Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #4

Dope, Guns and Donuts

Wenn unser PapaRatzi wüßte, was in Rom und Umgebung außer Buberldummheiten noch für Späße getrieben werden - er und sein kleiner Teddy würden staunen. Doch es muß nicht alles grauslich sein, was man sich für die Freizeit vornimmt; schließlich gibt es auch noch Drogen, Waffen und amerikanische Faschingskrapfen. Zu haben es geschafft, Beruf und Hobby zu verbinden.
   24.06.2008

Zu, das sind die dicken Spacken aus Italien, die ihre Finger überall drin stecken haben, ihr mobiles Headquarter geschätzte 200 Tage pro Jahr offiziell auf "Musiktournee" mitnehmen - und damit auch noch durchkommen! Ich wollte mir das gerne selbst ansehen, also ging ich quasi undercover in den Backstageraum und verstellte meine Stimme. Jacopo sprach ein ehrliches Wort zu mir, als mein Aufnahmegerät noch versteckt in der Hosentasche mitlief und er nicht daran dachte, uns gerade in groben Schlamassel zu reden: "Ach, es geht gar nicht um den Vertrieb unserer Musik. Eigentlich geht es nur darum, daß wir Waffen und Drogen rund um den Erdball verteilen - die Sache mit der Musik ist bloß Tarnung." Massimo fährt fort: "Ja, es ist wirklich einfach, wir machen ziemlich viel Kohle mit Waffen- und Drogengeschäften. Brauchst du eigentlich was?"

 

"Melvins of Funk"? That’s bullshit. We are also the "James Brown of Metal"!

(Jacopo Battaglia)

 

Schnitt

 

Fünf Minuten später und um zwei Sparbücher erleichtert versuche ich, ihre Maske wieder zurechtzurücken, und lege den Rekorder auf den Tisch. Wenn ich den oberen Absatz so stehenließe, hätte ich Feinde auf Lebenszeit. Und die würde sogleich auf Null schrumpfen. Also, liebe Musiker!, eure Namen, darf ich die abdrucken? Ja? Sehr gut. Mir gegenüber sitzen Schlagzeuger Jacopo Battaglia, Bassist Massimo Pupillo und Luca T. Mai vom Saxophon, gemeinsam heißen sie Zu. Woher der Name kommt, erzählt Jacopo: "Es kommt eigentlich aus dem Deutschen, erst später haben wir entdeckt, daß es in verschiedenen Sprachen viele verschiedene Bedeutungen hat. Aber eigentlich haben wir es von deutschen Zugtoiletten: auf - zu."

Was das Trio fabriziert, hört sich an wie ein gewalttätiges TurboFreeJazz-Viech, das ziemlich schnell und immer hungrig herumpoltert. Auch von Seiten höchster Gnaden - nämlich John Zorn - kommen Komplimente zwecks frisch zerkochten Wahnsinns. Wie das Konzert im Fluc war? Frage nicht, alter Mann, das war Hölle. Erst mit Joe Lally tatsächlich Hölle inklusive der Angst, da nie wieder rauszukommen – aber schließlich: Zu alleine - ganz groß. Was da wirklich los war? Ich weiß es nicht, irgendwelche Dinosaurier haben den Ring des Nibelungen in tausendfacher Geschwindigkeit zermalmt. Es gab dann keine Schauspieler mehr, sondern nur mehr potentielle Opfer und Helden, keine Inszenierung, sondern die entmystifizierte Götterdämmerung auf echt. Und dann: Zu ist zu, vorbei ist vorbei. Auch Wagners letzte Worte konnte man im erledigten Raum fühlen: "Liebe - Tragik." - wow. Was mir gerade einfällt und auch die Art besagten Abends ganz gut einfängt: Bei unserem letzten Frühstück meinte György Ligeti zu mir, ich zitiere kurz: "Sie nehmen ein Stück Gänseleberpastete, lassen es auf den Teppich fallen und treten es, bis es verschwindet. So verwende ich die Musikgeschichte."

 

Wir haben hier zwei Regierungen: die italienische und die katholische. So Rome is fucked.

(Jacopo Battaglia)

 

Die Hölle ist exakt

 

Jacopo und Massimo spielen bereits seit 1992 zusammen, Zu gibt es seit 1997, erstes Album 1999, 2000 schon eine Zusammenarbeit mit dem verkauzten Avantgarde-Gitarrero Eugene Chadbourne: "Wir waren schon immer große Fans von Eugene und versuchten ständig, spannende und neue Sachen auszuprobieren. Aber in Rom bekamen wir nie etwas Interessantes zu sehen, die Szene hier ist tot. Wir haben zwei Regierungen: die italienische und die katholische. So Rome is fucked. Deshalb haben wir selbst Konzerte organisiert: Der erste Gig, um den wir uns selbst gekümmert haben, war der von den Ruins. Ich wollte sie sehen, aber der nächstgelegene Ort, an dem sie spielten, war in der Schweiz. Es gab zwei Möglichkeiten: Ich hätte in die Schweiz fahren können, 200 Euro für das Ticket zahlen, um dorthin zu kommen, und 200 Euro, um wieder nach Rom zurückzufahren. Oder ich hole die Ruins nach Rom und verliere mein Geld gleich hier. So habe ich es dann auch gemacht, es war eine ziemlich große Nacht, alle möglichen Leute aus der Umgebung sind gekommen. Mit The Ex war das ähnlich: ich liebe die Band, rief Terrie and und fragte ihn: 'Hey, willst du mit The Ex nach Italien kommen?' und er sagte: 'Ja, klar!' Man darf einfach nicht warten, bis irgendetwas passiert, man muß das alles selbst in die Hand nehmen - sonst geht gar nichts."

Bei Zu ist schon ziemlich viel gegangen, beeindruckend, mit wem sie schon aller kollaboriert haben. Ein kleiner Auszug: Melvins (jaja!), dann, wie gesagt, Eugene Chadbourne, The-Ex-Leuten, weiters Peter Brötzmann, Mike Patton, Ken Vandermark, Hamid Drake, Nate McBride, Mats Gustafsson, Fred Lonberg-Holm, Dälek, Rob Wright von NoMeansNo und noch einer Million anderer Künstler aus allen möglichen Sparten zwischen ImproJazz und HipHop-Derivaten.

Trotz Roms Seltsamkeiten hat man sich noch nicht ganz von der Stadt getrennt, so Jacopo: "Wir sind beide in Rom aufgewachsen und leben dort noch immer. Eigentlich bleiben wir dort wegen unserer Familien (ich denke, wir wissen, was für "Familien" der Herr meint ...), es würde mir auch nichts ausmachen, woanders hinzuziehen, aber wir sind sowieso die meiste Zeit unterwegs." Zu scheint ebenso für seine Mitspieler nervenaufreibend und intensiv zu sein, konterkariert muß diese Anspannung ja auch irgendwie werden - und da kommt der Herstellungsort ins Spiel, so Massimo: "Und dann kommst du nach Hause und du willst auch gar nicht mehr, als einfach zu Hause sein und versuchen, die Balance wieder zu finden. Aber wir müssen eben viel touren, um zu überleben. Surviving is a full time job."

 

Der obligate Melvins-Absatz

 

Und da es in diesem Heft eine Quote gibt, die es eigentlich überall geben sollte und die vorschreibt, daß die Melvins in 90 Prozent aller Artikel zumindest einmal vorkommen müssen: Jacopo, bitteschön erzähl uns was über euren gemeinsamen Studiobesuch: "Wir spielten ein paar Shows mit der Melvins-Fantômas-Big-Band und so lernten wir uns kennen. Dale paßte auf alles im Studio auf, es war eine gute Erfahrung. Wir spielten richtig zusammen, das war kein blindes Drauflos-Jammen. Sie kannten unsere Songs ganz gut, weil wir ja wochenlang miteinander auf Tour waren. Einige Ergebnisse dieser Session werden auf unserem nächsten Album sein, das 2008 kommt, Jänner oder Februar hoffentlich. Wir wollten den Melvins ein paar neue Möglichkeiten zu arbeiten geben - die machen ja sonst gar nichts! Dale war obdachlos, als wir ihn vor ein paar Jahren zum ersten Mal trafen, also versuchten wir, ihm zu helfen und führten ihn ins Waffen- und Drogengeschäft ein. Er macht jetzt gute Arbeit in Kalifornien. Aber sonst sind die Melvins einfach zu faul. Was machen sie schon? Ungefähr sechs Platten pro Jahr, und das seit gut 20 Jahren. Ich glaube, sie sind einfach noch zu jung."

Es würde sich eine Langzeittherapie mit den verirrten Jünglingen anbieten, aber da haben die Römer selbst wohl zuviel Angst, runtergezogen zu werden: "Nein, das ist kein guter Deal, da wirst du im Endeffekt doch immer rausgeschmissen. Und danach hört nie wieder jemand was von dir." Massimo, ganz verschreckt: "Also, ich will nicht ihr Bassist werden!!"

Auf der bandeigenen Website kann man verschiedene Berichte über Zu lesen und irgendwo steht da irgendwas von "They are the 'Melvins of Funk'." Nun, das klingt nach Blödsinn, oder wie heißt das auf Englisch? "That´s bullshit. We are also the 'James Brown of Metal'!"

 

The way of the Donut

 

Ein junger, gutgekleideter Mann betritt plötzlich den Raum und setzt sich völlig ruhig an die Tischecke nebst der Eingangstür. Jacopo bewegt seinen Blick langsam auf den unerwarteten Besucher und seine Miene verfinstert sich: "Das ist Gee Goll. Aber wir hassen Gee Goll. WIR HASSEN GEE GOLL! Das ist dieser komische Typ … er ißt nur Donuts, wir wissen gar nicht, wie er das überlebt: nur Donuts, den ganzen Tag! Er fährt mit uns zu den nächsten Konzerten, wir machen uns schon ein bißchen Sorgen, wie das wird. Ein paar Kilo Donuts haben wir zwar schon bestellt - aber wie sollen wir die in unseren Van kriegen? Am meisten wundert uns, daß der Kerl überhaupt noch lebt. Deswegen ist er aber wohl auch auf eine ziemlich seltsame Art und Weise unser Guru: He shows us the way of the Donut." An irgendwas muß man schließlich glauben.

Kaum habe ich das Diktiergerät außer Sichtweite gelegt, fangen sie wieder an mit ihrer eigentlichen Profession zu prahlen. Jacopo: "In den besetzten Häusern in Italien geht es jetzt mehr um Techno und Pillen. Ich nehme zwar viele Pillen - gesunde Pillen -, aber das Techno-Zeug ist nicht unser Ding. Ein andermal haben wir Acid versucht. Wir hatten wunderschöne Stunden im Haus eines Freundes, das direkt am Meer lag. Dort nahmen wir MDMA, das war ziemlich pures Zeug. Nach ein paar Stunden realisierten wir erst, daß das einzige, was wir machen wollten, kochen war. Also haben wir dort den Rest der Woche mit kochen verbracht. Und damit, MDMA zu schmeißen. Seitdem sind wir bessere Köche als Musiker." Neee, langsam wird mir die Sache hier zu heiß, ich bin noch viel zu jung zum Sterben: Zu ist zu. Und aus.

Ahja, Massimo habe ich noch etwas versprochen: Gene Simmons, ich soll dir ausrichten, du bist raus aus Kiss. Massimo wird sich ab jetzt deine Maske aufsetzen.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #1

(erschienen im Juni 2007)


Text: Rokko

Photos: Hanisch Booby

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