Kino_Der Krieg des Charlie Wilson

Karma, Baby ...

Wer auch immer diesem Film das gefällige Etikett "Polit-Satire" umgehängt hat, sollte lieber noch einmal im Lexikon nachschauen. Der neue Streifen von Mike Nichols ist viel eher ein Stück Zeitgeschichte, das als kurzweilige Komödie daherkommt.    07.02.2008

Wir schreiben das Jahr 1980. Wichtige und unwichtige Menschen tragen klobige Brillengestelle, Mobiltelefone haben die Größe von Keksdosen. Doch sonst ist alles, wie wir es auch heute noch kennen: Amerikanische Politiker sind alles andere als Heilige, Texaner ebenso gottesfürchtig wie süchtig danach, die Welt nach ihren Vorstellungen zu formen, und Kriege werden hinter den Kulissen statt auf dem Schlachtfeld entschieden. Kein Wunder - schließlich beruht der Film auf Tatsachen.

Einer der erwähnten Politiker ist Congressman Charlie Wilson, ein kleiner Fisch im Haibecken Washington. Tom Hanks legt ihn als gerissenes Arschloch an, den man nicht nur irgendwie mögen, sondern vor dem man fast Respekt haben muss. Er sucht seine Sekretärinnen nach der Oberweite aus ("You can teach them how to type, but you can´t teach them how to grow boobs") und läßt sich auch einmal fast beim Kokainschnupfen im Whirlpool erwischen. Gleichzeitig jongliert er einhändig mit religiösen Rednecks aus seinem Heimatstaat Texas und beendet nebenbei irgendwie den Kalten Krieg. Ob er deswegen ein Held ist, das scheint auch der Regisseur nicht so recht zu wissen.

Doch "Der Krieg des Charlie Wilson" fängt bereits ein Jahr vor den Achtzigern an: 1979, in der letzten Hochblüte des Kalten Kriegs, marschieren die Sowjets in Afghanistan ein. Mit ihren hochmodernen Kampfflugzeugen schießen sie auf alles, was sich bewegt, und unterhalten sich dabei über ihre Damenbekanntschaften (zumindest im Film). Die Opfer sind naturgemäß machtlos, flüchten oder sterben.

Zur selben Zeit veranstaltet irgendwo in Texas eine High-Society-Lady (Julia Roberts, platinblond und überraschenderweise nicht so nervtötend wie sonst) eine Spendengala nach der anderen. Sie will, daß sich die afghanischen Mudschaheddin-Widerstandskämpfer wehren können - und zwar mit amerikanischen Waffen. Und sie schläft mit Charlie Wilson, der glücklicherweise in genau dem Komitee sitzt, das die Militärausgaben festlegt.

Ihr Verbündeter ist der CIA-Mann Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman), augenscheinlich ein ebenso unbedeutender Mann wie Wilson selbst. Als die beiden einander kennenlernen, sagt der Kongreßabgeordnete zum Spion: "You´re no James Bond." Die Antwort: "You´re no Thomas Jefferson, either. Let´s call it even." Gerissen sind sie aber beide: Während Wilson seine Politikerkollegen in perfekter Überredungskunst zu Militärausgaben veranlaßt, tut Avrakotos dasselbe mit pakistanischen Armeechefs, deren Hilfe dringend benötigt wird. Er sagt nicht viel, doch was er sagt, zeigt Wirkung - auch wenn er dann und wann erpresserische Methoden einsetzen muß.

 

Philip Seymour Hoffman ist mit seiner üblichen schauspielerischen Brillanz eindeutig das Glanzstück des Films, selbst wenn er einmal leise Töne anschlägt. Wenn gegen Ende des Films mit Champagner gefeiert wird, daß die Russen nach massiver Gegenwehr einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, erzählt er eine kleine Geschichte:

A boy is given a horse on his 14th birthday. Everyone in the village says, "Oh, how wonderful!" But a Zen master who lives in the village says, "We shall see." The boy falls off the horse and breaks his foot. Everyone in the village says, "Oh, how awful." The Zen master says, "We shall see." The village is thrown into war and all the young men have to go to war. But, because of the broken foot, the boy stays behind. Everyone says, "Oh, how wonderful." The Zen master says, "We shall see."

 

Er sollte recht behalten: Die Waffen, die Afghanistan von den USA bekam, wurden später gegen Amerikaner eingesetzt. Und die Soldaten, die von CIA-"Beratern" trainiert wurden, nennen sich heute Al Kaida. Mehr als alles andere zeigt "Der Krieg des Charlie Wilson" die Schizophrenie der amerikanischen Außenpolitik in subtiler, aber doch eindeutiger Weise. Da steht ein religiöser, aber unbedarfter amerikanischer Provinzpolitiker in einem Flüchtlingslager und ist übermannt von den Schrecken, die er dort zu Gesicht bekommt. Er hält eine flammende Rede: Man wisse doch, auf welcher Seite Gott stehe, dies sei ein Kampf zwischen Gut und Böse, und Amerika würde immer auf der Seite des Guten stehen. Die, denen er hier Hilfe zusichert, sind inzwischen zu den Bösen geworden. Nur Amerika steht - natürlich - nach wie vor auf der Seite der Gerechten.

Der echte Charlie Wilson hat einmal gesagt: "These things happened. They were glorious and they changed the world ... and then we fucked up the endgame." Damit endet der Film. Doch ein Gefühl bleibt: In Wirklichkeit ist nichts je ganz vorbei.

Johanna Schönfeld

Der Krieg des Charlie Wilson

ØØØØ

(Charlie Wilson´s War)

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USA 2007

98 Min.

Regie: Mike Nichols

Darsteller: Tom Hanks, Philip Seymour Hoffman, Julia Roberts u. a.

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