Stories_Viennale 2007/Spezial II

No fun today ...

Festival-Empfehlungen, die zweite: Diesmal gibt der österreichische Filmemacher und Drehbuchautor Reinhard Jud seine Empfehlungen ab - und warnt vor cineastischen Nichtigkeiten.    17.10.2007

Prolog: Es gab Zeiten, in denen man zwei Gründe hatte, die Viennale zu besuchen: den jeweils neuesten Film von Wong Kar-wai und von Abel Ferrara. Heuer gibt es weder Ferraras "Go Go Tales" mit Asia Argento noch Wong Kar-wais "My Blueberry Nights" zu sehen - auch nicht "Bug" von William Friedkin oder Catherine Breillats "Old Mistress", wiederum mit Asia Argento.

Muß man jetzt den Direktor der Viennale als guten Hirten betrachten, der einen auf den Pfad gehobener Filmkunst lenkt? Ist es anmaßend, zu fragen, wie das aussehen soll?

 

Capitain Achab

(F 2007; Regie: Philippe Ramos)

 

Zum zweiten Mal vergreift sich ein französischer Cineast an einem Roman von Melville. Mit Schaudern erinnert man sich noch an die "Pierre"-Adaption "Pola X" von Leos Carax. Im Vergleich zur künstlichen Erregung bei Carax - Handkamera, unmotivierten Bildern von Lavaströmen und dem Gesabber der Darsteller (wohl weil es so echt ist) - macht Ramos in seiner Version von "Moby Dick" das Gegenteil. Die Schauspieler sprechen in zusammenhängenden Sätzen, die Kamera bewegt sich überhaupt nicht mehr, das Geschehen wird auf Tableaus reduziert, Einzelarrangements in Gurkengläsern. Der Film ist so kalt, leer und langweilig wie das gesamte postmoderne europäische Kino. Wer ihn gesehen hat, ist zumindest dabeigewesen.

 

Free Rainer - Dein Fernseher lügt

(Ö/D 2007; Regie: Hans Weingartner)

 

Ein Medienzampano erlebt die Wandlung vom Saulus zum Paulus. Von da an ist er gegen blinden Konsum und Verdummung durch das Fernsehen. In diesem Zusammenhang ist der Titel wohl eine Paraphrase auf den Hollywoodfilm "Free Willy". Wie beim vorigen Film des Regisseurs verbirgt sich hinter politischem Anstrich bloß ein frommes Traktat, das an Theaterstücke von Peter Turrini erinnert. Wieder handelt es sich um konservative Zivilisationskritik im Geiste des französischen "Mouvement des Citoyens (MDC)", das seinerzeit in der "Aktion Querfront" ATTAC unter seine Fittiche genommen hat.

 

I´m Not There

(USA 2007; Regie: Todd Haynes)

 

Es begann sehr vielversprechend mit "Superstar: Karen Carpenter Story", "Poison" und "Safe". Die Filme von Todd Haynes brachten den längst fälligen frischen Wind in die damals schon selbstgefällige amerikanische Independent-Szene. Sein semiotischer Ansatz endete aber spätestens mit "Far From Heaven" in einer Painting-by-numbers-Methode, auf "I´m Not There" trifft bereits der gräßliche Begriff vom Stil-Cocktail zu. Es geht um die Karriere von Bob Dylan. Jede Phase wird im dafür signifikanten Bildermodus präsentiert, also einmal Cinema Verité, einmal geschwollen Airbrush-mäßig, und als Bonus darf wie in der "Muppet Show" in jeder Episode ein bekannter Darsteller mit einem Gastauftritt brillieren und Playback singen.

 

Se, Jie - Gefahr und Begierde

(USA/China/Taiwan 2007; Regie: Ang Lee)

 

Ang Lee hat Klasse. Er wechselt Genres, Zeitalter und Kontinente, ohne sich mit erhöhtem Bewußtsein für kulturelle Difference zu brüsten. Seine Geschichten sind spannend, seine Figuren lebendig, die Filme in Summe universell. Diesmal bewegt er sich im Genre des Spionagefilms, die Handlung ist im Shanghai der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt.

 

The Walker

(USA/GB 2007; Regie: Paul Schrader)

 

Man muß es einmal aussprechen: Schrader taumelt seit 15 Jahren zwischen dem Vorsatz, den Anschluß an den Mainstream nicht zu verpassen, und dem Ansatz, doch hin und wieder persönliche Filme zu machen. Einmal läßt er sich auf seltsame period pictures oder Genrefilme ein, ein andermal auf letztlich doch unbefriedigende Autorenfilme wie "Light Sleeper". Mit "The Walker" ist wieder einmal etwas Persönliches zu erwarten: die Geschichte eines Einzelgängers, eines Gigolos, der in Ungnade fällt.

 

Medium Cool

(USA 1969; Regie: Haskel Wexler)

 

Haskel Wexler, an sich Kameramann, ließ sich von damals gängigen europäischen Vorbildern beeinflussen und drehte einen unkonventionellen Film um die Ereignisse auf dem Parteikonvent der Demokraten 1968 in Chicago. Das Ergebnis ist im besten Sinne amerikanisch: "Medium Cool" erzählt sehr viel über die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Außerdem wird der Film selten gezeigt, vor allem garantiert nie in Sixties-Programmreihen, weil er dafür zu sperrig und unbequem ist.

 

Killer Of Sheep

(USA 1977; Regie: Charles Burnett)

 

Ein Klassiker des schwarzen amerikanischen Films der 70er. Da es bei der Fertigstellung Probleme mit Musiklizenzen gab, kommt der Streifen erst jetzt in die Kinos - und auf DVD in einer Box mit "My Brothers Wedding", einem weiteren Spielfilm, und drei Kurzfilmen von Charles Burnett (erhältlich ab 13. November). "Killer of Sheep" spielt in den Schlachthöfen von Watts, Los Angeles. Es geht zwar um Kriminalität, trotzdem ist alles andere als Blaxploitation zu erwarten. Der Regisseur hat sich am italienischen Neorealismus orientiert.

 

Epilog: Abel Ferrara, Wong Kar-wai, William Friedkin, auch Paul Schrader - sie alle haben einmal wie Charles Burnett Straßenfilme gemacht: authentisch, sensibel, brutal, sexy, wie man sich gutes Kino eben vorstellt. Es steht jedoch zu befürchten, daß sich das Kino immer mehr zur Bildungsanstalt entwickelt: so langweilig wie das Regietheater, so verkrampft wie Objektkunst.

Reinhard Jud

Viennale 2007

(Fotos © Viennale)


19. bis 31. Oktober 2007

Links:

Reinhard Jud


Reinhard Jud lebt als Autor, Regisseur und Dramaturg in Wien, war Journalist bei "Spex", ORF-Radio und in der Tageszeitung "Der Standard" sowie Chefredakteur der Zeitschrift "Filmlogbuch". Er hat mehrere Spielfilme und Dokumentarfilme geschrieben und inszeniert: "James Ellroy - Demon Dog of American Crime Fiction", "Kameni Grad", "Slidin´- Alles bunt und wunderbar", "Weg in den Süden" und "Kotva". Er verfaßte die Drehbücher für "I love Vienna" und "Höhenangst", beide inszeniert von Houchang Allahyari, und arbeitet auch als Dramaturg, u. a. "Acker" von Barbara Caspar und "Barking through the Night" von Spartak Pecani.

Seit 1999 Juryvorsitz beim Carl-Meyer-Drehbuchpreis in Graz, seit 2004 Kurator der burgenländischen Filmtage.

Carl-Meyer-Drehbuchpreis


Der Carl-Mayer-Drehbuchwettbewerb - erstmals 1989 verliehen - wird inzwischen jährlich vom Kulturressort der Stadt Graz ausgeschrieben und steht für die Auslobung 2008 unter dem Thema SEXAPPEAL, das der Kreativität und Phantasie entsprechenden Spielraum läßt. Die Landeshauptstadt Graz prämiert den Carl-Mayer-Drehbuchpreis mit 14.500 Euro für den Hauptpreis und mit 7200 Euro für den Förderungspreis.

Verlangt wird die anonyme Einreichung eines kinofilmgerechten fiktionalen oder dokumentarischen Treatments. Von den eingereichten Arbeiten werden authentische Figuren und Situationen, innovative Dramaturgie und Expressivität der filmischen Sprache gefordert. Einreichfrist ist der 30. November 2007.

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