Editorial_22. 12. 2006

Vive le Urinanreicherung!

Oft hängt das Schicksal der Welt an einem einzigen Buchstaben. Aber das ist immer noch gescheiter, als sich auf die nutzlosen Idioten zu verlassen, die uns alle regieren.    28.12.2006

Liebe EVOLVER-Leser und -innen!

 

Wieder geht ein Jahr zu Ende, und wir können Ihnen eine freudige Mitteilung machen: Der Faschismus ist auch 2006 nicht über uns gekommen!

 

Trotz der Wahlen, trotz der Bombardierung des Libanon, trotz Urinanreicherung im Iran, trotz hirnrissiger Aussagen von Politikern aller Fraktionen und Länder, trotz David Irving: kein Faschismus, kein Nationalsozialismus, beide tot seit mehr als 60 Jahren, Adolf has definitely left the building, thank you very much.

Normale Menschen wird das freuen; andere werden aber möglicherweise ein Problem damit haben. Schließlich gibt es eine Menge Leute, die ihre "politische" Haltung nur mit schwachen Aussagen wie "Auf jeden Fall demokratisch - und antifaschistisch ..." zu definieren wissen. Tut mir leid, liebe Antifaschisten, aber damit seid ihr einem Propagandatrick des mittlerweile ebenfalls verstorbenen Marxismus aufgesessen, der nach dem Zweiten Weltkrieg dazu übergegangen ist, seine Gegner pauschal als Faschisten zu bezeichnen - egal, wie wenig dieser Schmäh mit der Realität zu tun hatte und hat.

Es ist ja auch viel einfacher, alles zu diffamieren, was einem nicht ins kaum durchdachte Konzept paßt, als das Gehirn einzuschalten. Und so kommt es, daß die wahren Mächtigen dieser Erde seit Jahrzehnten ungehindert daran arbeiten können, ihre Diktatur der totalen Entmündigung und Ausbeutung zu errichten, während jede abweichlerische Meinung mit der Faschismuskeule totgeschlagen wird. Das Schöne daran ist, daß die neuen Führer in Brüssel, Washington, der Weltbank und diversen heimlichen Hinterzimmern die Keule gar nicht selbst in die Hand zu nehmen brauchen; dazu haben sie ja die gleichgeschalteten Gehirnwäschemedien und die nützlichen Idioten, die all das nachbeten, was man ihnen dort vorkaut. Nur so kann es passieren, daß in diversen Internet-Foren bekannter Medien und geschützter Radiowerkstätten sogar "Borat" als faschistoider, imperialistischer Ausbeuter bezeichnet wird ...

Ja, Sie haben recht, das ist dumm. Es ist dumm, an heutige Probleme mit Begriffen heranzugehen, die seit vielen Jahrzehnten ihre Bedeutung verloren haben - und gleichzeitig tatenlos zuzusehen, wie unsere Pässe biometrisch, unsere Führerscheine mit Chips versehen und uns die Zigaretten aus der Hand genommen werden. Also hören wir doch bitte endlich damit auf, dumm zu sein. Nehmen wir uns für 2007 vor, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist.

Der traurige Stand der Dinge ist nämlich folgender: Die Welt - ob zivilisiert oder unzivilisiert, Erste oder Dritte - wird fast zur Gänze von Zuhälter-Kapitalisten beherrscht, die sich A. durch völlige Skrupellosigkeit auszeichnen, B. trefflich der allgemein zunehmenden intellektuellen und sozialen Inkompetenz der breiten Masse und ihrer scheinbaren Anführer zu bedienen wissen, und C. gar nicht bemühen, ihre Errichtung eines neuen Feudalsystems irgendwie zu tarnen.

Müssen sie auch gar nicht, weil das Volk sowieso alles frißt, was ihm vorgesetzt wird - sogar eine Wurstsemmel, die umgerechnet obszöne 25 Schilling kostet. Wir müssen uns von soziopathischen Betriebswirten, Werbern und Parteisoldaten als Angehörige eines "Segments" titulieren lassen; wir nehmen hin, daß unsere Heimatstädte und -länder als "Standorte" bezeichnet werden; wir lassen uns von den Einsparern um Kopf und Kragen bringen, ohne ihnen die Nasen blutig zu hauen. Das geschieht uns recht, solange wir glauben, daß an allem irgendwie sowieso der böse Faschismus schuld ist, oder auch der Islamismus, der ja eh so ähnlich ist, finden Sie nicht?, und dann noch diese Terroristen, furchtbar, und die Schwulen dürfen noch immer nicht heiraten, da muß man doch was tun - am besten ist, wir gehen demonstrieren.

Na gut, dann also raus auf die Straßen, aber die Demo bitte vorher brav anmelden. Und nichts sagen, was der herrschenden Meinungs- und Gedankendiktatur widerspricht, sonst setzt es sofort eine Anzeige von irgendwelchen Gutmenschen-Vernaderern, weil dafür werden die schließlich subventioniert ...

Währenddessen spitzen die Buchhalter, Kapitalberater und amtlichen Automaten schon fein lächelnd ihre Bleistifte und bereiten sich darauf vor, uns 2007 noch ein wenig mehr Boden unter den Füßen wegzuziehen. Für die neuen Feudalherren ist ja nur wichtig, daß 95 Prozent ihrer Untertanen als wiedererstandenes Lumpenproletariat gerade noch so weit über dem Existenzminimum dahinvegetieren, daß sie den Konsumdreck, den man ihnen vorsetzt, auch noch kaufen können. Und das reicht dann auch, also Goschen halten.

In wenigen Jahren schon werden in den neuen Herrscherhäusern, so wie einst bei Hofe, nur noch Priester, Hofnarren und Huren Aufstiegschancen haben. Der Rest ist Pöbel - und aus den einst nützlichen werden nutzlose Idioten geworden sein, die das System nicht mehr braucht. Ob "Antifa" oder nicht ...

Und sagen Sie dann bloß nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt. Das tun wir nämlich dauernd - auch wenn sich die Warnungen des EVOLVER-Teams meist hinter Stories und Rezensionen zum Thema Popkultur, Kolumnen und Editorials verbergen.

 

Und damit entlassen wir Sie, werte Leserschaft, in die Feiertage. Wir wünschen frohe Weihnachten, einen erträglichen Jahreswechsel und viel Kraft für 2007. Sie werden Sie (siehe oben) bestimmt brauchen.

Ach ja - wer sich von uns etwas schenken lassen will, sollte einen Blick auf unsere Verlosungsseite (Link siehe unten) werfen; dort haben wir zum Jahresende eine ganze Menge exzellenter Preise für Sie versammelt.

 

Ab 8. Jänner 2007 sind wir dann wieder für Sie da - wobei ein paar fleißige Autoren und Kolumnisten sicher auch über die Feiertage etwas veröffentlichen werden. Und ab Ende Jänner werden Sie (wenn alles gutgeht) den EVOLVER mit ganz anderen Augen sehen.

 

In diesem Sinne:

 

Viel Spaß beim Lesen wünscht

 

Peter Hiess

(EVOLVER-Herausgeber und Hatespeech-Experte)

Peter Hiess

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