Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #94

Englands Roswell

Auch wenn der Rendlesham-Fall beinahe 40 Jahre zurückliegt, taucht die vermeintliche (?) UFO-Sichtung immer wieder als mediales Thema auf. Daniel Krčál ermittelte für Team Rokko.    01.06.2016

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Weihnachten 1980 ereignete sich im Wald von Rendlesham Englands berühmtester UFO-Fall - aufgrund  der dichten Faktenlage einer der spannendsten weltweit und deswegen auch gerne als "Englands Roswell" bezeichnet. Team Rokko weiß mehr. Lesen Sie hier den ersten Teil über  den Vorfall.

 

 

Handhabungen

 

Der Rendlesham-Fall lebt nicht nur davon, daß von offizieller Seite nicht bestritten werden kann und wird, daß etwas Außergewöhnliches passiert ist, sondern auch von seinen Zeugen. Was ihn mitunter etwas schwierig macht, ist die Tatsache, daß nicht nur das Verhalten der englischen und amerikanischen Behörden Interpretationsspielraum zuläßt, sondern auch, daß die Aussagen der Zeugen in einigen Punkten widersprüchlich sind. Das aber hat seine guten Gründe und dürfte kaum als Argument gegen die Echtheit und Glaubwürdigkeit des Falls durchgehen. Vielmehr ergibt sich dieser Umstand aus verschiedenen Faktoren: wahrnehmungspsychologischen, der eigenwilligen Art, wie unser Bewußtsein unsere Gedächtnisinhalte konstruiert, und der mehr als seltsamen und rätselhaften Handhabung des Falls durch die Behörden.

Charles Halt bestätigt mittlerweile offiziell, was seine ehemaligen Untergebenen Penniston und Burroughs immer schon behauptet hatten: Im Zuge der Vernehmungen wurden sie Opfer von gehirnwäscheartigen Verhörmethoden. Neben den eher schlampig geführten und wenig zielgerichteten offiziellen Verhören hätte sich auch eine zweite, geheim operierende Behörde ihrer angenommen. Dabei seien sie wie Verbrecher behandelt und neben Psychotaktiken auch Drogen (vor allem dem sogenannten Wahrheitsserum Natriumpentothal) ausgesetzt worden. Halt geht jedenfalls sogar so weit, das Militär zu bezichtigen, eine Schädigung der psychischen und physischen Gesundheit der Soldaten bewußt in Kauf genommen zu haben (wie wir später sehen werden, tut es dies durch die Zurückhaltung relevanter Informationen immer noch). Die wichtigsten Beweismittel seien zunächst auf den US-Militärflugplatz Rammstein gebracht und dann in die USA geflogen worden.

Mysteriös ist diesbezüglich auch der Fall des Soldaten Larry Warren. Er war der erste Whistleblower unter den Zeugen und wird unter dem Pseudonym Art Wallace im ersten, 1983 erschienenen Buch zitiert, das sich mit dem Rendlesham-Fall befaßt. Unbestritten ist, daß Warren zur Zeit des Vorfalls auf der Basis stationiert war. Die Geschichte, die er der Öffentlichkeit erzählt, ist aber eine scheinbar extrem ausgeschmückte, in der in etwa drei kleine im Fluggerät schwebende Wesen vorkommen, die mit Halt telepathisch Kontakt aufgenommen haben sollen. Doch keiner der anderen Zeugen kann sich an dieses Detail oder überhaupt daran erinnern, daß Warren bei jener Sichtung, bei der Halt zugegen war, auch mit dabei war. Ein paar Jahre später kam Warren mit einer Geschichte auf, in der ihn Men in Black in eine geheime Untergrundanlage der Bentwaters-Woodbridge-Basis verschleppt hätten. Halt hält dem entgegen, daß auf der Basis schon allein aus Gründen der Bodenbeschaffenheit nicht in die Tiefe gebaut hätte werden können und diese Anlagen daher sicher nicht existiert hätten. Ist Warren bloß ein Wichtigtuer? Ein Desinformant? Sind ihm im Verhör falsche Erinnerungen eingepflanzt worden? Immerhin, beim Bekanntwerden des Falls spielt er eine wichtige Rolle.

Unter UFO-Interessierten war der Fall aber auch schon vorher kein unbekannter, da indiskrete Insider schon sehr bald Details der Geschichte, nicht zuletzt auch Charles Halts Tonband, unter die Leute gebracht hatten. Über den Umweg einiger UFO-Zeitungen gelangte die Story schließlich zur Boulevardzeitung News of The World, die am 2. Oktober 1983 eine reißerische Titelstory lancierte.

Seitdem ist der Rendlesham-Fall einmal mehr und einmal weniger stark mediales Thema; zahlreiche Zeitungsartikel und TV-Dokumentationen (unter anderem in BBC und CNN) haben sich schon mit ihm beschäftigt. Etliche Ufologen waren oder sind immer noch in Sachen Wahrheitsfindung bemüht - zum Beispiel Georgina Bruni, die ein Buch zum Fall geschrieben hat, das sich mit dem Titel "You Can´t Tell The People" auf eine angebliche Aussage Margaret Thatchers bezieht, die diese Bruni gegenüber bei Recherchen zum Buch getätigt haben soll: "UFOs! You must get your facts right and you can´t tell the people.

Beteiligten und Forschern ist es unter anderem gelungen, durch den amerikanischen und den englischen Freedom of Information Act (kurz FOIA; den amerikanischen gibt es schon seit 1966, den britischen erst seit 2000), der jedem Bürger das Recht auf Einsicht in Regierungsdokumente (sofern sie nicht aus gewichtigen Gründen zurückgehalten oder geschwärzt werden müssen) gewährt, an einige der Schriftstücke heranzukommen, die das damalige Gebaren der Behörden dokumentieren. Und doch spricht sehr viel dafür, daß die wichtigsten beziehungsweise wirklich relevanten Akten nicht darunter sind.

Da wäre zum Beispiel die Tatsache, daß das amerikanische Militär sich weigert, John Burroughs seine Gesundheitsakte auszuhändigen. Er und Penniston haben beide seit ihrem Kontakt zum Fluggerät gesundheitliche Probleme, die von einer Art Verstrahlung herrühren dürften; Burroughs die schwerwiegenderen. Sogar den ihn behandelnden Ärzten des Veteranenamts (U.S. Department of Veterans Affairs) wurde der Zugang mit dem Verweis verwehrt, daß die Gesundheitsakte der Geheimhaltung unterliegt - und das, obwohl eine Akteneinsicht für die erfolgreiche Behandlung maßgeblich sein könnte. Auch das Engagement einiger Kongreßabgeordneter hat diesbezüglich bislang nichts gebracht. Zur Zeit ist der sich für Veteranenrechte einsetzende Senator John McCain an der Sache dran; laut Burroughs könnte es 2015 erste Erfolge geben.

Eine Renaissance erlebte der Rendlesham-Fall mit der seit 2008 begonnenen Freigabe der UFO-Akten des britischen Militärs. Eine Schlüsselfigur dabei: Nick Pope, ehemaliger Angestellter des britischen Verteidigungsministeriums und in den Jahren 1991 bis 1994 zuständig für UFO-Sichtungen. Vor seiner Bestellung zum staatlichen UFO-Beauftragten hatte er sich weder mit dem Thema beschäftigt noch von der Existenz dieser Stelle gewußt. Umso überraschter war er, als er feststellen mußte, daß es neben den üblichen leicht zu erklärenden oder nicht glaubwürdigen Fällen auch einige ziemlich ernstzunehmende gab. In seiner Funktion bekam er auch mit, wie groß die Neugier der UFO-Community ist und wie sehr die extrem aufwendige Bearbeitung der vielen FOIA-Anfragen die Ermittler von ihrer eigentlichen Arbeit abhielt. Nicht zuletzt deswegen hat er die Freigabe der Dokumente eingeleitet.

Seit 2006 ist Pope außer Dienst und als Autor/Journalist darum bemüht, daß das Thema der UAPs (Unexplained Aerial Phenomena - so der seriösere Terminus für das in Verruf geratene Akronym UFO) von Medien und Öffentlichkeit ernstgenommen wird. Als er hörte, daß Jim Penniston und John Burroughs an einem Buch über den Rendlesham-Fall arbeiteten, nahm er sich der Sache an, und sie schrieben es unter seiner Leitung zu dritt. Dank ihm ist das Resultat keines der üblichen, in schummrigen Verlagen herausgebrachtes Nischenprodukt, sondern ein bei einem der größten Verlagshäuser Englands plaziertes, gut recherchiertes Sachbuch. Und zwar eines, das nicht zuletzt auch vom in Wikileaks-Zeiten mehr als aktuellen Thema geheimdienstlicher Schattenstrukturen handelt.  Selbst Kritiker, die mit dem übernatürlichen Teil des Buchs nichts anfangen können, wissen dies zu würdigen; etwa die Washington Post, die in ihrer Rezension von einer berechtigten Paranoia gegenüber aufgeblähten und undurchschaubar gewordenen Regierungenapparaten schreibt.

Die Geschichte der Sichtungen und Begegnungen, wie sie oben geschildert wurde, ist im wesentlichen jene, die Pope, Burroughs und Penniston für das Buch rekonstruiert haben.

 

Erklärungen

 

Erklärungsversuche, was im Wald von Rendlesham tatsächlich geschehen sein mag, gibt es viele. Paradoxerweise scheinen die rationaleren die phantastischeren zu sein - und vice versa.

Standen die Soldaten unter dem Einfluß von Alkohol oder psychedelischen Drogen? Hatten sie eine Massenhalluzination? Vor allem wegen der physischen Beweise und der Tatsache, daß auf einer Atomwaffenbasis Alkohol- oder Drogenvergehen schwerwiegende disziplinäre Konsequenzen nach sich gezogen hätten, ist dies eine sehr unwahrscheinliche These. Es wurde sogar nachgeforscht, ob im Wald halluzinogene Pilze vorkommen - Fehlanzeige.

Handelte es sich um einen jener ausgefeilten Streiche, wie sie unter Studenten, Polizisten und Soldaten Tradition haben? Teile der Ereignisse könnten sicher damit erklärt werden, kaum aber alles. Auch die Dimension des Ganzen und die anzunehmende Zahl von Beteiligten dürfte so ziemlich dagegen sprechen. Dabei gibt es mittlerweile sogar Geständnisse, die aber bei näherer Betrachtung unglaubwürdig wirken. Ein ehemaliger Polizist behauptete 2003, er sei damals mit seinem Auto herumgefahren und hätte die Soldaten mit seinen Lichtern gefoppt. Aber er kann kein Datum und keine Namen nennen; auch die Farben, von denen er spricht, sind nicht die, von denen die Zeugen berichten. Außerdem hätten die Zeugen wohl kaum absolute Stille beschrieben, wenn ein Auto im Wald herumgefahren wäre.

2009 gestand ein Bauer einer Boulevardzeitung, er sei schuld an der Sichtung gewesen. Ihm sei während eines Düngertransports der Laster eingegangen, und als er ihn reparieren wollte, habe er bemerkt, daß der Dünger Diebesgut sei. Woraufhin er den Laster in den Wald gezogen und in Brand gesteckt habe, und die Mischung aus Metall und Dünger in einem Feuer der seltsamsten Farben gebrannt habe. Dann habe er aufgeschreckte bewaffnete Soldaten auftauchen sehen und den Laster schnell wieder auf die Straße gezogen. Später dann erst seien rund um diese obskure Verfolgungsjagd Gerüchte über Raumschiffe und Aliens entstanden.

Eine der beliebtesten Erklärungen war lange Zeit jene, wonach die Zeugen die Lichter des benachbarten Leuchtturms respektive ein Schiff, das als mobiler Leuchtturm fungiert hatte, gesehen hätten. Das kann zum Teil stimmen; hört man sich Halts Tonband an, gibt es darauf tatsächlich Beschreibungen von ein paar wenigen periodisch wiederauftauchenden Lichtern, die in denselben Zeitabständen wie das Licht des Leuchtturms wiederkehren. Auf alle anderen geschilderten Lichter trifft dies allerdings nicht zu. Außerdem ist in den Zeugenaussagen immer wieder die Rede davon, daß zwischenzeitlich kurz auch der Leuchtturm zu sehen ist - die Zeugen konnten also sehr gut dessen Licht von anderen unterscheiden. Auch ist der Leuchtturm von den meisten Plätzen aus, an denen Sichtungen gemacht wurden, gar nicht zu sehen. Ganz zu schweigen davon, daß Leuchttürme nicht herumfliegen und als dreieckige Flugobjekte landen können. Obwohl sich der Besitzer des Leuchtturms selbst von Beginn an vehement gegen diese Theorie ausgesprochen hat, hält sie sich bis heute hartnäckig als die Standarderklärung der sogenannten Skeptiker. Dabei hat ihr Hauptproponent Vince Thurkettle nach einer Begehung des Areals im Jahr 2010 selbst zugegeben, daß der Leuchtturm höchstens für einen minimalen Teil der Ereignisse herhalten könne.

Seriöser sind da schon jene Theorien, die auf Daten der British Astronomical Association aufbauen, die in der Nacht des 25. Dezembers Meteoriten und einen sowjetischen Raketenwiedereintritt verzeichnen. Aber auch hier gilt wieder: Nur ein ganz geringer Teil überschneidet sich mit dem, was die Augenzeugen berichten.

Eine Theorie baut darauf auf, daß die Soldaten der Basis auch für Bergungen der Apollo-Kommandokapsel trainiert wurden. Könnte diese von einem Hubschrauber im Wald unabsichtlich fallen gelassen oder gar als Teil eines Streichs benutzt worden sein? Damit könnte ebenfalls ein kleiner Teil der Ereignisse erklärt werden, das meiste aber nicht. Und wie verträgt sich der Lärm eines Helikopters mit der schon erwähnten beschriebenen absoluten Stille?

Dann gibt es Mutmaßungen, daß die Geschichte erfunden worden sein könnte, um einen Nuklearunfall zu kaschieren - was jedoch aus militärischer Sicht kaum Sinn ergibt, da in der strengen militärischen Hierarchie ein striktes Redeverbot wohl ausreichend sein sollte.

Viel diskutiert wurden auch Theorien über geheime Übungsprogramme beziehungsweise inszenierte Testsituationen, denen die Soldaten ausgesetzt wurden. Eventuell auch im Rahmen eines möglichen Mind-Control-Programms? Berechtigte Überlegungen, für die es keine wirklich schlüssigen Anhaltspunkte gibt ... wie sich auch für einen denkbaren - eventuell fehlgelandeten - Testeinsatz eines geheimen militärischen Fluggerätprototyps kaum welche finden lassen.

Bleiben nur noch die für den rationalen Geist unbefriedigenden Antworten, die aber dem, was die Zeugen erlebt haben, gefühlsmäßig am nächsten stehen und die da lauten: Es war ein Besuch aus einer anderen Welt. Aber aus welcher? Einer außerirdischen oder außerdimensionalen? Aus einem Paralleluniversum oder einer anderen Zeit?

Ausgehend von diesen exotischen Besucher-Hypothesen ergibt sich eine interessante Querverbindung zum Buch "UFOs and Nukes" des auf die Verbindung zwischen UFOs und atomaren Militäranlagen spezialisierten UFO-Forschers Robert Hastings. Nach weit über hundert Interviews mit Militärangehörigen und der Durchsicht freigegebener Dokumente kommt der Autor zu dem Schluß, daß seit 1948 unzählige Atomwaffenbasen nicht nur besucht, sondern auch manipuliert worden seien. Einer seiner berühmtesten Zeugen ist der ehemalige Air-Force-Oberst Robert Sallas, der davon berichtet (und diesbezüglich auf weitere zwölf Zeugen verweist), wie ein UFO über dem Luftstützpunkt Malmstrom im Bundesstaat Montana die dort stationierten, mit nuklearen Sprengköpfen bestückten Minuteman-Interkontinentalraketen deaktivierte. Hatte der Rendlesham-Fall mit den auf der Bentwaters-Woodbridge-Basis stationierten Atomwaffen zu tun?

Wie auch immer, diese Besucher-Hypothesen (respektive subjektiven Besuchserlebnisse)  sind nur schwer (wenn überhaupt) mit der Welt der objektivierten Wissenschaften in Einklang zu bringen und haben deshalb ihren Platz in den sogenannten, von esoterischem Halbwissen durchtränkten Grenzwissenschaften gefunden. Und genau an dieser Schnittstelle beginnt das vorläufig letzte - sagen wir ruhig: etwas problematische - Kapitel des Rendlesham-Falls.

 

 

Mythologien

 

Am 2. 10. 2010 interviewte der amerikanische History Channel Jim Penniston für die Doku-Serie Ancient Aliens zum Rendlesham-Fall und seinem Notizbuch, als Penniston beiläufig erklärte, er habe damals  auf den letzten Seiten auch eine Abfolge von Nullen und Einsen notiert. Diese seien ihm beim Berühren des Flugobjekts wie ein Download in sein Bewußtsein übertragen worden und hätten ihm keine Ruhe gelassen, bis er sie schließlich einen Tag später wie unter Zwang niedergeschrieben habe.

Die ersten sechs Seiten ließ man für die Dokumentation per ASCII-Konverter ins Englische dechiffrieren und erhielt den (im Folgenden ins Deutsche übersetzten) Text: "ERFORSCHUNG [der] MENSCHHEIT/ 52" 09' 42.532 N/ 13" 13' 12.69 W/ FORTSCHREITEND/ FÜR PLANETAREN FORTSCHRITT". Die Koordinaten verweisen angeblich auf die mythologischen Brasilinseln (Hy Brazil), die - wie Atlantis - als versunkene Heimat einer legendenumrankten fortschrittlichen Zivilisation durch diverse Volkssagen geistern. 

Abgesehen davon, daß es unterschiedliche Vorstellungen über die angebliche Lage der Brasilinseln gibt, erscheint die Sache mit den vergessenen Binärzahlen insgesamt nur wenig glaubhaft. UFO-Forscher, die sich mit den unterschiedlichen Interviews auseinandergesetzt haben, die Penniston bislang zum Thema gegeben hat, wollen Widersprüche in seinen Aussagen entdeckt haben. Wie können diese Codes in einem der wichtigsten Beweismittel in der Sache übersehen worden sein? Wie kann Penniston ihnen keine Bedeutung beigemessen haben? Warum spricht er von 12 bis 14 Seiten, wenn er sie doch ganz einfach zählen könnte? Warum hat man nur sechs Seiten davon übersetzt? Warum ist er jahrelang davon ausgegangen, daß eine bei einem so dramatischen Ereignis übermittelte Botschaft bedeutungslos sei? Ab wann wurde ihm klar, daß es sich um einen Binärcode handelte?

Zu sagen, wie manche Kritiker es tun, daß Penniston den Rendlesham-Fall diskreditiert beziehungsweise gar ruiniert habe, scheint aber auf jeden Fall zu weit hergeholt. An der bisherigen Faktenlage ändert die Geschichte mit den Binärzahlen ja nichts. Selbst an Pennistons bisheriger Glaubwürdigkeit nicht - auch wenn man sie (und damit zum Teil auch die des Falls) ab nun leichter in Frage stellen kann.

Eher lohnt ein kurzer Blick auf die Welten und Strukturen, in denen man als jemand, der sich durch so ein dramatisches Erlebnis exponiert, fast zwangsläufig landet. Charles Halt in etwa hat sich mit Händen und Füßen gegen die Veröffentlichung seiner Zeugenschaften (Tonband und Memorandum) gewehrt, weil er wußte, daß er von da an nur noch der (verrückte) Typ mit den UFOs sein würde. Natürlich gibt es genügend Selbstdarsteller und Fabulierer, die mit ihren vermeintlichen Abenteuern distanzlos hausieren gehen, doch den allermeisten UFO-Zeugen ist ihr Erlebnis aus sozialer Sicht zunächst einmal vor allem eines: unangenehm. Sie ringen mit dem, was ihnen passiert ist, suchen nach Erklärungen und landen sehr oft schließlich dort, wo ihr Thema kein stigmatisierendes Tabu ist: in der UFO-Community. Die ist ein bunter Haufen, in dem sich ebenso Leute finden lassen, die der Sache sehr ernsthaft auf den Grund gehen wollen, wie reine Phantasten - ein eigenes kleines Biotop mit fast so vielen verschiedenen Ideen, Theorien, Geschichten und Mythologien wie Akteuren. Und aus dem kommt man, da einerseits das Erlebte selbst so tiefgehend und bewußtseinsverändernd und andererseits das UFO-Rätsel so spannend und schwer zu lösen ist, mitunter gar nicht mehr so leicht wieder raus (oder will das überhaupt).

Eine (gewagte) Theorie: Ist es möglich, daß Penniston, der mittlerweile wohl oder übel davon (das ist nicht finanziell gemeint) und dafür lebt, ein Geschichtenerzähler der UFO-Community zu sein, dem also kaum andere Handlungsspielräume bleiben, aus welchen Gründen oder Zwängen auch immer nicht anders konnte, als für weiteren Erzählstoff zu sorgen? So manche kryptische Andeutung über noch mehr zu Erwartendes in Sachen Brasilinseln legt diese Vermutung zumindest nahe.

Diese Überlegungen entspringen zugegebenermaßen einem gewissen Unbehagen gegenüber New-Age-angehauchten Heilsversprechungen von planetarem Fortschritt und ähnlichem. Wer darin keinen Widerspruch zur ansonsten soliden Faktenlage des Falls sieht und den esoterischen Teil der Geschichte glauben will, soll dies ruhig tun. Ausschließen kann man sowieso nichts ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #15


Text: Daniel Krčál
Photos: Darren DeBoy

 

Literatur: Nick Pope, John Burroughs, Jim Penniston "Encounter in Rendlesham Forest: The Inside Story of the World´s Best-Documented UFO Incident", Thomas Dunne Books, 2014.

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