaboraten I was a Teenage Zabbadoing (1988) und Mondo Weirdo (1990) des in Wien geborenen Filmregisseurs und -kritikers Carl Andersen tatkräftig mit. Zabbadoings kann man übrigens durchaus mit Zombies vergleichen - de facto handelt es sich um eine Untergruppe derselben, die sich dadurch auszeichnet, daß sie nicht nur gefräßig, sondern auch dauergeil ist, was die Handlung wesentlich bereichert. Andersen, der in den 80ern eine kleine, aber feine Fangemeinde u. a. mit (oftmals italophilen) Splatterfilm-Abenden im legendären Café Stadtbahn erfreute, "lebt ja no. In Berlin." [Mittlerweile nicht mehr - er ist am 3. August 2012 dortselbst verstorben. Anm. d. Red.] Und splattert weiter vor sich hin. Wobei Ronnie Horrorfilme eigentlich nicht mag. "I wü mi woifühn, wann i an Füm gsehn hob. Bei an ungschnittenen Hellraiser, den i bei an Freind gsehn hob, wo zehn Minuten lang irgendwelche Maden in an herumkriechn, do fühl i mi echt ned wohl." Was den Schreiber dieser Zeilen überrascht, da er Ronnie nicht zuletzt aufgrund von Textzeilen wie "Venus of the Twilight Zone" für einen Horror-Fan gehalten hat. "Des is oba was aunders."

Also: Düster - ja. Grauslich - nein. Kenn' mich aus.

"Fürn Römerquelle-Werbespot hätt´ ich ja auch mitmachen sollen. Das war ja immer so eine Dreiecks-Gschicht: eine schöne Frau, ein schöner Mann und ein schiacher. Aber fürn Schönen hams schon wen ghabt. Und dann hams a no an Schiacheren gfunden.“

Womit Ronnies Schauspielerkarriere relativ rasch ein Ende fand.

 

Bombshell from Hell. Musikalisch huldigte er seiner kenntnisreichen Liebe zur Sixties-Garagenband-Kultur nicht nur "In den Kellern der Nacht" (ohne jedoch aktuelle Strömungen außer acht zu lassen), sondern in weiterer Folge auch in grandiosen Cover-Projekten wie dem Album "Bats", dessen Hüllengestaltung in Anlehnung an das allseits bekannte Fadgas-Musical "Cats" für einen veritablen Rechtsstreit sorgte. Auf "Bats" jedenfalls durfte die p.t. Hörerschaft zum ersten Mal eine gewisse Venus als Gesangspartnerin von Urini erleben, was bei "Summer Wine" zum ersten Höhepunkt einer mehrjährigen Duettkarriere führte, die Vergleiche mit Nancy Sinatra und Lee Hazlewood nicht zu scheuen braucht. Ronnie produzierte auch ihr erstes Soloalbum, "Wild Venus on Wheels", das im Kopf des Zuhörers sowas wie eine Punk/Metal-Femme-fatale-Version des Girl on a Motorcycle mit Marianne Faithfull entstehen ließ. Auch privat sollte das Duett der beiden einige Zeit recht gut funktionieren - doch irgendwann war die Zeit des Abschieds gekommen: für Venus von Ronnie Urini und für Ronnie Urini von Österreich. Zu ersterem meint Ronnie: "Sie war eine meiner bisher sieben Langzeitliebschaften. Die nach jeweils fünf Jahren alle so aufgehört haben: 'Ronnie, das kann doch nicht alles gewesen sein.' " Ronnie grinst entwaffnend dreckig und holt noch drei Grüne: "Frauen sprechen halt sowas aus. Ich bin aber mit allen noch gut befreundet."

Ronnie hingegen folgte Ende der 80er einem anderen Ruf - dem ins gelobte Land des Rock´n´Roll. Mit dem hirntoten Stumpfsinn, der damals als Austropop vermarktet wurde, und den subventionierten Friedensgesängen der Berufsbetroffenen-Nationale hatte er sowieso nie was am Hut. "Was nützt mir Pershing, wenn ich Durchfall hab´!" war das einzige - von kalkuliert friedensbewegten Karriere-Jusos wie dem damaligen Schönwetter-PLO-Schalträger Cap eher scheel betrachtete - Statement, zu dem er sich hinreißen ließ. "Schau", meint Ronnie heute, "es gibt im Grunde nur zwei Gruppen auf diesem Planeten: die internationale Partei der Arschlöcher - und deren Gegner."

Seine Visionen lagen - und liegen - woanders. Und wenn er dafür ins All abwandern müßte. Oder halt nach Kalifornien.

 

Steppenwolf.  Das Wiener Chelsea Chronicle, für das er damals regelmäßig Artikel schrieb ("obwohl i jo ka Journalist bin"), schickte ihn nach Los Angeles, um dort Sky Saxon, den legendenumrankten und inzwischen verstorbenen Frontman der Seeds, zu interviewen. Nachdem der auf jede Frage, die Ronnie ihm stellte, nur "Dog ... God ... Dog ... God ..." murmelte (was unter Umständen auf die Ernährungsgewohnheiten des Herrn Saxon zurückzuführen war), beschloß Ronnie, gleichsam als Kollateralnutzen, den zufälligerweise ebenfalls anwesenden Mars Bonfire um ein Gespräch zu bitten. Bonfire war ja nicht nur - gemeinsam mit Sänger John Kay - Mastermind der Band Steppenwolf gewesen, sondern hatte auch den Song "Born to be Wild", der mit der Zeile "Heavy Metal Thunder" gleichsam ein ganzes Genre begründet hat, verfaßt. "Und nachher hat er nie wieder Lyrics geschrieben, weil er meinte, er kann das nicht", sagt Ronnie. "In 'Born to be Wild' geht´s ja in Wirklichkeit um einen alten Ford. Und Zeilen wie 'exploding to space' waren dem, äh, Bewußtseinszustand entsprungen, in dem er sich befunden hatte, als er den Song schrieb."

Der Rest ist Rock-Geschichte. Doch hat Bonfire seit damals tatsächlich keine Liedtexte, sondern ausschließlich Instrumentaltracks zu Papier gebracht. Urini führte also das Interview mit Bonfire zu Ende, sie tauschten Telefonnummern aus - und Ronnie schickte ihm einige Zeit nach dem Interview zu drei dieser Tracks Texte.

 

Alice in Wonderland. Einige Monate später, 1990, "war ich grad in New York, da hat gar nichts geklappt. Und dann krieg ich vom Mars die Einladung, nach Los Angeles zu kommen, wo ich dann ein halbes Jahr bei ihm gewohnt hab´. Das war - nicht nur menschlich und künstlerisch - ein Riesenglück. Weil in den USA ist´s verdammt schwierig, wo unterzukommen. Der Regisseur Peter Ily Huemer, den ich gut kenn´, hat mir in New York gsagt: 'Drei Sachen gehen gar nicht: A long distance call. Geld ausborgen. Und bei mir wohnen. Denn wenn ich ja sag´, fahrst du nachher heim zu deine grindigen Haberer, erzählst denen das - und dann hab´ ich die dauernd bei mir in der Bude.' Na ja, so hab´ ich mich halt irgendwie durchschlagen müssen."

Ronnie nimmt die Ray-Ban ab und blickt verschwörerisch in die Runde: "Einmal hab´ ich bei einer Rechtsanwältin gewohnt, die mir den Schlüssel überlassen hat, weil´s auf Urlaub war. Klopfts an der Tür, ist eine mexikanische Familie draußen, die sich bedankt, daß die Anwältin ihnen bei einer Koks-Gschicht gholfen hat, und überreicht mir ein Packl. I moch des auf: astreiner Kolumbianer. Klopfts no amoi, i moch auf, ist draußen irgendwer Wichtiger vom Gericht, der meint, er hat da was, 'wie mit der Anwältin ausgmacht', aus der Asservatenkammer, überreicht ma des nächste Packl und geht. Da war dann das drinnen, was sie zuvor der Familie abgnommen haben. Da klingelt des Telefon, ist´s die Anwältin, ich erzähl ihr des, sie lacht und meint, ich kann das gerne selbst verwenden. Also, die nächsten Tage war ich beschäftigt - das kann ich dir sagen." Ronnie setzt hinzu: "Vor allem, ich hab´ das bis zu dem Zeitpunkt ja nie gmacht. Aber wenn die Qualität paßt. Und die war wirklich hervorragend. Übrigens, ich hab´ da ..."

(Wir von Rokko´s Adventures fühlen uns an dieser Stelle bemüßigt, darauf hinzuweisen, daß vieles in diesem Artikel pure Erfindung und jegliche Ähnlichkeit mit lebenden, toten oder untoten Personen sowie real existierenden Rauschmitteln jenseits der vom Gesetz erlaubten bzw. vorgeschriebenen rein zufällig ist und jeglicher Grundlage entbehrt.)

 

Born to be Wild. Doch wir schweifen ab. Zurück zu Mars Bonfire: "Beim Mars war´s gemütlich. Er hat gemeint: 'Ronnie writes strong pictures.' Stimmt jo a. Und wir haben gemeinsam unzählige Songs geschrieben. Die sind dann auf das 'Heavy Metal Thunder'-Album draufgekommen. Hat alles funktioniert. Wir haben im Hollywood Bowl zweimal hintereinander vor 15.000 Leuten gespielt. Mit Mitch Mitchell (dem Drummer der Hendrix-Band), den ich am Anfang gar nicht erkannt hab´." Und Ronnie nutzte seinen Aufenthalt in Kalifornien in jeder Hinsicht. Er lernte persönliche Heldinnen und Helden wie Nancy Sinatra oder Lou Reed kennen, und "im Studio war nebenan grad der Miles Davis mit einer Aufnahme fertig. Denk ich mir, ich red ihn drauf an, daß er mir ein Trompetensolo aufnimmt. Sagen alle, bist deppat, der haut di in die Goschn. Ich geh halt trotzdem rüber, erzähl ihm halt, wie klass ich ihn find, frag ihn, ob er was spielen tät, er würdigt mich keines Blickes, kommt aber trotzdem mit, spielt was sehr Schönes ein und geht wieder." Ronnie denkt kurz nach: "Paßt eh. Oder?"

Ronnie, der ja selbst mit der Band Ozone auch Jazz gesungen und eine entsprechende Ausbildung genossen hat, sieht seinen eigenen Beitrag zum Jazz ehrlicherweise recht gering: "Ich bin kein Sinatra. Ich bin Rocksänger. Da brauch´ ich einen Ton nicht solang halten, vor allem, wenn er hoch ist."

 

Here comes the Rocket. Da, wie wir schon zu Beginn erfahren haben, also aus Easy Rider II nichts wurde (die meisten Cineasten sind wahrscheinlich sogar recht froh darüber), setzte Ronnie seine eigenen vertonten Kopf-Filme fort. Als Ronnie Rocket erfand er sich in einer chromlackierten Cyberpunk-Welt neu. Mit wechselnden Bands wie den Mirrorshades oder Ultraviolet und ebenso wechselndem Erfolg perfektioniert er - seit Mitte der 90er wieder back in Austria - einen niemals enden wollenden Rock´n´Roll-Tagtraum. Und der verknüpft H. C. Artmann mit William Gibson, Harry Lime mit Harry Palmer und Old School-Rock´n´Roll mit Endzeit-Apokalyptik à la Mad Max oder eben Easy Rider II.

Letzteres ist auf seinem neuen Album "Fire Waves" nachzuhören, das er mit den Subcandies eingespielt hat, einer Beat-Combo aus lauter gestandenen Musikern jenseits des Teenager-Alters, die aber mit einer Spielfreude an die Sache gehen, die manchen Jungspund daneben uralt aussehen läßt. Live ist er immer noch für forciertes und recht eigenwillig-spontanes Berserkertum gut; und wenn er nicht gerade probt oder im Studio ist, schreibt er an einem Roman sowie an einem Musical. "Am Musical arbeit´ ich schon seit einigen Jahren. Da gibt´s acht Hauptpersonen, dagegen ist 'Romeo & Julia' ein Schas." Sein Roman, ebenfalls ein work in progress, entsteht ziemlich improvisiert: geschrieben wird, was auf den Tisch kommt. Beziehungsweise, was grad durch die Hirnzellen mäandert. "Ja, grammatikalisch korrigier´ ich schon noch was. Aber der Fluß der Gedanken bleibt so, wie´s ist. Und ohne Binnen-I."

Ronnie, der in den vergangenen 10, 15 Jahren beinahe ein wenig in Vergessenheit geraten ist, darf sich in jüngster Zeit wieder über erhöhtes Interesse an seiner Person freuen, sei es aufgrund der famosen, erst kürzlich veröffentlichten CD-Compilation "Neonbeats - Austrian New Wave and Post Punk" (Klanggalerie) oder wegen des dieser Tage erschienenen Doppel-CD-Sets "Ronnie Rocket Superstar" (monkey).

 

Out in the Streets. Dazwischen tut der eine oder andere Einhorn-&-Co.-Besuch not. Auch wenn er vor kurzem in der von ihm bevorzugten Lokalszenerie manch üble Erfahrung machen mußte: "Do is so ein Oasch-Skinhead-Schläger auf mich los. Und da woa hoid glei a Schlägerei beinand." Wobei Ronnie relativiert: "Es kann oba a sein, daß i zerst zruckghaut hob." Aber Bruce Lee sei Dank gebe es ja im Notfall seine (Ex-)Freundin Tainina Bonaparte (sie heißt angeblich wirklich so): "Die ist Kampfsportlerin und hat einmal ein ganzes Lokal aufgmischt. Zehn Leute gegen uns, sie hat neun verprügelt, der zehnte hat mir dann aufs Aug ghaut.“ Ronnie grinst. Der Rock´n´Roll-Lifestyle fordert halt seine Opfer.

Weil: An sich ist Ronnie die friedlichste Person auf Gottes Erdboden. Und kommuniziert sowieso am liebsten über die Musik. "Im Wiener Celeste gibt´s jeden Montag Sessions. Avantgarde-Musiker, Jazzer, Klassiker, Elektroniker - da sind meistens so 50 Leute dort; und 10 bis 15 spielen da." – darunter Szenegrößen wie Marco Eneidi, DDKern (Bulbul) und Philipp Quehenberger. "Das ist sowohl als Zuhörer als auch als Musiker interessant." Manche Entwicklungen, die vor allem von sich selbst beweihräuchernden Obergscheiterl-Medien hoch gejubelt werden, gehen ihm hingegen mitunter ordentlich auf die Nerven: "Dieser ganze 'Diskurs-Pop'. Fürchterlich. Oder die 'Hamburger Schule': das sind doch nur irgendwelche Deppen, die in Hamburg herumschrammeln. Ich mein, wir ham auch deppat dreingschaut vor 30 Jahren - aber ned sooo deppat." Und über die rappende Kinderzimmer-Zuhälter-Internationale braucht man eh kein Wort verlieren. "Das ist Stottern. In meinem Musical rappt nur einer: der Ungustl."

Zurück in der guten Welt: "Die Sessions im Celeste sind herrlich.

Weil: Da ist einfach alles möglich. Ohne Worte.

Lautmalerei.

Onomatopoetisch.

A scheens Wort!"

 

Da geht doch noch eine Grüne. Die Weltherrschaft kann warten.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #10

(erschienen im Dezember 2011)


Interview: Thomas Fröhlich. Photos (c) Ursula Röck

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